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Frauenschicksale aus dem 15. und 16. Jahrhundert

Johanna die Wahnsinnige (1479-1555) - Ohne ihn kann ich nicht leben!

Johanna die Wahnsinnige
Abb. 8: Johanna die Wahnsinnige

Johanna die Wahnsinnige (Abb. 8) oder, wie ihr kastilisches Volk sie nannte, Juana la Loca wurde als drittes Kind von Isabella der Katholischen († 1504) von Kastilien und León und Ferdinand II. († 1516) von Aragón und Neapel-Sizilien am 6.11.1479 geboren. Ihre königlichen Eltern waren die Wegbereiter für den Aufstieg Spaniens zur Weltmacht im 16. Jahrhundert. Durch ihre Heirat im Jahre 1469 machten sie aus Spanien, das bisher aus vielen kleinen, rivalisierenden Herrschaftsbereichen bestanden hatte, ein vereinigtes Königreich.

Isabella die Katholische
Abb. 9: Isabella die Katholische

Isabella die Katholische (Abb. 9), Johannas Mutter, wird noch heute in vielen Biographien als eine schöne, wohlgestaltete Frau dargestellt, was nicht korrekt ist. Sie neigte schon von klein auf an zur Fettleibigkeit, und auch ihr Gesicht war wenig ansprechend. Der Historiker Felipe Fernández-Armesto beschrieb sie sehr treffend: "...sie besaß kein Kinn und ihr Gesicht glich einem Pudding mit einem Schmollmund und traurigen Augen, und ihre Figur war die meiste Zeit ihres Lebens hindurch geradezu würdelos." (in: Felipe Fernández-Armesto: Ferdinand und Isabella, London 1975, 29/30). Charaktermäßig wies sie außerdem eher männliche als weibliche Züge auf. Sie galt als hart, befehlshaberisch, unnahbar und furchteinflößend. Graf Baldassare Castiglione († 1529) konnte über sie folgendes berichten: "Abgesehen davon versichern alle, die sie gekannt haben, sie habe eine so wunderbare Herrschergabe besessen, daß es den Anschein hatte, als genüge ihr bloßer Wille, damit jedermann ohne Widerrede seine Pflicht tue und daß ihre Untertanen kaum in ihrem eigenen Hause und im geheimen etwas zu tun wagten, von dem sie glaubten, daß es ihren Unwillen erregen könne." (in: Graf Baldassare Castiglione: Frauenspiegel der Renaissance, Leipzig um 19128, S. 90). Solch eine furchteinflößende Frau war natürlich kaum in der Lage, ihren Kindern Liebe zu geben.

So waren Isabella auch Eigenschaften wie Schwäche und Unentschlossenheit völlig fremd. Und große körperliche Strapazen ertrug sie mit Gleichmut. Sie war es, die den Aufbau eines so großen Staates zu einem einheitlichen Organismus mit einer Spitze und einer Führung vollzog. Aber ihre Intoleranz in Glaubenssachen brachte vielen Spaniern den Tod oder zumindest die Verbannung. Seit 1492 ließ sie das vereinigte Königreich von Juden, seit 1499 von Mauren "säubern". Außerdem wurden die letzten maurischen Gebiete in Südspanien erobert.

Über das Seelenheil der verbliebenen Untertanen wachte sie streng. 1478 bekam Isabella vom Papst Sixtus IV. († 1484) eine Bulle übermittelt, die sie und ihren Beichtvater Thomas de Torqueda (1420-1498) ermächtigte, Inquisition und Ketzergerichte einzurichten und im eigenen Namen abzuhalten. 1481 brannte in Sevilla der erste Scheiterhaufen. Innerhalb von 12 Jahren sollen schließlich 13000 Menschen in den Flammen umgekommen und weitere hunderttausend zu lebenslänglichem Gefängnis oder Galeerendienst verurteilt worden sein. Für diese Grausamkeiten wurden Isabella und ihr Mann im Jahre 1496 "wegen ihrer großen Verdienste um Kirche und Christenheit" von Papst Alexander VI. († 1503) mit dem Ehrentitel "Katholische Majestäten" belohnt.

