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Damals, im 16. Jahrhundert ...

Graf Christoph Ernst von Dietz (oder Diez)

Der Landgraf Philipp I. von Hessen (1504-1567) hatte im Jahr 1523 Christine (1505-1549), eine Tochter des sächsischen Herzogs Georg des Bärtigen, geheiratet, die ihm bis zum Jahr 1540 bereits folgende sieben Kinder geschenkt hatte: seine Tochter Agnes, geboren am 31. Mai 1527, seine Tochter Anna, geboren am 26. Oktober 1529, seinen Sohn Wilhelm IV. den Weisen, den zukünftigen Landgrafen von Hessen-Kassel, geboren am 24. Juni 1532, seinen Sohn Philipp Ludwig, geboren im Jahr 1534 und bereits ein Jahr später gestorben, seine Tochter Barbara, geboren am 8. April 1536, seinen Sohn Ludwig IV., den zukünftigen Landgrafen von Hessen-Marburg, geboren am 27. Mai 1537, und seine Tochter Elisabeth, geboren am 13. Februar 1539. Jedoch war diese Ehe laut Philipp I. nicht glücklich, denn er empfand gegenüber seiner Gattin keine Begierde und fühlte sich von ihr wegen ihrer Hässlichkeit und ihrem üblen Geruch abgestoßen. Deshalb war er auch mit anderen Frauen sexuelle Beziehungen eingegangen, die jedoch nicht ohne Folgen für ihn geblieben waren. Er hatte sich die Syphilis zugezogen, unter der er sehr litt. Um von ihr erlöst zu werden, versprach er Gott, mit dieser „Hurerei“ aufzuhören, aber er bräuchte zumindest eine andere Frau, die seine sexuellen Begierden befriedigen könnte. Die Reformatoren Martin Luther, Philipp Melanchthon und Martin Butzer zu Hilfe gerufen, rieten ihm schließlich zur Doppelehe, da sie in der Bibel mehrere Beispiele von Mehrfachehen fanden z. B. bei Jakob, der zwei Gattinnen, nämlich die hässliche Lea und die hübsche Rahel, besaß. So heiratete Philipp I. im Jahr 1540 eine gewisse Margarete von der Sale (oder von Saal) (1522-1566), die eine Tochter der Hofmeisterin seiner Schwester, Elisabeth von Rochlitz, war.

Die nächsten neun Jahre waren für Philipp I. sehr gefährliche Jahre. Stand doch auf Bigamie laut der kaiserlichen Halsgerichtsordnung von 1532 die Todesstrafe (Ertränken im Sack oder Enthauptung). Erst nach dem Tod seiner ersten Gattin Christine im Jahre 1549 wurde die Lage etwas entspannter. Seine zweite Gattin, die hübsche Margarete, schenkte ihm noch neun weitere Kinder, seinen Sohn Philipp (1541-1569), seinen Sohn Hermann (1542-1568), seinen Sohn Christoph Ernst (1543-1603), mit dem wir uns noch etwas näher beschäftigen werden, seine Tochter Margarete (1544-1608), seinen Sohn Albrecht (1546-1569), seinen Sohn Philipp Konrad (1547-1569), seinen Sohn Moritz (1553-1575), seinen Sohn Ernst (1554-1570) und seine Tochter Anna (1557-1558). Außerdem konnte seine erste Gattin, Christine von Sachsen, nicht so abstoßend hässlich gewesen sein und "übel gerochen" haben, wie er den Reformatoren erzählt hatte, denn schließlich teilte er auch mit ihr noch das Bett. So brachte Christine von Sachsen ihm bis zu ihrem Tode im Jahre 1549 noch drei weitere Kinder auf die Welt, seinen Sohn Philipp II., den zukünftigen Landgrafen von Hessen-Rheinfels, geboren am 22. April 1541, seine Tochter Christine, geboren am 29. Juni 1543, und seinen Sohn Georg I., den zukünftigen Landgrafen von Hessen-Darmstadt, geboren am 10. September 1547.

