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Das Reisetagebuch von Antonio de Beatis

Deutschland - Deutschland zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der Sicht des italienischen Kaplans Antonio de Beatis, dem Sekretär des Kardinals Luigi von Aragon.

Waschbecken mit Handtuch
Das Waschbecken mit dem Handtuch darf in keiner guten Stube fehlen. Hier sind sie hinten links zu finden.

„Überall [in Österreich und Deutschland] findet man bequeme Unterkunft, und obwohl von Trient an bis fast an den Rhein keine Weinberge mehr vorkommen, so hat man doch in allen Gasthäusern zwei Sorten Wein, weißen und roten, gut und wohlschmeckend, manchmal mit Salbei, Flieder und Rosmarin gewürzt. Das Bier ist in Deutschland wie in Flandern im allgemeinen gut. Es gibt schmackhaftes Kalbfleisch, viele Hühner und treffliches Brot. Der Wein ist bis Köln nicht sehr teuer und das Kalbfleisch sehr billig, so daß wir an einigen Orten zu vier für einen Golddukaten aßen. Kamine hat man nur in der Küche, sonst überall Öfen; jeder Ofen ist mit einer Nische versehen, in welcher ein Zinngefäß steht, das als Waschbecken dient. Die Einwohner haben große Freude daran, sich in den Zimmern verschiedene Vögel in kunstvollen Käfigen zu halten, von denen einige auch nach Belieben frei aus und ein gehen. Allgemein sind Federbetten und ebenfalls mit Federn gefüllte Oberdecken im Gebrauch; man spürt darin weder Flöhe noch Wanzen, sowohl wegen der Kälte des Landes, als weil sie die Unter- und Oberbetten mit einer gewissen Mischung bestreichen, die nach der Aussage von Deutschen nicht nur gegen die Wanzen und anderes Ungeziefer gut ist, sondern auch die Betten auf der Oberfläche so fest macht, daß man auf mit feiner Wolle gefüllten Matratzen zu schlafen glaubt. Wirkliche Matratzen gebrauchen sie aber nur im Sommer. Die erwähnten Betten sind groß und haben sehr große Kopfkissen; an Federn ist ja kein Mangel, da die Gänse so massenhaft gezogen werden, daß ich in Deutschland deren oft gegen vierhundert beisammen sah. Dabei stellen sie in ein Zimmer so viele Betten, als deren Platz haben, was unbequem und unlöblich ist; auch gibt es in den Schlafgemächern keine Öfen oder Kamine zur Erwärmung, so daß der Übergang aus den warmen Zimmern in die ganz kalten Räume, in denen man sich auskleiden soll, ein großes Mißverhältnis darstellt; da man aber in den dicken Federbetten rasch warm wird, so kümmert man sich weiter nicht darum. Es gibt in Deutschland viele und sehr ausgedehnte Wälder, mehr von Tannen und Fichten als andern Bäumen ... Es gibt viel angebautes Land; Weizen und Gerste ist zwar nicht sehr gebräuchlich, dagegen ernten sie Roggen und Korn [Hafer] in Menge, auch Hülsenfrüchte außer Kichererbsen, die wir nie gesehen haben. Kleine rote Kühe werden in großer Menge gehalten; auch Schafe und Schweine, aber nicht viele, und zwar, wie ich glaube, wohl deshalb nicht, weil Schafe bei dem beständigen Schnee nicht gut zu halten sind (!), und weil die Deutschen nur gesalzenes Schweinefleisch essen.

Schlachtung und Zerlegung von Schweinen
Das Abschlachten und die Zerlegung von Schweinen