Johannas Vater, Ferdinand II. von Aragón, galt als habgierig, skrupellos, hinterhältig, schlau und gerissen. Er sah in der Inquisition weniger ein Instrument zur Vernichtung von Ketzern als eine nie versiegende Einkommensquelle, denn die Weigerung der Inquisitionsrichter, den Angeklagten mit den Anklagen und den Zeugen bekannt zu machen, und die Praxis der Konfiskation des Vermögens der Verdächtigten und ihrer Familien eröffneten natürlich Möglichkeiten des Mißbrauchs und verleiteten zur Verfolgung völlig Unschuldiger nur aufgrund von persönlicher Bosheit und Habgier.

Katharina von Aragón
Abb. 10: Katharina von Aragón, die erste Gattin von Heinrich VIII.

Von den 10 Kindern, die Isabella die Katholische gebar, blieben außer Johanna nur noch deren älteste Schwester Isabella († 1498), geboren 1470, ihr Bruder Juan († 1497), geboren am 30.6.1478, und ihre jüngeren Schwestern Maria († 1517), geboren 1482, und Katharina († 1536) (Abb. 10), geboren am 15.12.1485, am Leben. Wie ihre Geschwister erhielt Johanna eine strenge, fast asketische Erziehung, in der nicht die Liebe, sondern die Furcht den Ton angab. Johanna beherrschte wie ihre Schwestern mehrere Musikinstrumente und Sprachen, unter anderen z.B. Latein.

1490 wurde Johannas älteste Schwester Isabella, die wie ihre Mutter fanatisch in ihrer Religiosität und Intoleranz war, mit dem portugiesischen Thronfolger Alfonso verheiratet, der jedoch schon acht Monate später bei einem Sturz von seinem Pferd starb. So kehrte Isabella bereits 1491 als junge Witwe wieder an den Hof ihrer Mutter zurück.

1495 verhandelten Isabella und Ferdinand schließlich mit Maximilian I. († 1519) über Johannas Verheiratung sowie über die ihres Bruders Juan. Als Heiratsobjekte bot der Kaiser seine beiden Kinder Philipp, geboren 1478, und Margarete (Abb. 11), geboren 1480, an. Natürlich sollten diese Ehen aus rein politischen Gründen geschlossen werden. Karl VIII. von Frankreich hatte nämlich das Königreich Neapel erobert, das dem spanischen Haus Aragón gehörte. Johannas Vater, Ferdinand II. von Aragón, wollte nun zusammen mit Maximilian I. gegen diesen französischen Erzfeind der burgundischen und spanischen Adelshäuser in den Kampf ziehen.

Margarete von Österreich
Abb. 11: Margarete von Österreich

Schon zu Beginn des Jahres 1496 wurde Johannas Ehe mit Philipp dem Schönen in Valladolid und zwar – wie es zu dieser Zeit üblich war – in Stellvertretung oder, wie es wissenschaftlich heißt, "per procurationem" geschlossen. Als Bräutigamersatz diente ein gewisser Boudewijn, ein unehelicher Sohn des Urgroßvaters des Bräutigams, Philipp des Guten von Burgund († 1467). Da nur eine vollzogene Ehe nicht wieder zu lösen war, hatte der Stellvertreter des Bräutigams zur symbolischen Vollziehung des Beilagers sein entblößtes rechtes Bein einen Augenblick lang unter die Bettdecke der Braut zu stecken.

Im September 1496 traf Johanna schließlich in der Heimat ihres Mannes, dem Herzogtum von Burgund, ein. Die Trennung von zu Hause fiel ihr nicht sonderlich schwer. Sie vergötterte ihren Vater zwar, dafür aber haßte sie ihre Mutter um so mehr. Und zu ihren Geschwistern hatte sie nie Zugang gefunden. Schon als kleines Kind glaubte sie zudem, daß kein Mensch sie wirklich mochte, geschweige denn, sie lieben konnte.

