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Das Reisetagebuch von Antonio de Beatis

Niederlande - Flandern zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der Sicht des italienischen Kaplans Antonio de Beatis, dem Sekretär des Kardinals Luigi von Aragon.

„... Die Städte sind sehr sauber, besitzen im allgemeinen schöne Straßen, Plätze und Kirchen. Viele Häuser haben einen Garten mit etwas Kräutern, Rosen, Nelken, Lavendel oder Narden, und in Ermangelung von Reben sind die Stachelbeeren sehr in Gebrauch; es sind zwar viele Lauben in den Gärten und in den Straßen vor den Haustüren mit Reben bepflanzt, die aber entweder keine Frucht bringen oder nur späte und unreife Beeren ohne Geschmack hervorbringen; eßbare Weinbeeren gibt es dagegen nicht, da sie nicht ordentlich reifen können. Die meisten Häuser haben hölzerne Fassaden und im übrigen Backsteinmauern wie im oberen Deutschland. Jedoch sind in Antwerpen, Mecheln, Brüssel, Gent, Brügge und einigen andern größeren Städten viele Häuser ganz aus Stein und reinlich gehalten, und die hölzernen verletzen das Auge keineswegs, sondern erfreuen es. Das Täfelwerk in den Zimmern, die Türen, Fenster und was sonst von Holz sichtbar ist, wird aus Eichenholz gemacht, das von lichtfahler Farbe und in der Art wie Kamelott gewellt ist; es ist stark und läßt sich sehr gut verarbeiten. Die Betten sind nicht so groß wie im oberen Deutschland, auch mit Federn, mit Verzierungen ringsum und oberhalb aus geschnitztem und durchbrochenem Eichenholz. Und in der Tat werden in Deutschland wie in Flandern ausgehauene Arbeiten in Stein wie in Holz sehr fein hergestellt, wiewohl es in Deutschland kein Eichenholz gibt (!); in Italien gibt es wohl welches, es hat aber keine Ähnlichkeit mit dem in Flandern gebräuchlichen, das zu Wasser aus Rußland und von den Gebirgen kommt; nirgends wird es aber so gut verarbeitet wie in Flandern, besonders zu gewissen Schränken, die man in allen Zimmern sieht und die sehr schön sind. ... Und es befinden sich überall hohe und sehr spitze Kirchtürme und schöne Glocken. Ihre Uhren gegen von 12 zu 12 Stunden, von der Mittagsstunde anfangend; und ehe die Stunden schlagen, ertönen, um die Leute aufmerksam zu machen, gewisse Anschläge an den Glocken in einem mehrmaligen wohlgestimmten Dreiklang; an vielen Orten schlägt es auf solche Weise auch die halben Stunden. ...

