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Alltagsgeschichte des Mittelalters

VIII. 5. Die Gottesurteile

Seit dem Landfriedensgesetz von 1152 benötigte ein angeklagter Ritter zu seiner Entlastung vier Eideshelfer. Meistens boten sich dazu Freunde oder Verwandte an, die keine Zeugen, also Tat- oder Unschuldszeugen, in unserem Sinne waren, sondern nur den geleisteten Eid des Ritters durch ihre Eide zu bekräftigen hatten.

Wenn der Ritter jedoch bei handhafter Tat erwischt wurde, konnte er sich mit solchen Reinigungseiden seiner Freunde nicht mehr "rein waschen"!

Der anklagende Bauer dagegen mußte seinen Eid von sieben Zeugen bestätigen lassen, die der Richter persönlich aussuchte. Neben diesem ungerechten Verfahren gab es für die beiden, Bauer und Ritter, noch das Gottesurteil. Der Richter konnte die beiden nämlich auch zum Zweikampf auffordern, wobei Sieg und Niederlage als Indizien von göttlicher Beweiskraft galten. Schuldig war der Unterlegene. Schließlich hatte ja auch David mit Gottes Hilfe Goliath besiegt. Gott würde dem Unschuldigen zum Sieg verhelfen. Von solchen Gottesurteilen waren nur die Kaufleute und seit der zweiten Hälfte des 12. Jhs. auch die Bürger befreit. Sie hatten einer Aufforderung zum Zweikampf keine Folge zu leisten.

Gottesurteile wurden in aller Öffentlichkeit vollzogen und waren beim Volk sehr beliebt. Es gab harmlose und blutige Gottesurteile. Bei der "Bißprobe" z.B. mußte der Angeklagte ein Stück Brot oder ein Stück Käse, in der "Abendmahlprobe" eine Hostie unzerkaut hinunterschlucken, um seine Unschuldigkeit zu zeigen. Auch bei den Zweikämpfen gab es harmlose und blutige.

Bei der "Kreuzesprobe" mußten die Gegner sich in der Kirche mit ausgestreckten Armen gegenüberstehen, und wer länger in dieser Stellung verharren konnte, galt als unschuldig. Bei dem "Kerzenordal" wurden zwei gleich große Kerzen zur gleichen Zeit angezündet. Gott offenbarte hier die Wahrheit durch das Längerbrennen einer der Kerzen.

Brutal und grausam waren dagegen folgende Gottesurteile, die zur Wahrheitsfindung bei schweren Verbrechen stattfanden: der Zweikampf, die Feuerprobe und die Wasserprobe.

Der Zweikampf war ein alter germanischer Brauch, der ursprünglich eigentlich nur unter Freien erlaubt war. Der Aufforderung eines Unfreien mußte ein Adliger im Mittelalter nie persönlich nachkommen. Er hatte das Recht, sich einen Kämpfer zu besorgen.

Folgende Vorschriften mußten die Kontrahenten einhalten:

  • Beide Kämpfer durften nur Leder- und Leinenkleidung tragen.
  • Haupt und Füße mußten vorne unbedeckt sein.
  • Die Hände sollten nur mit dünnen Handschuhen geschützt werden.

Unter Rittern waren als Waffen ein Schwert in der Hand und ein bis zwei Schwerter am Gurt erlaubt. Dazu gehörte noch ein runder Schild aus Holz und Leder mit einem eventuell eisernen Buckel. Im allgemeinen wurde mit den Waffen gekämpft, die der Angeklagte besaß. Wenn also ein Ritter einen Bauern angeklagt hätte, hätte er wie der Bauer mit Stock und Schild kämpfen müssen.

Beide Kontrahenten hatten ihre Behauptungen, für die sie stritten, vor dem Kampf noch durch die Berührung einer Reliquie zu beschwören. Beim Kampf selbst mußte Chancengleichheit garantiert werden, d.h. beide Kämpfer mußten z.B. abwechselnd der Blendung durch die Sonne ausgesetzt sein.

Erschien der Angeklagte auf drei Ladungen nicht, so stach der Kläger laut des Sachsenspiegels "zwei Schläge und einen Stich wider den Wind", was mit seinem Sieg gleichgesetzt wurde und die Verurteilung des Gegners zur Folge hatte.

Von diesen Zweikämpfen ausgeschlossen waren zudem die Geistlichen und z.T. die Frauen. Kam es aber trotzdem zu einem Zweikampf zwischen einem Mann und einer Frau, so hatte sich der Mann in eine Grube zu stellen, die ihm bis zu den Hüften reichte. Seine linke Hand band man zuweilen auf den Rücken, und die rechte Hand erhielt einen Stock. Die Frau band einen Stein von einem Pfund Gewicht in ihren Ärmel und schlug damit auf den Mann ein. Wurde der Mann bei diesem Zweikampf Sieger, so stand ihm das Recht zu, die nun für schuldig erklärte Frau lebendig zu begraben.

Erst ab dem 16. Jh. kamen die Zweikämpfe als Rechtsmittel außer Mode und wurden zu einer privaten Angelegenheit.

Bei der Feuerprobe, die meistens bei Frauen angewandt wurde, hatte man barfuß über mehrere glühende Pflugscharen zu gehen, bis zum Ellenbogen in kochendes Wasser oder Öl zu greifen, um Steine oder Ringe aus dem entsprechend gefüllten Topf herauszuholen, oder zwischen zwei brennende Holzstöße hindurchzugehen, wobei die Angeklagten noch ein mit Wachs getränktes Hemd zu tragen hatten. Nur wer bei solchen Prozeduren unverletzt blieb, galt als unschuldig.

