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Begegnungen mit Zeitgenossen der Renaissance

Tizian: Ludovico Ariosto, um 1510

Ludovico Ariosto, um 1510
Ariosto, um 1510

Ariosto, der bedeutendste Epiker in Italien

Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei diesem dreist blickenden Herrn um den bedeutenden italienischen Dichter Ludovico Ariosto. Sein Freund Tizian (Abb. 145) hatte von ihm noch ein weiteres Porträt um 1511-1512 erstellt (Abb. 146). Ariosto oder Ariost, der am 8.9.1474 in Reggio Emilia (in der Herrschaft Ferrara) geboren wurde, war von Beruf Latinist und Komödiendichter. Seine Komödien schrieb er – revolutionär für seine Zeit – nicht in Latein, sondern in Italienisch. Sein Hauptwerk war der „Rasende Roland“, der ihm schon zu Lebzeiten nicht nur in Italien, sondern auch in anderen europäischen Staaten großen Erfolg einbrachte. Gelesen wurde dieses Buch in allen Schichten der menschlichen Gesellschaft. So erreichte der „Rasende Roland“ im 16. Jh. die erstaunliche Zahl von über 130 Ausgaben. Später sollte die Zahl der Drucke und Übersetzungen noch ins Unermeßliche steigen. Ariosto liebte besonders die Sagen- und Ritterdichtungen des Mittelalters und die griechische Mythologie und schrieb neben seinem Hauptwerk noch vier Komödien und eine beträchtliche Anzahl lateinischer und italienischer Gedichte und Satiren.

Tizian
Abb. 145: Tizian
Ariosto
Abb. 146: Ariosto, 1511-12
Isabella d´Este
Abb. 147: Isabella d´Este

Finanzielle Probleme kannte er als Hofdichter des Kardinals Ippolito d'Este und später von dessen Bruder, dem Herzog Alfonso d' Este, zu deren Ehren der „Rasende Roland“ geschrieben wurde, nicht. Beim weiblichen Publikum war Ariosto besonders beliebt gewesen, da er den Damen zu schmeicheln wußte und im Gegensatz zu den meisten Männern seiner Zeit, im weiblichen Geschlecht nicht die Inkarnation des Bösen sah. Von Isabella d'Este (Abb. 147), der Markgräfin von Mantua, wurde er geradezu vergöttert. Ihre Trauer um ihn wird anläßlich seines Todes am 6.7.1533 sehr groß gewesen sein.

Sein Hauptwerk, das im 17. Jh. in Vergessenheit geraten war, wurde zu Goethes Zeiten wiederentdeckt. Goethe selbst zählte sich zu den großen Bewunderern Ariostos. Bis zu Beginn des 20. Jhs. gehörte der „Rasende Roland“ in Deutschland, Frankreich und Italien zur allgemein verbreiteten Unterhaltungslektüre. In unseren Tagen wartet dieses große Werk mit Recht auf seine zweite Wiederentdeckung, denn es lohnt sich wirklich, sich in Ariostos ritterlich-mythische Traumwelt zu begeben.

Eine kleine Leseprobe:

„Jüngst“, sprach er (Richardett), „war´s der Schwester (der kriegerischen Bradamante) widerfahren,
Daß sie auf einem Ritt im nahen Hain
Verwundet ward von Sarazenenscharen,
Da ihr´s begegnet, ohne Helm zu sein.
Entsagen mußte sie den langen Haaren,
Um Heilung ihrer Wunde zu verleihn,
Die sie, gefährlich gnug, erhielt am Kopfe.
So strich sie durch den Wald mit kurzem Schopfe.

Sie kam zu eines Baches kühlen Wogen,
Und weil sie matt und müde sich befand,
Stieg sie vom Roß, der Helm ward abgezogen,
Und sie entschlief am weich begrasten Strand.
Kein Märchen, glaub ich, ist so hübsch erlogen,
Wie dieses Abenteur, das sie bestand.
Die Fürstin Spaniens, Fleurdespine heißend,
Kam durch den Wald, der Jagdlust sich befleißend.

Sie nun, die meine Schwester dort erspürte,
Die, ganz bewaffnet, nur das Antlitz nicht,
Anstatt der Spindel einen Degen führte,
Glaubt´einen Ritter sie mit Zuversicht.
Das Antlitz und die Männerbildung rührte
Ihr junges Herz, bestochen durchs Gesicht.
Sie lud zur Jagd sie ein, und fern von allen
Barg sie mit ihr sich in des Waldes Hallen.