Philipp I. liebte alle seine Kinder und konnte nicht verstehen, dass besonders sein ältester Sohn, Wilhelm IV., seine Halbgeschwister, die Kinder aus der Ehe seines Vaters mit Margarete von der Saale, so hasste. Aber Wilhelm IV. sah nur die Schmach, die sein Vater seiner Mutter angetan hatte. Er protestierte daher auf das Heftigste, als sein Vater die Söhne aus der zweiten Ehe zu Reichsgrafen von Nidda erheben wollte. Philipp änderte daraufhin am 6. April 1562 aus Zorn und Wut gegenüber seinem Ältesten sein bisheriges Testament, in dem er diesen zum Alleinherrscher der Landgrafschaft Hessen bestimmt hatte, und teilte das Land Hessen nun unter Wilhelm IV. und seinen Brüdern Ludwig IV., Philipp II. und Georg I. auf. Nach dem Tod Philipps I. am 31. März 1567 wurde Wilhelm IV. daher "nur" Landgraf von Hessen-Kassel. Seine drei jüngeren Brüder, Ludwig IV., Philipp II. und Georg I., begründeten die Linien Hessen-Marburg, Hessen-Rheinfels und Hessen-Darmstadt. Philipps Söhne aus der zweiten Ehe erhielten den Titel „Grafen zu Dietz“ (heute "Diez" geschrieben).

Nach Philipps Tod brach die schon lang erwartete Konfrontation zwischen den Halbbrüdern aus, aus der selbstverständlich die Söhne aus der ersten Ehe, da ihnen mehr militärische und juristische Hilfe zur Verfügung standen, als Sieger hervorgingen. So verloren von den sieben Söhnen Philipps aus seiner zweiten Ehe von 1568 bis 1575 sechs ihr Leben: im Jahr 1568 verschied Hermann im Alter von 25 oder 26 Jahren, im Jahr 1569 starben Philipp (27 oder 28 Jahre alt), Albrecht (22 oder 23 Jahre alt) und Philipp Konrad (21 oder 22 Jahre alt), im Jahr 1570 folgte Ernst (15 oder 16 Jahre alt) und im Jahr 1575 Moritz (21 oder 22 Jahre alt). Der einzige Sohn aus Philipps Ehe mit Margarete von der Saale, Christoph Ernst, der es im Gegensatz zu seinen Brüdern schaffte, 60 Jahre alt zu werden, verbrachte ungefähr 33 Jahre in Gefangenschaft auf dem „Schloß zu Ziegenhayn“, wo er schließlich im Jahr 1603 verstarb. Über sein Verbrechen, das ihm diese lebenslängliche Strafe eingebracht hatte, berichtet Karl von Weber im Folgenden ausführlich. Man sollte jedoch nie vergessen, dass diese Form von Verbrechen wohl des Öfteren von Adligen begangen worden war und in der Regel keine Bestrafung folgte. Nur wenn es im Interesse eines Adeligen lag, dagegen vorzugehen, werden die Zeitgenossen aus den unteren Ständen Gerechtigkeit erfahren haben.

