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Alltagsgeschichte des Mittelalters

X. 3. Das Medizinstudium

Erst durch den kulturellen Einfluß der Araber wurde gegen Ende des 10. Jhs. die erste medizinische Hochschule im Abendland in Salerno errichtet. Frauen wie Männer durften sich hier zu Ärzten/innen ausbilden lassen. Bis um die Jahrtausendwende gab es nur an einigen adligen Höfen und in den wenigen Städten medizinkundige Kleriker, Mauren und Juden, die Kranke von ihren Leiden zu kurieren versuchten.

Während des 12. - 15. Jhs. wurden weitere medizinische Hochschulen oder Fakultäten gegründet – so unter anderem in Montpellier im Jahre 1220. Leider gerieten die Universitäten schon bald unter den Einfluß der Kirche, die nicht nur die wissenschaftlichen Inhalte kontrollierte, sondern auch den Frauen den Zutritt zum Studium verbot (diese Vorschrift blieb bis ins 20. Jh. erhalten!) und seit 1163 auch die Durchführung von blutigen Operationen verhinderte.

Dadurch trennte sich die Medizin von der Chirurgie und beschäftigte sich fortan mehr mit Theorien als mit praktischen Erfahrungen. Schließlich wurde die Chirurgie völlig von der Universität ausgeschlossen. Nur eine einzige Ausnahme gab es! Friedrich II. († 1250) schrieb der medizinischen Universität in Salerno vor, ihre Kandidaten auch in der Chirurgie und in der Anatomie zu unterrichten. Gerade die Anatomie hatte die Kirche strikt verboten, weil sie fest der Überzeugung war, dass dadurch die Auferstehung des Fleisches für immer verhindert werden würde. Aber die Universitäten waren trotz der massiven Drohungen der Kirche nicht bereit, auf diese praktischen Erfahrungen zu verzichten. In Bologna nahm man wahrscheinlich um 1260, mit Sicherheit zu Beginn des 14. Jhs., die ersten Autopsien an Hingerichteten vor, in Venedig im Jahre 1308, in Montpellier seit 1376 und nördlich der Alpen zum allerersten Male in Wien im Jahre 1404 (Abb. 54).

Obduktion im Mittelalter
Abb. 54: Obwohl die Leichen von Adligen im gesamten Mittelalter hindurch gekocht und entfleischt wurden, um ihre schneeweißen Knochen schließlich in kostbare Gefäße bzw. Truhen zu legen, war es bis zum Ende des 15. Jhs. verboten, tote Körper für medizinische Forschungszwecke zu sezieren. Jedoch bereits zu Beginn des 15. Jhs. nahmen immer mehr Ärzte heimlich Obduktionen vor, in dem sie nachts frische Leichen auf den Friedhöfen ausscharrten oder vom städtischen Rat die Leichen der Hingerichteten erbaten. Hier im Bild wird eine Obduktion an einer toten Frau in der medizinischen Fakultät der Stadt Montpellier – und zwar schon im 14. Jh. – vorgenommen. Einer der beiden Bader, die sich hinter dem Tisch befinden, hat den Körper geöffnet. Der andere nimmt die Gebärmutter der Toten in seine Hände. Vor diesem Tisch liegen auf einem kleineren Tisch die zur Obduktion notwendigen Instrumente. Ein Diener (links) hält in seinen Händen einen Eimer bereit, in den die entfernten Organe hineingelegt werden. Der dozierende Arzt (rechts) weist seine eintretenden Studenten auf die medizinischen Besonderheiten hin. Dem Studenten direkt neben ihm scheint es bei diesem Anblick nicht besonders gut zu gehen. Mit blassem Gesicht wendet er sich ab. Der Arzt selbst führte im Mittelalter nie blutige Operationen durch. Das war stets die Aufgabe der Bader. Unter den anwesenden Studenten sind auch zwei Frauen, vielleicht Hebammen, links neben dem Tisch zu erkennen.

Gegen Ende des 15. Jhs. wurden die Frauen, die auch ohne Medizinstudium ihren ärztlichen Beruf bisher praktizieren konnten, in den Städten endgültig aus ihren Heilberufen verdrängt, da sie nicht die Qualifikation, also den Hochschulabschluß, vorweisen konnten. Dabei gibt es geschichtliche Zeugnisse, daß die Ärztinnen in ihren Heilkünsten z.T. erfolgreicher waren als ihre "gebildeten", männlichen Kollegen. So wurde im Jahre 1322 eine in Paris sehr angesehene Ärztin mit dem Namen Jacqueline Felicie de Alemania von der medizinischen Fakultät wegen Nichtachtung der Vorschrift, die besagte, daß nur diejenigen praktizieren dürfen, die einen Fakultätsabschluß vorweisen oder zumindest die Genehmigung des Universitätsdirektors besitzen würden, angeklagt. Leider (für die Universitätsprofessoren und Ankläger!) priesen die meisten vorgeladenen Zeugen Jacquelines medizinischen Kenntnisse, denn sie hatte als einziger Arzt diese ehemaligen kranken Zeugen von ihren Leiden befreien können, nachdem sie von den männlichen, anerkannten Ärzten zuvor mit dem Vermerk "hoffnungslos" abgewiesen worden waren.


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