das Töten einer Kuh
Das Töten von einer Kuh vor einem Fleischstand

Kühe und Schafe besitzen die Bewohner in großer Zahl, aber wenig Ziegen. Die Weidplätze sind herrlich. Die Kühe sind viel größer als in Deutschland, es gibt wenig rote, meist schwarz und weiß gefleckte, auch ganz schwarze, und andere graue mit kleinen moschusfarbenen Flecken, was so hübsch aussieht, daß man sich bei solchen Tieren nichts Hübscheres wünschen könnte. Die Schafe haben so feine Wolle, daß sie wie Seide aussieht. Die Bauern machen gute Käse, darunter auch einen, der dem Quarkkäse gleicht, aber nicht ganz frisch, sondern einige Tage alt gegessen wird; es gibt auch noch einen andern grünen Käse, den sie gern essen, und der, soviel wir hörten, wie in Deutschland mit dem Saft mehrerer wohlriechenden Kräuter gemacht wird und sehr pikant schmeckt. Die Pferde und Lasttiere sind sehr groß, besonders in Holland. Hier sind die Leute, außer der Sauberkeit an den Kleidern und an ihrer Person, so peinlich darum besorgt, die Stubenböden in den Häusern nicht zu beschmutzen, daß sie vor allen Zimmern Tücher haben zum Abputzen der Füße vor dem Eintritt, und daß sie die Stubenböden mit Sand bestreuen. Wenn in einem Hause ein männliches Kind geboren wird, so wird zum Zeichen am Türklopfer (wie man diese hier an allen Haustüren hat) ein Taschentuch angebunden; und wenn sich der größte Verbrecher und Übeltäter, und wenn er tausend Menschen ermordet hätte, in ein solches Haus flüchtet, solange die Kindbetterin nicht zur Kirche geht, was, wie es auch in Italien Sitte ist, innerhalb 40 Tagen geschieht, so ist er hier ganz sicher und die Gerechtigkeit kann ihn in keiner Weise fassen. In ganz Flandern gibt es viel Kohl, besonders Kopfkohl, und in Holland werden die Kohlköpfe, wie man sagt, zuweilen so groß, daß ein Mensch an einem einzigen genug zu tragen hat; und sowohl in Flandern wie in Deutschland versieht man sich mit großen Vorräten davon, mit Salz eingemacht, um es im Winter, wenn das ganze Land mit Schnee bedeckt ist, auf verschiedene Weise zubereitet zu essen. Alle Frauen tragen gewöhnlich sehr feine Schleier auf dem Kopf, die in Holland oder Cambrai hergestellt sind. Sie tragen enge Röcke, durch die sich der ganze Körperbau abzeichnet, meist aus schwarzer Serge, über einen Unterrock; und wenn sie sich an eine Arbeit machen, so nehmen sie die Rocksäume vorn und hinten auf und befestigen sie an einem Haken, den sie zu diesem Zweck an einem Gürtel tragen. Sie sind in der Regel groß und dabei frisch und gesund, weiß und rot, von lebhafter Gesichtsfarbe, ohne Schminke oder künstlichen Anstrich zu brauchen. Sie tragen feine Strümpfe und zwei Finger hohe Pantoffeln sowie Mäntelchen, woran sich eine gefältelte Kapuze befindet, mit einem Zipfel vorn an der Stirn, ähnlich der Tracht unserer Frauen in Bari ... Man kann jedoch nicht leugnen, daß sowohl in Deutschland als überall in den Niederlanden die Frauen, sei es wegen des Butter- oder wegen des Biergenusses, im allgemeinen alle schlechte Zähne haben, jedoch keinen schlechten Atem, da sie gesund sind und einen sehr guten Magen haben; wenn aber eine von den Schönen gute Zähne hat, so kann man wohl sagen, daß sie schöner als alle Schönen ist ... Die Einwohner pflegen eine gewisse Erde [= Torf] statt Kohlen zu brennen, die in großer Menge vorhanden ist und sehr gut brennt. Der Wein ist zwar teurer als in Deutschland, doch hat man in allen Gasthäusern gute weiße und rote Sorten. Es gibt treffliches Fleisch, Hühner und zahlreiche Kaninchen, nicht viele Feldhühner und Fasanen. Zur Zubereitung der Speisen nehmen sie statt des Öles, das sie nicht haben, außer Nußöl, immer Butter. Da der Kardinal [Luigi von Aragon] zwei Köche mit sich führte, von denen der eine immer mit dem Fourier vorausreiste, um Vorbereitungen zu treffen, so pflegte weder er, noch seine Begleitung von dem zu essen, was die Leute selbst gekocht hatten; nur um zu probieren, aß man zweimal in Deutschland und in Flandern Fleisch und Fisch (wie sie es dort kochen), es schmeckte aber nicht so gut wie