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Alltagsgeschichte des Mittelalters

X. 6.2. Die Pest als Strafe Gottes

Die Menschen des 14. Jh. erklärten sich den Ausbruch der Pest folgendermaßen:
"Im Oktober 1348 bat (der französische König) Philipp VI. die medizinische Fakultät der Universität von Paris um einen Bericht über das Unheil, das das Überleben der menschlichen Rasse zu bedrohen schien. Mit gründlicher These, Antithese und Beweisführung machten die Ärzte die Dreierkonstellation aus Saturn, Jupiter und Mars verantwortlich, die am 20. März 1345 in einen 40-Grad-Winkel zu Aquarius getreten sei ... Das Urteil der Pariser Gelehrten wurde als offizielle Begründung für die Seuche anerkannt." (in: Barbara Tuchman, ebenda, S. 106)

Dabei muß man wissen, daß im Mittelalter die Konjunktion von Saturn und Mars grundsätzlich "Tod" und die Konjunktion von Jupiter und Mars stets "warme Lüfte und Pest" bedeuteten! So mußten die Pariser Wissenschaftler letztendlich zu ihrer Behauptung gelangen!

Die Bevölkerung konnte mit dieser "wissenschaftlichen" Erklärung, daß die besondere Planetenkonstellation für den Pestausbruch verantwortlich wäre, natürlich nichts anfangen. Sie vermutete in der Pest, die sie sich als kleines blaues Flämmchen, als Tier oder Dämon vorstellten, die Strafe Gottes für die vielen Sünden der Menschen.

"Die Skandinavier glaubten, daß eine Pestjungfer dem Mund des Toten als kleine blaue Flamme entsprang und durch die Luft flog, um das nächstliegende Haus zu infizieren. In Litauen glaubte man, daß die Pestjungfrau rote Tücher in Fenster und Türen flattern ließ, um die Pest einzulassen. Ein tapferer Mann hat der Legende zufolge mit gezogenem Schwert an seinem Fenster gewartet, bis er die Hand mit dem wehenden Tuch entdeckte, um sie abzuschlagen. Er selbst starb an dieser Tat, bewahrte aber sein Dorf vor der Pest, und das Tuch wurde lange als Reliquie in der örtlichen Kirche verehrt." (in: Barbara Tuchman, ebenda, S. 108)

Flagellanten traten während der Pest von 1348 - 1352 in sämtlichen großen Städten in Deutschland, in Flandern und in Frankreich auf und schlugen sich vor dem Publikum mit ihren Geißeln blutig, die mit eisernen Kreuzspitzen bestückt waren. Überall waren ihre wohlgeordneten Prozessionen zu sehen. In der Regel zogen 200 - 300 Flagellanten in Zweierreihen, bekleidet mit kurzen Lendenschürzen oder mit ärmellosen Sacktüchern, die sie wie ihre Hüte mit roten Kreuzen versehen hatten, bewaffnet mit ihren Peitschen, mit dem Blick gen Boden gerichtet, barfuß an den neugierigen Stadtbewohnern vorbei. Vor ihnen liefen die Anführer und Vorsänger, ausgestattet mit Kerzen und prächtigen Fahnen aus Goldstoff oder Samt. Die Kirchen läuteten anfänglich noch bei ihrem Erscheinen. In den Hallen der Gotteshäuser schlugen sich die Flagellanten die Rücken blutig, so daß diese blaufarbig entstellt aufschwollen. Das Blut lief nach unten ab oder bespritzte die nahen Wände der Kirche. Zuweilen trieben sie die eisernen Stacheln ihrer Geißeln so tief in ihr Fleisch, daß sie dieselben erst beim zweiten Versuch herausziehen konnten. Dazu schrien sie, heulten sie laut und riefen Gott um Vergebung und die Heiligen um Hilfe!

Diese fanatische Bewegung fand nicht nur Zulauf bei den Armen, sondern auch reiche Herren und Damen schlossen sich ihr an.

Die Flagellanten wurden von einem Laienmeister geleitet, dem sie zu Gehorsam verpflichtet waren. Sie durften sich nicht waschen noch rasieren, weder ihre Kleider wechseln noch in Betten schlafen und auch nicht ohne Erlaubnis ihres Anführers mit dem anderen Geschlecht sprechen, geschweige denn verkehren. Frauen begleiteten die männlichen Flagellanten in einem getrennten Zug. Meistens bildeten sie den Schluß einer solchen Bußprozession. Die Stadtbewohner begrüßten diese Geißler mit Ehrfurcht und boten ihnen die Gastfreundschaft an. Man tauchte seine Tücher in ihr Blut und verehrte diese dann als Reliquien, die Schutz vor der Pest gewähren sollten. Im Laufe der Zeit beanspruchten die Meister wie die Priester das Beichtrecht, erteilten die Absolution oder legten den Bürgern Bußen auf. Damit griffen sie nicht nur die Autorität der Geistlichkeit an, sondern dezimierten auch die finanziellen Einnahmen der Kirche. So verbot Papst Klemens VI. 1349 die Bewegung und ließ die Widerspenstigen als "Meister der Irrlehre" hängen oder köpfen. 1357 war diese Flagellanten-Bewegung schließlich endgültig verschwunden.

