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Alltagsgeschichte des Mittelalters

VII. 5. Die Gilde

Die Vereinigungen der Kaufleute, Gilden genannt, existierten schon seit dem 9. Jahrhundert. Das Wort "Gilde" kommt von "gilden", was soviel wie "bezahlen" heißt. Ihre Blütezeit hatte das Gildewesen von 1.000 - 1.300. Pro Stadt war immer nur eine einzige Gilde vorhanden, in der alle Kaufleute vereinigt waren. Zunächst bildete sie einen Schutzverband zur Wahrung gemeinsamer Interessen, aber sie wurde wie die Zünfte schon bald zu einer Monopolorganisation. Jeder Kaufmann mußte ihr am Ende des 11. Jhs. beitreten. Im Prinzip glichen die Gilden organisatorisch und funktionsmäßig den Zünften. So gab es bei ihnen ebenfalls das Gelage, den Totenkult, ein spezielles Gericht, Hilfs- und Racheverpflichtungen und Brudertreue. Man traf sich ein- oder mehrmals im Jahr, wählte den Vorsteher und besprach Gildeangelegenheiten. Aufgenommen wurde man in diese Organisation, wenn man zu der gehobenen Gesellschaftsschicht gehörte, einen ehrbaren Lebenswandel vorweisen und die Aufnahmegebühr bezahlen konnte. Angehörige der Mittel- und Unterschichten waren prinzipiell ausgeschlossen.

Die Hanse existierte seit dem 11. Jh. Sie stellte die Vereinigung von Kaufleuten dar, die auf ihren Handelsfahrten ein bestimmtes Ziel ansteuerten. So gab es z.B. die Englandfahrer, die Gotlandfahrer, die Flandernfahrer etc.

Die Vereinigung der Englandfahrer aus Köln bezeichnete sich zuerst als "Hanse". Im Spätmittelalter besaß die Hanse, zu der mittlerweile mehr als 70 Städte zählten, das Handelsmonopol auf der Nord- und Ostsee. Gilden und Hansen waren rechtsfähige Korporationen und durften daher Privilegien empfangen, Stiftungen ins Leben rufen, Siegel führen, Verträge abschließen und Vermögen, Besitz und Nutzungsrechte erwerben. Der Stahlhof, das Hanse-Kontor in London, bestand z.B. aus mehreren benachbarten Häusern mit Kaianlagen am Themseufer und wurde durch Mauern und Türme von der Außenwelt abgeschirmt. Nur drei Tore, die stets scharf bewacht wurden, verbanden diese Kaufmannsfestung mit der Innenstadt Londons. Diese Befestigung war nötig, da aus Eifersuchtsgründen jederzeit mit Angriffen der einheimischen Bevölkerung gerechnet werden mußte. Die jungen Kaufleute lebten innerhalb der Mauern wie Mönche in einem Kloster. Sie erhielten ihre einzelnen Zellen, durften nicht heiraten und hatten im Stahlhof die aus Deutschland und Flandern eingeführten Tuche zu "stahlen", d.h. zu prüfen und mit einem Bleisiegel zu versehen. 1552 wurden der Hanse in England die Privilegien entzogen, die sie nur noch einmal für wenige Jahre mit der Unterstützung des spanischen Königs Philipp II., dem Gatten der englischen Königin Maria Tudor, zurückerhielten. 1558 wurden den Deutschen schließlich die Vorrechte durch Elizabeth I. für immer aberkannt.

Die Handelsprodukte der Kaufleute reichten von den gewöhnlichen Nahrungsmitteln wie Getreide, Bier und Wein bis zu den begehrtesten Edelsteinen wie Diamant und Rubin, den kostbarsten Stoffen wie Seide und den erlesensten Gewürzen, die man in Indien, auf den Sundainseln, ja selbst in China geladen hatte. 1453 erhielt dieser Orienthandel durch die türkische Eroberung Konstantinopels einen schweren Schlag. Es mußte so schnell wie möglich ein Ersatz gesucht werden, was letztendlich schließlich Kolumbus zu seiner "Westindienfahrt" veranlaßte.