An einsam abgelegnem Ort, wo jede
Besorgnis schwand vor Überfallsgefahr,
Wies sie allmählich durch Gebärd und Rede,
Wie tief ihr Herz vom Pfeil verwundet war;
Welch heft´ges Sehnen ihre Brust befehde,
Ward durch die Glut der Blick´und Seufzer klar.
Bald ward sie bleich, bald flammten ihre Wangen,
Und einen Kuß wagt´endlich ihr Verlangen.

Doch meine Schwester, die gar wohl erkannte,
Wie sehr das Fräulin sich in ihr geirrt,
Und die kein Mittel, ihr zu helfen, kannte,
Fand sich gar sehr verlegen und verwirrt.
Wohl besser ist´s, so dachte Bradamante,
Daß dieser Wahn durch mich vernichtet wird
Und daß ich als ein edles Weib mich zeige,
Denn als ein schlechter Mann, wofern ich schweige.

(Bradamante gesteht Fleurdespine, daß sie eine Frau ist, was jedoch im Fall von Fleurdespine keine Heilung ihrer Liebesleiden bringt)

Sie (Fleurdespine) rauft das Lockenhaar und schlägt die Wangen,
Indem sie selbst sich an sich selber rächt.
Oft weint mit ihr, von Mitgefühl befangen,
Die Schwester auch und läßt dem Gram sein Recht;
Doch von der Torheit dieses eitlen Strebens
Sie abzuziehn, sind Müh und Wort vergebens.

Nicht Tröstung, Hilfe soll man ihr erteilen;
Ihr Schmerz, ihr Jammern wächst nur immerfort.
Doch schneller scheint der Tag jetzt zu enteilen,
Die Sonne rötet schon des Himmels Bord.
Wer nicht die Nacht im Forste will verweilen,
Sucht jetzt allmählich einen sichern Port;
Und Bradamante wird gar sehr gebeten,
Mit jener in ihr nahes Schloß zu treten.

(Bradamante folgt Fleurdespine in ihr Schloß. Sie tauscht ihre Ritterrüstung gegen ein Frauenkleid, um Fleurdespine von ihren Liebesleiden zu erlösen. Es hilft nicht.)

Dasselbe Bett empfängt die beiden Schönen,
Doch ihre Ruh ist drum nicht einerlei.
Die eine schläft; die andre klagt mit Stöhnen,
Daß ihre Glut nur immer heft´ger sei.
Und muß sie manchmal auch dem Schlummer frönen,
So ist er kurz, voll eitler Träumerei.
Der Himmel, scheint ihr, habe mild gehandelt
Und die Genossin rasch zum Mann verwandelt.

Wie einem Kranken oft, wenn in den Wehen
Des glühnden Durstes Schlummer ihn befällt,
Sich alles Wasser, das er je gesehen,
Im ruhelosen Schlaf vor Augen stellt:
So läßt bei ihr des Traums Betrug geschehen,
Daß sie ihr Sehnen für befriedigt hält.
Sie streckt die Hand erwachend aus und findet
Sich stets getäuscht, sobald der Traum verschwindet.

(Bradamante kann das Leid ihrer Freundin Fleurdespine nicht mehr mit ansehen und bittet sie um Urlaub. Sie möchte nur kurz ihre Familie wiedersehen und verspricht, dann wieder zurückzukehren. Zu Hause angekommen, erzählt sie ihrer Familie von ihren Abenteuern und der großen Trauer Fleurdespines. Und wie es das Schicksal will, hat sie zufällig einen Zwillingsbruder, nämlich den Erzähler dieser Geschichte, Richardett, der seiner Schwester Bradamante sehr ähnlich sieht. Dieser nun stiehlt bei Nacht des Schwesters Rüstung und begibt sich zurück ins Schloß der Fleurdespine. Dort angekommen, gibt er sich als Bradamante aus. Er fährt fort in seiner Erzählung:)

In jenen Irrtum, ich sei Bradamante,
Fiel jedermann, so wie es dir erging;
Zumal da man Gewand und Roß erkannte,
Womit sie tags zuvor von dannen ging.
Die Fürstin (Fleurdespine), die mir schnell entgegenrannte,
Liebkoste mich, indem sie mich empfing,
Mit solcher Freud und Wonn in allen Zügen,
Als gäb´s für sie kein größeres Vergnügen.

Die schönen Arme schlingt sie ohne Weile
Mir um den Hals und küßt mich liebentbrannt.
Nun kannst du denken, ob ich Amors Pfeile
In meines Herzens Mitte nicht empfand.
Dann nimmt sie mich, führt mich in aller Eile
In ihr Gemach und löst mit eigner Hand
Vom Helm bis zu den Sporen mir die Waffen,
Und niemand anders hat dabei zu schaffen.