Von ihren Zeitgenossen wurde die mittlerweile 16-jährige Prinzessin als die Schönheit in ihrer Familie beschrieben. Sie hatte mit ihrer Mutter allerdings mehr Ähnlichkeit, als sie sich wohl selbst gewünscht hatte. Besonders was ihre Gesichtszüge betraf, wies sie wie jene die gleichen vollen herunterhängenden Wangen auf. Ihr Haar war rötlich- oder dunkelblond, die Augen waren vermutlich von hellbrauner Farbe (nur in ihrem Braut-Porträt hatte ein Maler sie mit grün-blauen Augen gemalt). Im Gegensatz zu ihrer Mutter war sie jedoch von zarter und schlanker Gestalt. Sie galt als leidenschaftlich, sinnlich, sehr sensibel, verschlossen, launenhaft, aufbrausend und scheu und besaß eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Man hielt sie zudem für das intelligenteste Kind des spanischen Königspaares.

Als ihr Gatte schließlich in Antwerpen eintraf, um sie willkommen zu heißen – er war mit seinem Vater in Tirol auf der Jagd nach Gämsen und Hirschen gewesen –, war Johanna sofort leidenschaftlich in ihren schönen Mann verliebt. Und ihre Liebe traf auf Gegenseitigkeit. Am 20.10.1496 fand ihre Traumhochzeit statt.

Philipp wurde von seinen Zeitgenossen als sehr schön, fröhlich, großzügig, hochintelligent, sanftmütig und sehr freundlich beschrieben. Er hatte einen kräftigen, wohlproportionierten Körperbau und galt als begeisterter Jäger, hervorragender Reiter und geschickter Kämpfer. Außerdem besaß er die Fähigkeit, mit allen Menschen – ungeachtet seines hohen Standes – schlicht und formlos umgehen zu können. Für Johanna war er der Mensch, auf den sie ihr Leben lang gewartet hatte. Zum ersten Mal bekam sie das, was sie sich so sehr wünschte: Liebe.

Eleonore von Portugal und Frankreich
Abb. 12: Eleonore von Portugal und Frankreich

Das junge glückliche Paar nahm zunächst seinen Wohnsitz in Brüssel. Johanna dankte ihrem Mann für seine Zuneigung, indem sie sich sehr gebärfreudig zeigte. Am 15.11.1498 schenkte sie ihm ihr erstes Kind, Eleonore (Abb. 12), die nach Philipps Großmutter väterlicherseits genannt wurde. Am 24.2.1500 brachte Johanna ihr zweites Kind, einen Sohn, auf die Welt, der nach Philipps Großvater mütterlicherseits Karl genannt wurde. Bereits wenige Monate später kam es durch die vielen Todesfälle in Johannas Familie zu einer politisch höchst interessanten Entwicklung. Im Oktober 1497 war Johannas einziger Bruder, ohne einen Erben zu hinterlassen, gestorben. Auch der einzige Sohn von Johannas ältesten Schwester, die 1497 den Cousin ihres ehemaligen Schwiegervaters, Manuel von Portugal, geehelicht hatte und die 1498 bereits am Kindbettfieber gestorben war, erwies sich als nicht besonders lebensfähig. Am 20.7.1500 verschied er im Alter von noch nicht einmal zwei Jahren. Damit wurde Johanna zur Erbin des spanischen Königreiches, das neben Kastilien-León, Aragón und Neapel-Sizilien mittlerweile auch die westindischen Kolonien beinhaltete.

Isabella die Katholische befahl Johanna daraufhin, sofort nach Spanien zu kommen, da sie als neue Erbin Kastiliens den Treueid der Granden persönlich entgegennehmen müsse. Johanna ließ sich jedoch Zeit, da sie die erdrückende Allmacht ihrer Mutter fürchtete. Am 15.6.1501 brachte sie erst noch ihre Tochter Isabella (Abb. 13) auf die Welt, bevor sie sich dann schließlich zusammen mit ihrem Gatten auf die Reise nach Kastilien begab.

