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Begegnungen mit Zeitgenossen der Renaissance

Jan van Eyck: Der Kanonikus Georg van der Paele, 1434-1436

Der Kanonikus Georg van der Paele
Der Kanonikus Georg van der Paele, 1434-1436

Sehhilfen

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts konnte den weitsichtigen Herren und Damen zum ersten Mal durch die Erfindung der Brille beim Lesen geholfen werden. Diese bügellose Sehhilfe, die ihren Halt nur auf dem Nasenrücken fand, entsprach aber selbst im 15. Jahrhundert nicht überall unserer Qualität. Denn die Gläser waren sehr häufig aus Bergkristall und nicht aus Glas gefertigt worden. Aber wie heißt es so passend: „Lieber den Spatz in der Hand ...“

Die kurzsichtigen Männer und Frauen erhielten ihre ersten Sehhelfen in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Die besten Gläser diesbezüglich wurden in Florenz produziert. Es wundert daher nicht, dass der mailändische Herzog Francesco Sforza sich deshalb an seinen Gesandten in Florenz, Nicodemo Tranchedini, mit folgendem Auftrag wandte: „Da es viele gibt, die uns um Brillen bitten, die in Florenz produziert werden, denn es heißt ja, dass sie dort perfekter als an irgendeinem anderen Platz in Italien hergestellt werden, wünschen wir und beauftragen wir Dich, uns drei Dutzend dieser genannten Brillen zu schicken. Sie sollen, damit sie nicht zu Bruch gehen, in Kästchen versandt werden. Genau gesagt, ich wünsche ein Dutzend, die geeignet sind für das Sehen in der Ferne, d. h., für die jungen Leute (= Brillen für die Kurzsichtigen); ein Dutzend, die geeignet sind für das Sehen in der Nähe, d. h., für die alten Leute (= Brillen für die Altersweitsichtigen); und ein drittes Dutzend für die ‚Normalsichtigen‘ (= Brillen also für die, die eigentlich keine Sehhilfen benötigten) ...“ (in: Eyeglasses and concave lenses in fifteenth-century Florence and Milan. New Dokuments*, S. 341-360, in: Vincent Ilardi: Studies in Italian Renaissance. Diplomatic History. London 1986, S. 345). Brillenträger hatten nämlich schon damals den Ruf, sehr intelligent zu sein. Deshalb ließen sich Leute, die sich ihren Mitmenschen gegenüber als besonders gescheit zeigen wollten, ebenfalls mit Brillen versorgen!

Der sächsische Kurfürst August (1526-1586) wurde mit dem Alter sehr kurzsichtig, was ihn sehr bei der Jagd behinderte. Über seine Vorstellungen, wie seine ideale Brille aussehen sollte, lesen wir Folgendes: "... Er [der Kurfürst August] besaß allerdings schon früher einen sogenannten Nasenquetscher ... Als aber seine Augen mit den zunehmenden Jahren an Schärfe verloren ... beauftragte [er] Paul Buchner, 'den Schraubenmacher', er solle ihm 'einen Ring ums Haupt mit einem Haken machen lassen, daß man die Brille daran hängen könne, und nicht auf die Nase setzen dürfe und zwar so, daß man den Haken, darein man die Brille hänge, entweder zudrücken oder mit einem Schräublein, wie sich am füglichsten schicken werde, zuziehen könne, damit die Brille beständig vor dem Gesicht hänge.' Paul Buchner wandte sich an einen Goldschmied ... der den Ring so machen sollte, 'daß man ihn zu kleinen Brillen brauchen und für die Augen hängen könne.'" (in: Karl von Weber: Anna Churfürstin zu Sachsen, geboren aus königlichem Stamm zu Dänemark. Ein Lebens- und Sittenbild aus dem sechszehnten Jahrhundert, Leipzig 1865, S. 301). Wie sich herausstellte, war die Erstellung des Brillengerüstes weniger ein Problem als die Beschaffung des Glases. Gutes Brillenglas gab es nämlich zur Zeit des sächsischen Kurfürsten August nur in Venedig und hier nur zu hohen Preisen: "für ein Stück fünfzig Thaler und für ein kleineres Glas zwanzig Thaler". (in: Karl von Weber: Anna Churfürstin zu Sachsen, geboren aus königlichem Stamm zu Dänemark. Ein Lebens- und Sittenbild aus dem sechszehnten Jahrhundert, Leipzig 1865, S. 302).


Lesetipps:
  • Eyeglasses and concave lenses in fifteenth-century Florence and Milan. New Dokuments*, S. 341-360, in: Vincent Ilardi: Studies in Italian Renaissance. Diplomatic History. London 1986

als Buch
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