Die Menschen versuchten sich jedoch vor der Pest auch ohne Hilfe der Flagellanten zu schützen, indem sie sich mit Amuletten und Kreuzen behingen oder Zaubermixturen zu sich nahmen. Die städtischen Wächter errichteten derweil in jeder Gasse und auf jedem Platz große Scheiterhaufen, um die Luft von den giftigen Pestdünsten zu reinigen. Tonnen aus Eichen- und Wacholderholz wurden angezündet und loderten Tag und Nacht. Die Reichen verließen die Städte und begaben sich auf ihre Sommersitze auf dem Lande. Diejenigen, die in der pestverseuchten Stadt bleiben mußten, hielten Gefäße oder Schwämme mit wohlriechenden Kräutern und anderen Spezereien unter ihre Nasen, um ja dem Pestdünsten entgehen zu können.

Die Kirchen wurden wieder eifrig besucht, und der Rat befahl seinen Bürgern, jeden Morgen und jeden Abend zu beten und ordnete zudem Buß- und Fastentage an, an denen man öffentlich seine Sünden bekennen sollte. Außerdem trank man Theriak, ein opiumhaltiges Arzneimittel, das aus 70 unterschiedlichen Stoffen zusammengebraut wurde und als Universalheilmittel galt, oder nahm das sogenannte Priestersalz zu sich, eine Mischung aus gebranntem Salz und zahlreichen aromatischen Arzneien.

Infizierte Familien durften 40 Tage lang ihre Häuser nicht verlassen; auf noch gesunde Familienmitglieder wurde dabei keine Rücksicht genommen. Die Häuser der Kranken wurden an ihren Türen mit einem roten Kreuz gekennzeichnet und Tag und Nacht durch Wächter streng bewacht, die die betroffenen Menschen jedoch auch mit Lebensmitteln zu versorgen hatten.

Jeden Morgen und jeden Abend erschienen die Totengräber entweder mit ihrem Karren oder ihren Holzbahren und lasen die vor den Häusern liegenden Toten, die z.T. aus den Fenstern auf die Straße geworfen wurden, mit ihren Stöcken auf. Anfänglich nahm man sich noch die Zeit, die Leichen in grüne Tücher zu hüllen, später lagen auf solchen Karren ganze Familien unbedeckt. Die Totenglocke war schließlich ständig am Läuten. Die Leichen, teilweise schon verwest und zerfallen, wurden in riesige Gruben gekippt und mit Kalk und Erde bedeckt.

Die Inkubationszeit lag bei 15 Tagen. Die Krankheit selbst kündigte sich zuerst mit starkem Schwitzen, leichtem Fieber, einem Gefühl von Mattigkeit, schweren Kopfschmerzen und Schmerzen an den Gelenken, unter den Achselhöhlen und an den Leisten an. Diese Schmerzen nahmen zu. Außerdem stellte sich Übelkeit ein. Letztendlich bildeten sich pflaumengroße, schwach purpurfarbene Geschwülste in den Leisten, in den Achselhöhlen, im Nacken und in den Ellenbogen. Drei Tage später traten zu diesen Beulen noch linsengroße schwarze oder blauschwarze Flecken auf, die den ganzen Körper bedeckten. Das Fieber war in diesem Stadium so hoch, daß die Erkrankten oft ins Delirium verfielen oder Selbstmord wegen der starken Schmerzen begingen. Platzten die Beulen auf und gaben sie ihre grüne, unangenehm riechende Flüssigkeit ab, dann ließen das Fieber und die Schmerzen endlich nach. Der Kranke konnte nun wieder hoffen, weiterhin unter den Lebenden weilen zu dürfen.

Im Gegensatz zu dieser beschriebenen Beulenpest verlief jedoch die Lungenpest fast immer tödlich. Sie kündigte sich durch heftige Brustschmerzen und durch Blutspucken an. Beulen und Flecken traten nicht auf. Der an ihr Erkrankte verlor durch eine Zungenlähmung die Sprache und litt unter großem Durst, bis er schließlich in einen betäubenden Schlaf verfiel. Der Tod trat spätestens drei Tage nach Ausbruch der Krankheit ein.


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