Die drei ältesten Kinder von Johanna der Wahnsinnigen: Karl (V.), Eleonore und Isabella
Abb. 13: Die drei ältesten Kinder von Johanna der Wahnsinnigen (von links nach rechts): Karl (V.), Eleonore (spätere Königin von Portugal und Frankreich) und Isabella (spätere Königin von Dänemark)

Hier in Spanien erfolgten nach dem frostigen Empfang von ihrer unnahbaren Mutter Johannas ersten Anfälle von Nervenschwäche, verbunden mit Ohnmachten und Wahnvorstellungen. Nur ein einziger Mensch konnte ihr bei ihren Ausbrüchen helfen. Der Autor einer Biographie über Johanna die Wahnsinnige, Johan Brouwer, wies ganz deutlich auf das einzige Heilmittel in solch einer Situation hin: "Philipp verfügte über ein unfehlbares Mittel, um die innerlich gequälte und aufgewühlte Frau wenigstens zeitweise zu beruhigen. Unter seinen Liebkosungen wurde die von ängstlichen Gedanken und Wahnvorstellungen zermarterte Johanna ruhig und vernünftig. Ihre körperliche und seelische Verbundenheit mit Philipp war derart vollkommen, daß, wenn er sich mit echter oder vorgetäuschter Zuneigung über sie beugte, ihre starren, wesenlosen Augen wieder glutvoll wurden und das so oft mit Schreckensbildern angefüllte Köpfchen vernünftiger Rede wieder zugänglich wurde." (in: Johan Brouwer: Johanna die Wahnsinnige, München 1978, S. 43-44).

Als Philipp am 19.12.1502 wieder abreiste und Johanna, die im siebten Monat schwanger war, in diesem Zustand nicht mitnehmen wollte, da der Heimweg direkt durch feindliches Gebiet führte – weil sein Vater wieder mit Frankreich Krieg begonnen hatte –, fiel diese in eine schwere Depression. Sie schlief nur noch selten und rührte kaum noch Nahrung an. Trotzdem brachte sie am 10.3.1503 einen gesunden Sohn, der nach ihrem Vater Ferdinand genannt wurde, auf die Welt.

Zwischen Johanna und ihrer Mutter kam es im Jahr 1503 zu immer heftigeren Zusammenstößen. Natürlich wußte ihre Mutter, die ein raffiniertes Spionagenetz in ihrem Reich entwickelt hatte, über alles genauestens Bescheid. Auch die für Johanna eingehenden Briefe wurden überwacht. Da Isabella über die in ihren Augen mißratene Tochter hier in Spanien mehr Kontrolle als in den Niederlanden ausüben konnte, verweigerte sie dieser die Heimreise zu ihrem Gatten. Ein Bischof, der im Auftrag der spanischen Königin handelte, ließ im Schloß La Mota, in dem Johanna lebte, sogar vorsichtshalber die Zugbrücken hoch. Johanna reagierte auf diese "Einkerkerung" mit einem Tobsuchtsanfall. Ihre Mutter mußte kommen, um die Tochter zur Vernunft zu bringen. Aber Johanna ließ sich nicht beruhigen. Sie haßte und sie fürchtete ihre Mutter über alles. Und sie ließ ihre ganze Wut an dieser Frau zum erstenmal aus. Isabella gestattete ihr daraufhin die Abreise im nächsten Frühjahr. Ihr kleiner Sohn Ferdinand blieb jedoch bei seinen Großeltern in Spanien zurück.

Am 11.4.1504 traf Johanna wieder in Brüssel ein. Ihre Freude, ihren Mann wiederzusehen, war sehr groß, aber bereits nach kurzer Zeit plagte sie die Eifersucht. Fast in jeder Frau vermutete sie eine Geliebte ihres Mannes. Mit Müh und Not konnte sie von Philipp davon abgehalten werden, diesen angeblichen Geliebten ihres Gatten mit Scheren oder Messern die Gesichter für immer zu verstümmeln. Mittlerweile wurde Johanna wirklich unberechenbar. Schließlich umgab sie sich nur noch mit maurischen Sklavinnen, die aus Spanien kamen und die entstellt waren, um Philipp durch ihre Hofdamen nicht in Versuchung zu bringen. Zudem saß sie stundenlang, tagelang in dunklen Räumen, verharrte dort unbeweglich und völlig in sich selbst zurückgezogen.