Aber auch der Sklavenhandel war noch in voller Blüte. So hatten die italienischen Seemächte wie Venedig, Genua und Pisa seit dem frühen 13. Jh. eine lebhafte Sklaveneinfuhr aus dem östlichen Mittelmeerraum – besonders aus der Krim – begonnen, die ebenfalls erst gegen Ende des 15. Jhs. mit dem Vorrücken der Türken zusammenbrach. In Venedig wurden z.B. zu Beginn der 1420er Jahre ungefähr 10 000 Sklaven – die meisten waren Frauen – umgesetzt. Die Kirche – nebenbei bemerkt – äußerte gegen diese selbstverständlich erscheinende Praxis keine Bedenken!

Was die Ehefrauen der Kaufleute betraf, ging es ihnen zwar rechtlich gesehen wie den anderen Frauen in der Stadt, da sie aber während der langen Abwesenheit ihrer Männer das Geschäft und den z.T. großen Haushalt allein überwachen mußten, wurden sie im Laufe der Zeit immer emanzipierter und selbstbewußter. Kauf- und Handelsfrauen konnten schließlich finanzielle Verpflichtungen eingehen und gerichtliche Zeugnisse geben. Ihre Abschlüsse wurden damit unbeschränkt verbindlich. Auch auf Geschäftsreisen gingen diese Frauen. Ihr Handlungsradius war zwar in der Regel eingeschränkter als der ihrer Gatten, aber mit ihrer mittlerweile erworbenen Qualifikation und ihrer langjährigen Erfahrung waren sie durchaus in der Lage, im Falle der Verwitwung das Geschäft zu übernehmen. So führte Anna Rem entgegen den testamentarischen Bestimmungen ihres Mannes Lucas Rem seine große Handelsgesellschaft erfolgreich weiter.

Elisabeth Gfattermann († 1436), die zweite Gattin von Hans Fugger († 1408/09), überlebte ihren Mann um 28 Jahre und erwies sich ebenfalls als sehr geschäftstüchtig. Sie verhinderte eine Zersplitterung des Familienvermögens durch Erbteilung und erhielt ihren Nachkommen den städtischen Hausbesitz und die ländlichen Liegenschaften. Auch ihre Schwiegertochter, Barbara Bäsinger († 1497), die ihren Gatten Jakob Fugger († 1469), ebenfalls um 28 Jahre überlebte, hielt nicht nur das Vermögen zusammen, sondern schützte es gegen Erbteilung und mehrte die Habe von 15 000 Gulden im Jahre 1469 auf 23 293 Gulden im Jahre ihre Todes.

Mit dem Beginn der Neuzeit jedoch zeichnete sich im Bereich der Berufsmöglichkeiten und hinsichtlich der Rechtsstellung der Frau ein erneuter Niedergang ab. Durch die sozio-ökonomischen Wandlungen seit dem 16. Jh. wurden die Frauen immer häufiger aus ihren Berufstätigkeiten verdrängt und zu den häuslichen Arbeiten wie der Pflege der Kleidung, der Vorbereitung der Mahlzeiten und der Aufzucht des Nachwuchses gezwungen.


Lesetipps:
  • Alltag im Spätmittelalter, herausgegeben von Harry Kühnel. Graz, Wien, Köln 19863
  • Borst, Arno: Lebensformen im Mittelalter. Frankfurt a. Main, Berlin 1985 (sehr gut)
  • Borst, Otto: Alltagsleben im Mittelalter. Frankfurt a. Main 1983 (sehr gut)
  • Goetz, Hans-Werner: Leben im Mittelalter. München 19873
  • Graus, Frantisek: Randgruppen der städtischen Gesellschaft im Spätmittelalter, S. 385-437, in: Zeitschrift für Historische Forschung 4, 1981
  • Maschke, Erich : Die Unterschichten der mittelalterlichen Städte Deutschlands (1967), S. 345-454, in: Die Stadt des Mittelalters, 3. Bd.: Wirtschaft und Gesellschaft, herausgegeben von Carl Haase. Darmstadt 1976

Lohnenswerter Ausflug:

  • ein Besuch des Wallraf-Richartz-Museums in Köln, bei dem Sie auf Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts Patrizier und ihre Gattinnen sowie reiche Kaufleute und ihre Familien aus dem mittelalterlichen Köln kennenlernen können!

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