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Begegnungen mit Zeitgenossen der Renaissance

Hans Holbein der Jüngere: Bildnis von Sir Thomas More, 1527

Bildnis von Sir Thomas More, 1527
Bildnis von Sir Thomas More, 1527

Sir Thomas More

Der Rechtsanwalt, Staatsmann und zeitweilige Freund von Erasmus (Abb. 202), Thomas More, wurde am 6.2.1477/78 als zweites Kind und als erster Sohn von Sir John More (1453-1527/30) (Abb. 203) und seiner ersten Gattin, Agnes Graunger († vor 1490), der Tochter eines angesehenen und vermögenden Londoner Bürgers, in London geboren. Nach einer guten Schulausbildung schickte ihn der Vater im Alter von 14 Jahren auf die Universität von Oxford. Thomas sollte, wie es mittlerweile Familientradition geworden war, wie sein Vater und Großvater Jura studieren. Der junge Student jedoch interessierte sich mehr für die klassischen Sprachen: Latein und Griechisch, für die antiken Schriftsteller und für die Theologie. Dem Studium dieser Fächer ging er deshalb so lange nach, bis sein Vater ihm die finanzielle Unterstützung entzog und ihm sogar mit der Enterbung drohte. Erst daraufhin studierte Thomas Jura. 1501 besaß er bereits seine erste Anwaltspraxis, und 1510 wurde er in London, wie es der Vater wünschte, Richter in Zivilsachen. Schließlich gelang Thomas als erfolgreicher Anwalt und Richter der Karrieresprung zum Beamten der Krone und endlich zum Regierungschef. Am 2.5.1521 wurde er geadelt und für eine Amtsperiode von fünf Jahren zum Unterschatzkanzler ernannt. Zudem war er als Gesandter Heinrichs VIII. († 1547) tätig. Am 25.10.1529 erhob ihn der englische König schließlich zum Lordkanzler und Großsiegelbewahrer. Aber bereits am 16.5.1532 trat er von diesem Amt wieder zurück. Als offizielle Begründung wurden gesundheitliche Probleme genannt, in Wirklichkeit war er jedoch beim König in Ungnade gefallen.

Erasmus von Rotterdam
Abb. 202: Erasmus von Rotterdam
Sir John More
Abb. 203: Sir John More, 1527
John Fisher, Bischof von Rochester
Abb. 204: John Fisher, Bischof von Rochester

1534 forderte man ihn auf, den Eid auf das Nachfolgegesetz abzulegen, mit dem er erstens die erste Ehe Heinrichs VIII. für ungültig zu erklären, zweitens nur die Kinder von Anna Boleyn, der zweiten Gattin des Königs, als erbberechtigte Nachfolger und drittens die Suprematie des Königs über die englische Kirche anzuerkennen hatte. Aber wie John Fisher (1459-1535) (Abb. 204), der Bischof von Rochester, weigerte er sich, diesen Eid zu leisten. Sein Gewissen, so gab er vor Gericht kund, würde es ihm verbieten, entgegen seiner Glaubensüberzeugung zu handeln. So wurde er nach 445 Tagen Haft im Tower wegen Hochverrates angeklagt und zum Tode durch Erhängen, Schleifen und Vierteilen verurteilt. Heinrich VIII. wandelte die Strafe seines, wie er selbst betonte, ehemaligen Freundes jedoch in Tod durch Enthaupten um. Am 6.7.1535, 14 Tage nach der Enthauptung von John Fisher, wurde Thomas More hingerichtet. Seinen Kopf pflanzten die Schergen – wie üblich – zur Abschreckung auf der Themsebrücke auf. 1886 wurde Thomas von der katholischen Kirche selig-, 1935 von Pius XI. heiliggesprochen.

Wie sah Thomas More aus? Welche Charaktereigenschaften besaß er? Wie stand er zur Reformation?

Sein zeitweiliger Freund Erasmus beschrieb im Jahre 1519 sein Äußeres und seine Wesenszüge. Danach hatte Thomas More blaue Augen und dunkelblondes Haar und trug besonders beim Gehen die rechte Schulter etwas höher als die linke. Laut Erasmus war Thomas More stets freundlich, liebenswürdig und gutgelaunt. „Fröhliche Späße“ zu machen lag ihm mehr als sich „ernst“ und „würdevoll“ zu geben. Ja, er lachte gern und liebte es, seinen Spott mit anderen zu treiben. Er trank fast nur Brunnenwasser und mied, wenn es ging, Alkohol. An Speisen liebte er Rindfleisch, gesalzene Fische, schweres Hefebrot und besonders Milch- und Eierspeisen und Obst aller Sorten. Seine Kleidung – falls kein offizieller Anlaß vorlag – war sehr schlicht, da er wenig auf äußere Formen gab. Von Natur neigte Thomas More allzusehr zu einem ungebundenen und müßigen Leben. Er spannte sich sehr gern aus und liebte das Diskutieren leidenschaftlich. Ball-, Würfel- und Kartenspiele verabscheute er hingegen zutiefst. Laut Erasmus konnte Thomas More sich „fabelhaft geschickt“ – wenn er wollte – auf seine Gesprächspartner einstellen. Als Tierfreund sammelte er exotische Exemplare und hielt in seinem Hause Vögel verschiedenster Arten, zudem Affen, Füchse, Marder, Wiesel, Frettchen usw.