Gegen Ende des Jahres erfuhr sie, daß ihre Mutter am 26.11.1504 an einem Krebsleiden gestorben war. Isabella die Katholische hatte in ihrem Testament zuvor ihren Gatten Ferdinand II. zum Vertreter von Johanna bis zur Mündigkeit von deren Sohn Karl für Kastilien, Léon und die westindischen Kolonien bestimmt. Als Grund führte sie den Geisteszustand ihrer Tochter an, den diese von ihrer fanatisch religiösen und zur Melancholie neigenden Großmutter mütterlicherseits, Isabella von Portugal († 1496), der Irren von Arevalo, geerbt haben soll. Die kastilischen Cortes erkannten jedoch nur Johanna und ihren Gatten Philipp als ihre neuen Herrscher an.

Im September 1505 erließ Philipp von Brüssel aus die Weisung, daß die Inquisition in Kastilien einzustellen sei. Johanna, die als Kind des öfteren von ihrer Mutter gezwungen worden war, Verbrennungen von angeblichen Ketzern beizuwohnen, hatte ihren Gatten wohl dazu überredet. Auch ihre feindliche Einstellung gegenüber der Kirche ist aus diesen Kindheitserlebnissen zu erklären. Philipp ergriff schließlich gegen die polizeilichen und gerichtlichen Befugnisse der Inquisition einschränkende Maßnahmen, womit er sich bei dieser Institution natürlich keine Freunde machte.

Maria von Ungarn
Abb. 14: Maria von Ungarn, um 1530

Nachdem Johanna am 17.9.1505 ihr fünftes Kind (Abb. 14) auf die Welt gebracht hatte, das nach ihrer längst verstorbenen Schwiegermutter Maria genannt wurde, begab sich das junge Herzogspaar nach Kastilien. Dort verschied Philipp jedoch bereits am 23.9.1506 im Alter von 28 Jahren in den Armen seiner Gattin, nachdem er nach einem hitzigen Ballspiel – andere Quellen sprechen nur von einem Kartenspiel – einen kühlen Trunk zu sich genommen hatte. Fünf Tage lang versuchte Johanna vergeblich, mit aufopfernder Pflege ohne Rast und Ruh das Leben ihres Mannes zu retten. Mit ihm verlor sie schließlich den einzigen Menschen, der ihr Liebe und Kraft zum Weiterleben geben konnte.

Sofort wurde Johannas Vater – natürlich hinter vorgehaltener Hand – des Mordes verdächtigt, denn Philipp stand seinem Wunsch, über ganz Spanien zu regieren, im Wege. Schließlich waren Gift und Meuchelmord vor allem im 15. und 16. Jh. die klassischen Mittel zur Bekämpfung politischer Gegner. Und Ferdinand II. war nicht zimperlich, wenn es um seine Rechte und Machtansprüche ging. Es spricht jedoch vieles dafür, daß Philipp tatsächlich das Opfer einer bösartigen Fieberepidemie geworden war, die 1506 gerade in der Gegend Spaniens grassierte, in der sich das junge Herzogspaar aufhielt.

Nachdem nach mittelalterlichem Brauch der Leichnam Philipps zerlegt und sein Herz in einem goldenen Schrein nach Brügge gebracht und im Grabe seiner Mutter in der Kirche von Notrê Dame beigesetzt wurde, durfte Johanna den "körperlichen" Rest behalten, von dem sie sich nicht mehr trennen wollte. So hatte man sie schließlich in der Zeit der Aufbahrung daran hindern müssen, den Leichnam ihres Gatten in ihr Gemach zu schleppen. Und selbst noch fünf Wochen nach Philipps Beisetzung befreite sie seinen toten Körper von den ihn umgebenden Tüchern und küßte seine Füße. Nur unter Gewaltanwendung konnte sie vom entseelten Körper ihres Mannes getrennt werden. Fortan schleppte sie stets den Sarg ihres Philipps mit sich herum, ohne ihn aber erneut zu öffnen.