Aber lassen wir nun Karl von Weber endlich zu Wort kommen: „Mehrere der Grafen [von Dietz oder Diez] waren im Jahr 1571 bereits gestorben, einige eines gewaltsamen Todes. Der eine, Christoph Ernst (geboren 1543), lebte auf dem Schloß Ulrichstein, er war, den niedrigsten Lüsten ergeben, der Schrecken der ganzen Gegend. Durch 'drei alte böse Kotzen' ließ er junge Mädchen von dreizehn bis sechszehn Jahren sich zuführen. Diese Kupplerinnen 'gaben sich für Krämerinnen aus und schwatzten den Eltern ihre Töchter unter dem Vorwand ab, daß sie Seife, Wurzel und dergleichen Kramwerk von einem Ort abzuholen hätten, welche ihnen die Mädchen tragen sollten.' Hatten sie so ein argloses Mädchen an sich gelockt, so brachten sie es Abends in ein Haus vor dem Schloß Ulrichstein, auf der Schnitten genannt. Hier fand sich dann ein Diener des Grafen ein, der das Mädchen in Augenschein nahm und wenn es seinen Beifall fand, mit der Kupplerin auf das Schloß geleitete. Es gingen hier nach den Aussagen der später abgehörten Zeugen ganz schauderhafte Scenen vor, indem der Graf, von den sittenlosen alten Weibern unterstützt, den armen Mädchen, mehrmals unter Bedrohung mit einem Dolch, Gewalt anthat. Er behielt sie öfters längere Zeit bei sich, eine sogar dreizehn Wochen lang, und gab den Geschändeten dann in der Regel zwei Thaler, welche die alten Megairen ihnen aber wieder abnahmen. Ein armes Kind suchte durch die Flucht zu entkommen, sie entkleidete sich, warf ihre Kleider in das heimliche Gemach und ließ sich dann in diesem an einem zusammengedrehten Betttuch herab, allein das Leinen riß und die Unglückliche zerschlug sich beim Falle die Kniescheibe. Mühselig kroch sie in den Hundegarten unter die Hunde, 'die ihr aber nichts gethan und mehr Mitleiden mit ihr, denn der Graf selbst gehabt.' Einmal mißhandelte er auch ein Mädchen, das sich seinen Lüsten nicht fügen wollte, so mit Schlägen, daß selbst einer seiner Spießgesellen Mitleid fühlte. Dieser drang in das Zimmer und entriß dem Grafen sein Opfer mit den Worten, 'er müsse kein barmherziges Herz haben, daß er das Mädchen nöthigen möge.' Jahrelang hatte der Graf seine Schandtaten ungerügt verübt, als endlich die Landgrafen Wilhelm, Ludwig und Philipp von Hessen gegen den Sünder einschritten, wie es in den Acten heißt, 'wegen unfläthiger unerhörter Schandlaster und Benothzwingung auf Wehklagen, Anrufen und Racheschreien der zum höchsten beleidigten und betrübten Eltern der geschändeten Kinder.' Die Landgrafen zogen, wie zu einem Feldzug gerüstet, mit dreihundert Mann zu Roß und fünfhundert Mann zu Fuß, sogar mit einigen Kanonen, in einer Aprilnacht 1570 vor das Schloß Ulrichstein. Nach einigen Schüssen wurden die Thore des Schlosses aufgehauen und Christoph Ernst mit seinen Dienern ohne Widerstand gefangen genommen. Von den Kupplerinnen ward die eine, welche am meisten Schuld traf, zum Säcken, die zweite zu Staupenschlägen und ewiger Landesverweisung verurtheilt, die dritte scheint sich durch Flucht der Strafe entzogen zu haben. Wegen Christoph Ernst wurden die Acten an die Universitäten zu Ingolstadt, Tübingen, Köln und Marburg versendet, welche übereinstimmend gegen ihn auf den Tod durch das Schwert erkannten. Sein Bruder, der Graf Moritz von Dietz, nahm sich aber Seiner an, er 'verritt' vom Hofe zu Cassel, an dem er lebte, zum Kaiser und brachte bei diesem in Gemeinschaft mit dem Grafen Hans Eberhard von Eberstein, der mit der Tochter der Margaretha von der Saal, Margaretha, vermählt war, eine Klage an.“ (in: Karl von Weber, Anna, Churfürstin zu Sachsen, geboren aus dem Königlichen Stamm zu Dänemark – Ein Lebens- und Sittenbild aus dem sechzehnten Jahrhundert, Leipzig 1865, S. 399-401). Es geht aus dem Bericht von Karl von Weber jedoch nicht hervor, ob Moritz beim Kaiser die Ausführung der Todesstrafe verhindern wollte, die in der Tat in eine lebenslängliche Haft umgewandelt wurde, oder ob er seine Ansprüche hinsichtlich der Herrschaften seiner verstorbenen und/oder gefangengesetzten Brüder mit Hilfe des Kaisers Maximilian II. durchsetzen wollte. So lesen wir nämlich: „Der Kaiser ertheilte in der Sache unter dem 7. Mai 1571 dem Markgrafen von Baden Auftrag, durch den am 16. Juni 1572 in Durlach eine Verhandlung gehalten ward, bei welcher des Grafen Moritz Ansprüche auf die fraglichen Herrschaften durch eine Geldabfindung beseitigt wurden.“ (in: Karl von Weber, Anna, Churfürstin zu Sachsen, geboren aus dem Königlichen Stamm zu Dänemark – Ein Lebens- und Sittenbild aus dem sechzehnten Jahrhundert, ebenda, S. 400-401).


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