Geld bedeutete ihm nicht viel. Wenn Thomas More über sein eigenes Leben hätte bestimmen können, wäre er, wie er seinen Freunden versicherte, Schriftsteller geworden. So aber konnte er nur in seiner knappen Freizeit Verse, kleine Komödien- und Prosastücke schreiben und seinem Lieblingshobby, dem Lesen, nachgehen. Als Anwalt kümmerte er sich sehr um Menschen, die in Not gerieten. Einen besonders negativen Charakterzug von ihm brachte Erasmus aber auch zur Sprache: Thomas More formte die Menschen gern nach seinen Vorstellungen. Individuelle Züge und Wünsche seiner Familienmitglieder akzeptierte er nicht. Sie hatten so zu sein, wie er sie wollte. So mußte ihm seine zweite Frau, Alice Middleton (Abb. 205), die bis zu ihrem 40. Lebensjahr noch kein Musikinstrument beherrschte, jeden Tag das von ihm diktierte Musikstück vorspielen. Als alte Dame hatte sie noch das Zither-, Laute-, Monochord- und Flötenspielen erlernen müssen. Seine Kinder aus der ersten Ehe mit Jane Colt († 1511): Margaret (1505-1544) (Abb. 206), Elizabeth, geboren im Jahre 1506 (Abb. 207), Cecily, geboren im Jahre 1507 (Abb. 208) und John (1508-1547) (Abb. 209); Alice, die Tochter von seiner zweiten Frau aus deren erster Ehe, seine Adoptivtochter Margaret Giggs (1508-1570) (Abb. 210) und seine zahlreichen Mündel (Abb. 211) mußten jeden Tag das von ihm gestellte Übungspensum, z.B. das Schreiben eines Briefes in Latein, leisten. Würfel-, Karten- und Ballspiele waren im Hause Mores auch den Kindern verboten.

Alice Middleton, 1527
Abb. 205: Alice Middleton, 1527
Margaret More, die Gattin von William Roper
Abb. 206: Margaret More, die Gattin von William Roper, 1536
Elizabeth More, die Gattin von William Dauncey
Abb. 207: Elizabeth More, die Gattin von William Dauncey, 1527 (fälschlicherweise Lady Barkley bezeichnet)
 
Cecily More, die Gattin von Giles Heron
Abb. 208: Cecily More, die Gattin von Giles Heron, 1527
John More der Jüngere, 1527
Abb. 209: John More der Jüngere, 1527
 
angeblich Margaret Giggs, aber vermutlich Mother Iak (für Jackson)
Abb. 210: angeblich Margaret Giggs, aber vermutlich "Mother Iak" (für Jackson), die Amme und Kinderfrau des englischen Königs Edward VI. (Quelle: The Burlington Magazine, Vol. 93, No. 577, April 1951, S. 112)
Anne Cresacre, Mündel von Thomas More
Abb. 211: Anne Cresacre, Mündel von Thomas More und zukünftige Gattin seines Sohnes John, 1527

Lernen, Lernen und nochmals Lernen hieß die Devise. So wurden seine Kinder und Mündel schließlich in Latein, das Thomas wie seine Muttersprache beherrschte, in Griechisch, Theologie, Philosophie, Logik, Mathematik und Astronomie unterwiesen. Intellektuell und bildungsmäßig Unterlegene strafte Thomas More zudem mit Mißachtung. Zuweilen trieb er auch seine ironisch-bissigen Scherze mit ihnen und verhielt sich ihnen gegenüber oft taktlos und intolerant. Seine Gegner bekamen des Öfteren seine schroffe, sarkastische und harte Seite zu spüren. Ihnen gegenüber konnte er einen hochfahrenden und geringschätzigen Ton aufweisen.

Von anderen Zeitgenossen erfahren wir, daß er eine Zeitlang mit dem Gedanken gespielt hatte, in den Franziskanerorden einzutreten oder Priester zu werden. Vier Jahre lang hatte er als Student im Gästehaus der Londoner Kartäuser gewohnt, um am Leben dieser Gemeinschaft, die sich sehr strengen Regeln unterworfen hatte, teilzunehmen. Aber wie er selbst zugab, „konnte er die Sehnsucht nach einer Frau nicht abschütteln.“ Und so gab er seinen Plan, Geistlicher zu werden, auf, und nahm im Jahre 1504 Jane, die Tochter des Landadligen John Colt von Newhall in Essex, zur Frau. Als diese 1511 starb, heiratete er schon wenige Wochen später die sieben Jahre ältere Witwe des Seidenhändlers John Middleton, Alice Middleton. Aber auch in seinen beiden Ehen blieb er ein verkappter Geistlicher. So trug er unter seinen Gewändern stets ein aus Ziegenhaar gefertigtes Bußhemd, geißelte sich regelmäßig, unternahm Fußwallfahrten, stand jeden Morgen wie die Mönche um 2 Uhr auf und verbrachte bis 7 Uhr die Zeit in Arbeit und Gebet. Zudem war der Tag gefüllt mit Mittagsgebet, Heiligen Lesungen und der abendlichen Hausandacht. Außerdem half er den Armen und Kranken in seiner Umgebung und galt als unbestechlicher Richter, der vielen Bedürftigen die Anwaltsgebühren erließ.