Vier Monate nach dem Tod ihres geliebten Mannes brachte sie noch ihr letztes Kind, Katharina, am 14.1.1507 auf die Welt. 1509 veranlaßte der machthungrige Ferdinand II. die Gefangensetzung von Johanna und deren jüngstem Kind im festungsartigen Schloß von Tordesillas bei Valladolid, um seine Tochter als potentielle Herrscherin auszuschalten und um endlich die Regentschaft Kastiliens ungestört übernehmen zu können. Johanna, die fortan unter strenger Aufsicht stand, blieb jedoch von Rechts wegen Königin. In ihrem Namen wurden sämtliche Entscheidungen getroffen, Gesetze erlassen und Urteile gefällt.

Johanna ist nicht die einzige und letzte Person in der Geschichte gewesen, die nur wegen der Machtbesessenheit eines Familienangehörigen oder eines Verwandten für immer hinter Mauern verschwinden mußte. 1515 wurde z.B. der Markgraf Friedrich IV. von Ansbach und Kulmbach-Bayreuth († 1536) von seinen Söhnen Kasimir, Georg und Johann zur Unterzeichnung einer vorbereiteten Abdankungserklärung gezwungen und ebenfalls gefangengesetzt. Er hatte jedoch Glück! Nach dem Tode seines Sohnes Kasimir 1527 kam er wieder frei.

Jedenfalls schreckte Johannas angebliche Geisteskrankheit Heinrich VII. von England, den Schwiegervater ihrer jüngsten Schwester Katharina, nicht davon ab, um ihre Hand zu bitten. Johanna lehnte jedoch ab. Hatte ein Mönch ihr doch von einem Prinzen erzählt, der 14 Jahre nach seinem Begräbnis ins Leben zurückgekehrt war. Vielleicht würde auch Philipp eines Tages wieder zu ihr zurückkommen!

Katharina von Portugal
Abb. 15: Katharina von Portugal

Und sie wartete 48 Jahre, bis der Tod sie von ihrem Leiden befreite. In der Zwischenzeit verwahrloste sie in ihrem Schloßgefängnis. Nur ihre jüngste Tochter Katharina (Abb. 15), die 15 Jahre der Gefangenschaft mit ihr geteilt hatte, gab ihr Kraft, sich nicht ganz aufzugeben. 1518 erhielt sie Besuch von ihren beiden ältesten Kindern, Eleonore und Karl, die zutiefst betroffen waren über die Armseligkeit, in der ihre Mutter und ihre Schwester lebten. Aber Johanna war ihnen fremd, deshalb unternahmen sie auch keine ernsthaften Anstrengungen, um ihr zu helfen, d.h. ihr das Leben angenehmer zu gestalten und zu erleichtern.

Nachdem man jedoch 1524 Katharina aus dem Gefängnis befreit hatte, um sie mit ihrem portugiesischen Cousin Johann III. zu verheiraten, ging es mit Johanna seelisch und körperlich noch weiter bergab. Liebe, die sie so dringend brauchte, bekam sie von dem sie bewachenden Personal nicht. Nicht einmal die lebensnotwendige Pflege wurde ihr zuteil. So verlauste sie, wechselte nicht mehr ihre Wäsche, machte unter sich, kämmte sich nicht mehr und schlief auf dem Fußboden. Man ließ ihr auch nichts, womit sie sich in ihren wachen Augenblicken beschäftigen konnte. Kein Buch, kein Papier und kein Schreibzeug war in ihrer kleinen Kammer zu finden.

Wurde sie gewaschen, achtete das Personal des öfteren nicht auf die Temperatur des Wassers, so daß ihr nicht nur die Füße, sondern zuweilen auch der Rücken und das Gesäß verbrannt wurden, die dann zu nässen, zu eitern und eine Form von Brand zu entwickeln begannen. Keiner ihrer Kinder nahm es sich zur Aufgabe, zumindest ab und zu nach dem Rechten zu schauen und die Dienstboten zu kontrollieren bzw. zur Rechenschaft zu ziehen. Ihr Tod am 12.4.1555 muß für Johanna eine reine Erlösung gewesen sein.

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