Die Käse sind nicht besonders gut, vor allem deshalb, weil die Deutschen nur faulen Käse lieben; auch einen grünen Käse schätzen sie, der künstlich mit Säften von Kräutern hergestellt wird, den aber, obwohl er pikant schmeckt und riecht, ein Italiener nicht essen würde. An Obst fanden wir gute Weichselkirschen, zahlreiche große Apfel- und Birnbäume fast überall, deren Früchte allerdings noch nicht reif waren [in Deutschland waren Antonio de Beatis und der Kardinal vom 21. Mai bis zum 29. Juni], auch Pflaumenbäume. Die Frauen halten zwar ihr Geschirr sehr sauber, sie selbst aber sind in der Regel sehr unsauber, alle nach einer Weise in ganz geringe Stoffe gekleidet; sie sind aber schön und anmutig und nach dem Urteil unserer Reisegefährten zwar kalt von Natur, aber doch üppig. Die Jungfrauen tragen, solange es Blumen gibt, Kränze aus verschiedenfarbigen Blumen auf dem Kopfe, besonders an den Festtagen, ebenso die Knaben, die in der Kirche dienen, und die Schüler. Die meisten Frauen (niederen Standes) gehen barfuß; und wenn sie Schuhe haben, so haben sie keine Strümpfe; sie tragen kurze und enge Röcke, welche die Beine nicht ganz bedecken. Sie tragen Halstücher und auf den in Flechten gewundenen und um den Kopf gebundenen Haaren gefältelte Mützen aus Piqué wegen der Kälte. Die großen und reichen Damen tragen gewisse sehr breite Kopftücher und darüber einen weißen, dichten und fein hergestellten Schleier, der festgemacht und in gewisse Falten gelegt ist, so daß sie sehr majestätisch aussehen; bei denen, welche Trauer tragen, hängt der Schleier drei oder vier Spannen hinten herunter. Alle gehen in Röcken, meist aus schwarzer Serge, seltener aus Seide. Wenn sie Fremde und angesehene Männer, besonders von fremden Nationen, vorübergehen sehen, so pflegen sie sich zu erheben und zu verneigen. In allen Gasthäusern sind drei oder vier junge Serviermädchen; sowohl der Wirtin und ihren Töchtern wie den genannten Mädchen gibt man aus Artigkeit die Hand; sie lassen sich zwar nicht küssen, wie die französischen Kammermädchen, wohl aber um den Leib fassen und drücken, oft auch gern zum Mittrinken einladen, wobei es im Reden und Benehmen recht frei zuzugehen pflegt. Sowohl Frauen als Männer besuchen fleißig die Kirchen, in denen jede Familie ihren eigenen Kirchenstuhl hat; die Kirchen sind alle gedielt und die Bänke mit etwas Zwischenraum in der Mitte in zwei Reihen geordnet, wie in einer Schule; nur für den Priester bleibt der Chor frei. Da spricht man nicht von Geschäften und unterhält sich nicht wie in Italien; man richtet seine Aufmerksamkeit nur auf Messe und Gottesdienst, und beim Gebet knien alle nieder. Allgemein durch ganz Deutschland gibt es sehr schöne Brunnen und viele Bäche, welche Mühlen treiben. An Fischen aus Seen und Flüssen und guten Forellen fehlt es nirgends, denn jeder Wirt hat vor seinem Gasthaus einen oder zwei Fischkasten, aus Holz und verschließbar, worin sie lebende Fische halten, und in welchen Brunnenwasser so ein- und ausfließt, daß sich die Fische lange Zeit und gut lebend erhalten. Dem Kardinal machten in allen freien Städten und in den zwei Schweizerkantonen, die wir passierten, die Gemeindebehörden ihre Aufwartung und überreichten ihm Wein, Brot und Fisch; sie pflegen dies bei allen durchpassierenden geistlichen wie weltlichen Herren zu tun ... Die Häuser sind zwar meistens aus Holz, aber sehr schön und anmutig von außen und im Innern nicht unbequem; sehr gebräuchlich sind reich verzierte Erker, bald mit zwei, bald mit drei Seiten, um bequem die Straßen beobachten zu können, manchmal ganz bemalt und mit Ziegeln gedeckt, diejenigen der Kirchen mit verschiedenfarbigen glänzenden Plättchen aus Ton, so daß sie von weitem einen sehr schönen Anblick darbieten. Die Kirchtürme sind hoch und spitz. Sie haben sehr schöne Glocken; und es gibt kein noch so kleines Dorf, das nicht wenigstens eine schöne Kirche hätte mit so großen, schönen und kunstreichen Glasfenstern, als man sich nur denken kann. Innerhalb der Kirchen werden nur große und reiche Persönlichkeiten bestattet, alle andern außerhalb der Kirche auf den unbedeckten, aber mit Mauern umschlossenen Friedhöfen; hier stehen viele Kreuze, auf manchen Gräbern auch steinerne Denkmäler mit Inschriften und Wappen aus Messing, auch Weihwasserkesselchen, an Holzpflöcken befestigt. Dem Gottesdienst und den Kirchen wenden sie viele Aufmerksamkeit zu, und so viele Kirchen werden neu erbaut, daß ich, wenn ich damit die Pflege in Italien vergleiche und daran denke, wie viele arme Kirchen hier ganz in Verfall geraten, diese Länder nicht wenig beneide und im innersten Herzen Schmerz empfinde über das geringe Maß an Religion, die man bei uns Italienern findet.

Die Männer sind in Deutschland in der Regel groß, wohlproportioniert, stark und und von lebhafter Gesichtsfarbe. Alle tragen von klein auf Waffen, und jede Stadt und jedes Dorf hat seinen Schießplatz, wo man sich an Festtagen im Armbrust- und Büchsenschießen übt, wie in der Handhabung der Piken und jeder andern Art Waffen, die bei ihnen im Gebrauch sind. Überall fanden wir unzählige Räder und Galgen, die nicht nur in ihrem Aufbau mit Zieraten versehen waren, wie sie denn sehr prunkvoll hergestellt werden, sondern auch mit gehenkten Menschen, worunter zuweilen auch justifizierte Frauen (!), so daß man sieht, daß strenge Rechtspflege geübt wird, was ohne Zweifel in diesen Ländern auch sehr nötig ist. Da alle Edelleute außerhalb der Städte in ihren festen Burgen wohnen, wohin sich auch viel Raubgesindel zurückzieht, so könnte man gar nicht existieren, wenn die Rechtspflege nicht so streng wäre.“


Lese-/Videotipps:
  • Ludwig Pastor: Die Reise des Kardinals Luigi d'Aragona durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Oberitalien, 1517-1518, beschrieben von Antonio de Beatis, Freiburg im Breisgau 1905, S. 48-53

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