Aus seiner berühmtesten Schrift „Utopia“, die im Jahre 1516 in Latein erschien, erfahren wir noch weiteres über ihn. So beschäftigte er sich in „Utopia“ unter anderem mit dem Problem des Räuberwesens in England. Seiner Meinung nach wurden die Bauern, die man von ihren Höfen verdrängte, um ihre Äcker zu Weiden umzufunktionieren, geradezu aus Armut zum Räuberwesen getrieben. Und warum? Nur um noch mehr Geld mit Wolle erzielen zu können. Die Reichen würden dadurch immer reicher, und den Armen bliebe nur noch das Betteln und Rauben. Thomas More forderte eine gerechtere Aufteilung von Geld und Eigentum. Zudem war er der Meinung, daß Räuber nicht wie Mörder mit dem Tode bestraft, sondern zum Frondienst auf gewisse Zeit verurteilt werden sollten. Wie Erasmus war er gegen Offensivkriege, da sie nichts bringen und nur die Kassen leeren und das Volk ruinieren würden. Die Jagd, den Zeitvertreib des Adels, hielt er für die unterste Stufe der Metzgerei.

Folgende Erklärungen von ihm lassen aber bezweifeln, daß die katholische Kirche wirklich wußte, wen sie da 1935 heiliggesprochen hatte. So vertrat Thomas More die Meinung, daß Selbstmord und Euthanasie erlaubt sein sollten, wenn man an einer schweren Erkrankung leiden würde, die sowieso zum Tode führen würde, oder wenn man "den Mitmenschen beschwerlich“ werden würde. Thomas More war auch für die Scheidung: „...wenn die Charaktere der Gatten nicht recht zueinander passen und beide einen andern Menschen gefunden haben, mit dem sie ein erfreulicheres Leben zu führen hoffen“ (in: Thomas More, Utopia, Basel 1981, S. 133/134). Dann sollten die ehemaligen Ehepartner auf beidseitigem Einverständnis hin das Recht auf Scheidung und erneute Heirat erhalten. Außerdem sollten seiner Ansicht nach auch Frauen – wenn auch bevorzugt verwitwtete und betagte – das Recht haben, Priester zu werden. Aus eigenen Lebenserfahrungen heraus war er natürlich für die Aufhebung des Zölibats bei Geistlichen.

Als er 1516 sein Werk „Utopia“ schrieb, war Thomas More noch für eine gewisse Toleranz in Glaubenssachen und gegen die Inquisition. Nur Gottlosigkeit sollte bestraft werden. Aber seit dem Auftreten von Martin Luther und der Reformationsbewegung können wir beobachten, daß Thomas More religiös intolerant wurde. Er leugnete von nun an die Mißstände der katholischen Kirche und zeigte nicht mehr das geringste Verständnis für die Ketzer. Im Gegenteil bejahte er nun alle Mittel, auch die der physischen Gewalt, um die Ketzerei auszurotten. Nachdrücklich forderte er für hartnäckige Glaubensabtrünnige sogar die Todesstrafe. Im Frühjahr 1531 wurden drei Ketzer verhaftet und von Thomas More in seinem Haus in Chelsea verhört. Laut der Ketzer wurden sie von ihm, der von sich selbst behauptete, „von Natur wehleidig zu sein“, geschlagen und gefoltert. Laut Thomas Mores sollten die Glaubensabtrünnigen „einen schlimmen, qualvollen Tod“ erleiden, wenn sie nicht den Anordnungen der Kirche, sondern dem Gebot ihres Gewissens folgten. Er selbst jedoch forderte für sich im Jahre 1535 Strafminderung, da er den Eid auf das Nachfolgegesetz nur wegen seines Gewissens nicht ablegen könnte. Aber auch ihm wurde keine Gewissensfreiheit gewährt. Er mußte ebenfalls sterben (Abb. 212).

Originalskizze von Hans Holbein dem Jüngeren im Hause des Thomas More
Abb. 212: Originalskizze von Hans Holbein dem Jüngeren im Hause des Thomas More: Elizabeth Dauncey, Margaret Giggs, Sir John More, Anne Cresacre, Sir Thomas More, John More der Jüngere, Henry Patenson ("Mädchen für alles" und Hausnarr), Cecily Heron, Margaret Roper und Alice Middleton (von links nach rechts), 1527

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