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Begegnungen mit Zeitgenossen der Renaissance

Hans Holbein der Ältere: Bildnis des Augsburger Dominikanerpriors Dr. Johannes Faber

Dominikanerprior Dr. Johannes Faber
Bildnis des Augsburger Dominikanerpriors Dr. Johannes Faber

Scharfe Kritik am Mönchswesen von Erasmus von Rotterdam

„Dem Glück dieser Menschen (gemeint sind die Kleriker) am nächsten stehen jene, die vom Volk religiöse Menschen und Mönche genannt werden, beides aber völlig zu unrecht, denn die Mehrzahl von ihnen ist von einer religiösen Lebensweise weit entfernt, und niemanden trifft man so oft wie sie an allen Ecken und Enden. Unvorstellbar elend wäre ihr Leben, käme nicht ich (Frau Torheit) ihnen in vieler Hinsicht zu Hilfe. Obgleich jedermann diesen Menschen so sehr verwünscht, daß es für eine Ankündigung nahen Unglücks gehalten wird, ihnen zufällig zu begegnen, sind sie dennoch über alle Maßen in sich selbst verliebt. Zunächst würdigen sie es als höchste Frömmigkeit, sich so weit von jedem Buchstaben entfernt zu halten, daß sie nicht einmal lesen können. Ferner glauben sie, den Ohren der Götter ein besonderes Vergnügen zu bereiten, wenn sie ihre Psalmen, die ihnen täglich zugeteilt werden, die sie aber nicht verstehen, mit Eselsstimmen in der Kirche erschallen lassen. Einige verstehen es sogar, Schmutz und Armut gut zu verkaufen und vor den Türen mit viel Jammern und Stöhnen aufdringlich Brot zu fordern. In jedem Gasthaus, in jedem Reisewagen, auf jedem Schiff drängen sie sich auf, sehr zum Schaden der übrigen Bettler... Was aber besonders lächerlich erscheint, ist die Tatsache, daß sie alles genau nach Vorschrift ausführen, gleichsam als folgten sie einer mathematischen Notwendigkeit, die zu umgehen Sünde ist. Eine genau festgelegte Anzahl Knoten ist für das Zuschnüren der Schuhe vorgesehen, die Farbe des Gürtels ist genau bestimmt, die Kutte aus unterschiedlichen Teilen zusammengenäht, ihr Stoff aus vorgeschriebenem Material und ihr Gurt eine genau festgelegte Anzahl Finger breit. Fest vorgeschrieben ist ferner, von welcher Form die Kapuze sein muß und wie viele Scheffel sie fassen darf, wie breit der Haarkranz nach der Tonsur sein muß und wie viele Stunden Nachtruhe vorgesehen sind... Am Tage des (Jüngsten) Gerichts wird der eine (Mönch) seinen Bauch vorzeigen, der von Fischen aller Art rund geworden ist, ein anderer wird hundert Scheffel Psalmen hervorsprudeln. Ein dritter wird Myriaden Fasttage aufzählen und es sich als Verdienst anrechnen, wie oft sein Magen nach der Fastenzeit bei einem einzigen Frühstück fast geplatzt wäre; ein weiterer wird eine Unzahl Zeremonien herbeischleppen, die kaum von sieben Lastschiffen gefaßt werden können. Dieser rühmt sich, sechzig Jahre lang niemals Geld angefaßt zu haben außer mit Fingern, die durch doppelte Handschuhe geschützt waren; jener wird seine Kutte vorweisen, die so schmutzig und grob gewebt ist, daß nicht einmal ein einfacher Seemann sie an seinem Körper tragen möchte. Ein weiterer wird darauf hinweisen, daß er mehr als fünfundfünfzig Jahre wie ein Schwamm sein Leben verbrachte, festgewurzelt die ganze Zeit über an ein und demselben Ort; ein anderer wird anführen, daß er durch andauernden Chorgesang heiser wurde, ein weiterer wird vorweisen, daß er in der Einsamkeit sich der Gleichgültigkeit überließ, und jener schließlich wird daran erinnern, daß durch das lange Schweigen seine Sprache ungeübt und schwer wurde. Christus aber wird ihre endlosen Selbstverklärungen unterbrechen und sagen: ‚Von woher kommt dieses neue Judengeschlecht? Nur ein einziges Gebot habe ich als mein Vermächtnis gestiftet, und davon allein höre ich kein Wort! Einst habe ich offen und ohne jede Hülle eines Gleichnisses das Erbe meines Vaters verheißen, aber nicht für das Tragen von Mönchskutten, nicht für das Plappern von Gebeten oder für langes Fasten, sondern für die Werke der Nächstenliebe.‘“ (in: Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit, Frankfurt a. M. 1979, S. 104-108)


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