Sie läßt sodann ein prächtig Kleid sich geben
Und reicht es mir mit eignen Händen dar,
Bekleidet mich, als wär ich Mädchen eben,
Und bindet in ein goldnes Netz mein Haar.
Ganz sittsam auszusehn ist mein Bestreben,
Nichts macht, daß ich kein Weib sei, offenbar.
Die Stimme selbst, die leicht zum Argwohn führte,
Gebraucht ich so, daß niemand etwas spürte.

Dann traten wir in ein geräumig Zimmer,
Wo Fraun und Ritter, zum Empfang bereit,
Uns soviel Ehr erwiesen, wie man immer
Den Königinnen und Prinzessen weiht.
Hier lacht ich über manchen, der wohl nimmer
Vermuten mochte, was mein langes Kleid,
So Rüstiges und Mutiges versteckte,
Und mich mit lüstern gier´gen Blicken neckte.

Als mählich nun das Dunkel sich vermehrte
Und schon dem Mahl ein Ende war gemacht,
Wo alles, was die Jahrszeit nur gewährte,
Vorhanden war in größter Füll und Pracht:
So harrt´das Fräulein nicht, bis ich begehrte
Das zu empfahn, was mich hierher gebracht.
Sie trug mir freundlich an, bei ihr zu weilen
Und diese Nacht das Bett mit ihr zu teilen.

Nachdem die Fraun und Zofen fortgegangen,
Der Edelknaben und der Diener Schar,
Und wir im Bette ruhten, bei dem Prangen
Tagheller Kerzen, der Gewande bar,
Da fing ich an: (ihr die wunderliche Geschichte zu erzählen, daß er auf seiner Heimreise das Leben einer jungen Frau vor einem garstigen Fischer gerettet hätte. Und das sich daraufhin entpuppte, daß diese junge Frau eine Zauberin gewesen wäre, die ihm zur Belohnung versprach, ihm einen Wunsch zu erfüllen:)

'... Nicht Schätze waren mein Begehren,
Nicht große Herrschaft über Volk und Land;
Auch nicht in jedem Kampfe Siegesehren,
Nicht größrer Mut noch eine stärkre Hand
Nur dies: Sie soll ein Mittel mir gewähren,
Die Glut zu stillen, die in Euch entstand.
Doch wagt ich nicht, die Art ihr vorzuschreiben,
Die sollte ganz in ihrer Willkür bleiben.

(Und so wurde „sie - Bradamante“ zum Manne)
Und er fährt fort:

Wohl glaubtet Ihr (Fleurdespine) dies hohe Wunder nimmer,
Allein die Überzeugung ist nicht weit;
Und jetzt als Mann, wie einst als Frauenzimmer,
Bin ich, Euch zu gehorchen, stets bereit.
Befehlt mir nur, denn ich bin jetzt und immer
Zu eurem Dienst voll Lust und Munterkeit.'
So sagt ich ihr und ließ mit eignen Händen
Die Überzeugung völlig sie vollenden.

(Und dann geschah, was geschehen mußte.)

Und ohne Trommeln und Trompeten eilen
Wir nun in unsern Liebeskampf hinein;
Und Küsse, wie der Tauben Küss´, erteilen
Das Zeichen uns zum Rasch- und Langsamsein.
Wir kämpfen nicht mit Schleudern noch mit Pfeilen;
Die Festung nehm ich ohne Leitern ein,
Die Fahne wird gepflanzt nach kurzem Kriegen,
Und meine Feindin muß mir unterliegen.

War in der vor´gen Nacht mit bittern Klagen
Dies Bett erfüllt, mit Seufzern, heiß und schwer;
So ward es jetzt von Lust und von Behagen,
Von Scherz, Genuß und süßem Spiel nicht leer.
Des Efeus vielgebogne Ranken schlagen
Sich ums Gebälk mit nicht mehr Knoten her,
Als die uns jetzt aufs innigste vereinen
An Hals und Hüft und Brust und Arm und Beinen.

Die Sache blieb, ohn an den Tag zu kommen,
Zu unsrer Freude mondelang versteckt;
Doch endlich ward´s von jemand wahrgenommen
Und, schlimm für mich, dem König bald entdeckt...“
(in: Ariost: Der Rasende Roland, 1.Band. München. - 25.Gesang, S. 667-678)


Lesetipps:
  • Ariost: Der rasende Roland. Zwei Bände. Winkler Verlag. München

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