in Frankreich, wo sie bessere Methoden haben, die Speisen auf tausenderlei Art schmackhaft zuzurichten ... Und sowohl in Deutschland als in Flandern gibt es keine noch so kleine Vereinigung von Bauernhäusern, die nicht einen Quadranten hätte zum Anzeigen der Stunden ohne Sonne, künstlich angelegt mit Gegengewichten und Rädern, wie die Uhren, obwohl sie nicht schlagen ... Die feine Leinwand von Holland und Cambrai wird größtenteils in den Frauenklöstern gearbeitet, deren es dort eine große Zahl gibt. Von Hanf, der nicht wie der italienische, sondern fast so fein wie unser Flachs ist, machen sie die andere Leinwand, die sie halbholländische Leinwand nennen, die etwas gröber und nicht so breit ist, zum Hausgebrauch. Solche Leinwand wird überall in den Niederlanden hergestellt, die schönste und in größter Menge aber in Holland, weshalb sie auch nach diesem Lande benannt wird. Dabei ist zu bemerken, daß, wenn nicht Flachs und Hanf aus Rußland und andern Ländern eingeführt würde, der im Lande wachsende nicht zum kleineren Teil das Bedürfnis decken würde. Die Leinwand machen sie so weiß durch klares Wasser, indem sie dieselbe bei Nacht unter freiem Himmel und bei Tag an der Sonne auf Matten stehen lassen und oftmals, so oft sie trocken wird, immer wieder mit klarem kalten Wasser begießen. Den Flachs und Hanf rauft man aus, wenn er noch ziemlich grün ist, und läßt ihn gern in schlammigem, faulem Wasser ausreifen. Wenn die Frauen dieses Geschäft des Flachs- und Hanfraufens besorgen, so pflegen ihrer viele zusammen in den Straßen zu tanzen und die Reisenden aufzuhalten, indem sie ihnen die Steigbügel und die Beine mit Flachs an die Steigriemen festbinden und sie nicht loslassen bis sie ein Geldgeschenk geben; von dem, was sie so zusammenbekommen, machen sie sich, wenn sie mit dem Raufen und Herrichten des Flachses fertig sind, einen vergnügten Tag. Die eigene Sprache der Niederländer, die übrigens fast alle auch Französisch sprechen können, ist viel weicher als das Hochdeutsche, und in vielen Worten stimmen sie nicht überein, so daß sie sich gegenseitig nicht gut verstehen können. Das Bier ist in diesen Gegenden besser als in Deutschland und wird in sehr großer Menge gebraut. Es existieren hier unzählige Windmühlen. Es gibt viele Weichsel, Pflaumen, Birnen, Nüsse und Haselnüsse; sehr gute Meerfische aller Art, schwarze Muscheln und sehr zarte, wenn auch nicht sehr große Austern; Flußfische, besonders Störe und Salme; Weizen, Roggen und Hafer in großer Menge, und Hülsenfrüchte außer Kichererbsen. Am 10. August war Korn [Weizen und Roggen] und Hafer noch nicht reif. Seit wir die Niederlande betraten, verging fast kein Tag, an dem es nicht geregnet und gestürmt hätte, so daß uns der dortige Juli und August vorkam wie der November in Rom ... Die Leute sind gut und liebevoll sowohl im oberen Deutschland als in den Niederlanden, und vor allem so ehrlich, daß, wenn ihnen alles Gold der Welt im Hause hingeworfen würde, sie es nicht anrühren würden. Die Wirtschaften gelten als die besten, und die Frauen sind so tüchtig, daß sie anordnen, Rechnung führen und alles machen; auch im Kaufen auf den Plätzen und im Verkaufen ... Und es gibt viele Frauen, welche über Altäre verfügen und Reliquien von Heiligen in ihrem Besitz haben, was wohl nicht zu billigen ist, aber der großen Frömmigkeit des weiblichen Geschlechtes und dem guten Glauben dieses Volkes zugeschrieben werden kann ... Die Priester lesen sehr lang an ihren Messen, wobei sie in verschiedenen Dingen von den Italienern abweichen; und sie lesen sie so leise, daß niemand es versteht, und lassen sich weder von den Meßdienern noch von andern Personen antworten; und am Schluß jeder Messe geben sie allen Umstehenden das Weihwasser.“


Lese-/Videotipps:
  • Ludwig Pastor: Die Reise des Kardinals Luigi d'Aragona durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Oberitalien, 1517-1518, beschrieben von Antonio de Beatis, Freiburg im Breisgau 1905, S. 68-74

als Buch und als E-book

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