Wie solch eine Feuerprobe ausgesehen haben kann, beschreibt Noah Gordon in seinem Bestseller "Der Medicus":
"Man wird Euch geweihtes Wasser zu trinken geben und Euch geweihtes Wasser auf die Hand spritzen, die für das Gottesurteil verwendet werden soll. Ihr selbst wählt die Hand. Ihr werdet ein weißglühendes Eisen aus dem Feuer nehmen und es mit drei Schritten neun Fuß weit tragen. Dann werdet Ihr es fallen lassen und zum Altar laufen, wo die Hand eingehüllt und versiegelt wird. Nach drei Tagen wird die Hülle entfernt. Wenn Eure Hand unter der Umhüllung weiß und rein ist, werdet Ihr für unschuldig erklärt. Wenn die Hand nicht rein ist, werdet Ihr exkommuniziert und dem weltlichen Gericht überantwortet." (in: Noah Gordon, ebenda, S. 605)

Vorbild für die Feuerprobe waren biblische Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament. So wurden die Gefährten des jungen Propheten Daniel, Schadrach, Meschach und Abed-Nego, weil sie sich weigerten, Nebukadnezzars riesiges goldenes Standbild anzubeten, in einen glühenden Feuerofen geworfen. Doch die drei Jünglinge blieben unverletzt, da der Engel des Herrn in Gestalt eines Mannes die Flammen aus dem Ofen hinaustrieb. Und angeblich entstieg ja auch der Apostel Johannes einem Kessel mit siedendem Öl unverletzt. Beim Apostel Thomas, der in Indien wegen seiner Predigten auf glühende Bleche gestellt wurde, wurde die Glut mit Gottes Hilfe von einer plötzlich entspringenden Quelle gelöscht. Man steckte den Apostel zwar hinterher noch in einen Feuerofen, aber auch aus diesem stieg er am nächsten Tag völlig unversehrt heraus.

Bei der Wasserprobe wurde der oder die Angeklagte gefesselt und in einen tiefen Fluß oder See geworfen. Wenn das Opfer auf erbärmliche Weise ertrank, war das der Beweis für seine Unschuld. Konnte sich das Opfer jedoch irgendwie aus den Fesseln befreien oder durch andere akrobatische Übungen an die Wasseroberfläche gelangen, war das wiederum ein Beweis für seine Schuld. Denn Gott – so behaupteten die Christen – hatte durch die Taufe Jesus Christi das Wasser geheiligt, und deshalb stieß es die Sünder ab.

Bei den Hethitern, Babyloniern und Ägyptern dagegen hatte, wer oben schwamm, die Wahrheit gesagt und wurde befreit. Denn das heilige Wasser trug ihrer Meinung nach die Unschuldigen. Der Angeklagte im christlichen Abendlande wurde jedoch in diesem Falle aus dem Wasser gezogen, nur um nun als Schuldiger hingerichtet zu werden.

Vom 14. - 17. Jh. war die Bahrprobe außerdem noch in Gebrauch. Man glaubte, daß ein Ermordeter durch das Aufbrechen seiner Wunden oder durch andere Zeichen auf seinen Mörder hinweisen könnte. So wurde der Verdächtigte geschoren und gezwungen, nackt um den Leichnam, dessen Wunden zuvor mit Wein und Wasser gewaschen und getrocknet worden waren, dreimal auf Knien herumzugehen, wobei er den Toten zu küssen und mit dessen Namen anzurufen hatte. Zusätzlich hatte er laut und deutlich bei Gott zu schwören, daß er nicht schuldig an dessen Tod wäre.

Fand man nicht so schnell einen Verdächtigen, amputierte man vom Toten eine Hand, erhitzte diese im Backofen und bewahrte sie im mumifizierten Zustand solange auf, bis man einen Vielleicht-Schuldigen gefunden hatte.

Der aufgeklärte Kaiser Friedrich II. († 1250) hielt von diesen sogenannten Gottesurteilen überhaupt nichts und verbot sie deshalb auch in seinem sizilianischen Königreich:
"Die Urteile, die von einigen Einfältigen Gottesurteile genannt werden, welche weder auf die Natur der Dinge blicken noch auf die Wahrheit hören, scheiden Wir, die Wir der Gesetze wahre Wissenschaft erforschen und Irrtümer verschmähen, von Unseren Gerichten aus. Mit diesem durch Unseren Namen geweihten Erlaß verwehren Wir für immer allen Richtern Unseres Königreichs, daß einer die Gottesurteile, die eher Gottesversuchungen heißen sollten, irgendwelchen Unserer Treuen auferlege. Vielmehr sollen sie mit den gewöhnlichen Proben zufrieden sein, wie sie in den alten Gesetzen und auch in Unseren Verordnungen eingeführt sind. Und deren Ansicht glauben Wir nicht nur zu verbessern, sondern austilgen zu müssen, die darauf vertrauen, des glühenden Eisens natürliche Hitze werde lau, ja kalt ohne Vorliegen einer gerechten Ursache, oder die versichern, den eines Verbrechens Beschuldigten nehme das Element des kalten Wassers wegen seines versehrten Gewissens nicht auf." (in: Herbert Nette, Friedrich II. von Hohenstaufen, Hamburg 19815, S. 57/58)

1215 verbot das Laterankonzil den Geistlichen, bei Feuer- und Wasserproben mitzuwirken. Im 13./14. Jh. kamen somit besonders die Feuer- und Wasserproben als Versuchungen Gottes und damit Sünden allmählich außer Gebrauch, um z.T. im 16./17. Jh. in den Hexenprozessen wieder eingeführt zu werden.


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