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Frauenschicksale aus dem 15. und 16. Jahrhundert

Margarete von Österreich (1480-1530) - Politikerin aus Leidenschaft

Margarete von Österreich
Abb. 16: Margarete von Österreich

Margarete (Abb. 16) kam als zweites Kind von Maximilian I. († 1519) und seiner ersten Gattin, Maria von Burgund (Abb. 17) († 1482), am 10.1.1480 in Brüssel im Palais Coudenberg zur Welt. Ihre Eltern, deren politisch motivierte Heirat im Jahre 1477 sich schon am ersten Tag zu einer glücklichen Liebesbeziehung entwickelt hatte, benannten sie nach der beliebten Stiefmutter Maria von Burgunds, Margarete von York (Abb. 18)(† 1503), der dritten Frau von Marias Vater, Karl dem Kühnen († 1477). Margaretes älterer Bruder Philipp, der später den Beinamen der Schöne erhielt, wurde am 22.6.1478 geboren. Ein jüngerer Bruder namens Franz, geboren am 2.9.1481, blieb nur wenige Wochen am Leben.

Maria von Burgund
Abb. 17: Maria von Burgund

Bereits am 27.3.1482 verlor Margarete ihre erst 25-jährige Mutter, die am Morgen des 6.3.1482 einige Kilometer von Brügge entfernt auf einer Falkenjagd von ihrem feurigen Zelter abgeworfen worden und gegen einen großen Baumstumpf gefallen war. Obgleich äußerlich keine Wunden entdeckt werden konnten, litt Maria unter großen Schmerzen und mußte mit Hilfe einer Sänfte nach Brügge transportiert werden. Drei Wochen lang versuchten die Ärzte ihr Leben zu retten. Jedoch führten wohl schwere innere Verletzungen, verbunden eventuell mit ihrer erneuten Schwangerschaft, letztendlich zu ihrem Tode. Bevor sie starb, bat sie noch ihre Stiefmutter, Margarete von York, die sofort nach dem Unfall an ihr Krankenbett geeilt war, die Aufsicht über ihre zwei Kinder, den vierjährigen Philipp und die zweijährige Margarete, zu übernehmen.

Margarete von York
Abb. 18: Margarete von York

Der Schmerz Maximilians über den Verlust seiner geliebten Frau war sehr groß. Die kleine Margarete wurde sogleich in die Obhut ihrer hochgebildeten, sehr frommen Stiefgroßmutter, Margarete von York, gegeben, die sich schon bei ihrer Stieftochter Maria von Burgund als liebevolle Ersatzmutter erwiesen hatte und die nun in Mecheln im alten Herzoghof, ihrem Witwensitz, lebte. Ihr vierjähriger Bruder Philipp blieb in Gent, deren Bürger nicht bereit waren, ihren neuen Herrscher an dessen in ihren Augen machtsüchtigen Vater, Maximilian I., der über seinen Sohn nur über Burgund zum Nachteil des Landes herrschen wollte, oder an dessen Verbündeten, Margarete von York, auszuliefern.

Bei ihrer Stiefgroßmutter blieb die kleine Margarete aber nur ein Jahr, da sie bereits als Dreijährige aufgrund des Friedensvertrages von Arras vom 23.12.1482, den die Flamen mit Ludwig XI. von Frankreich geschlossen hatten, als "Friedenspfand" mit dem französischen, 13-jährigen Thronfolger Karl VIII. verlobt wurde. Schon wenige Monate später schickte ihre Familie sie, wie es im Vertrag vereinbart worden war, an den Hof ihres zukünftigen Gatten.

So traf sie an einem Sonntag, den 23.6.1483, begleitet von Genter Bürgern, im fröhlich aufgeputzten Dorf Amboise ein, in dessen Schloß ihr Verlobter Karl seine unbeschwerte Kindheit in der Obhut seiner liebenswürdigen und zurückhaltenden Mutter Charlotte (1444-1483) verbringen durfte. In der Schloßkapelle wurde Margarete an diesem Tag in Anwesenheit der höchsten Adligen Frankreichs und von je zwei Vertretern sämtlicher großen Städte des Königreiches feierlich mit ihrem jungen Gatten vermählt. Als Mitgift hatte sie die von den Franzosen heißbegehrten Grafschaften Artois, Franche-Comté, Maçon und Auxerre und die Herrschaften von Salins, Bar-sur-Seine und Noyers mitgebracht.

Anne de Beaujeu
Abb. 19: Anne de Beaujeu

Margaretes neue Familie – nur ihre Amme, Madame de Bouzanton, durfte in Frankreich bleiben –, deren Mitglieder allesamt abgrundtief häßlich waren, bestand außer der freundlichen Schwiegermutter aus dem mißtrauischen und verschlossenen Schwiegervater Ludwig XI. (1423-1483), ihrem oft kränkelnden, nicht besonders intelligenten Gatten Karl VIII., der an den Schultern leicht deformiert war, und ihren beiden Schwägerinnen, der willensstarken und hochintelligenten Anne (Abb. 19) († 1522), geboren 1461, die seit 1473 mit Pierre von Bourbon, dem Grafen von Beaujeu, sehr glücklich vermählt war, und der buckligen und hinkenden Johanna († 1505), geboren am 19.5.1464, die seit 1476 die Gattin von Ludwig von Orléans, einem Enkel des gleichnamigen 1407 ermordeten Herzogs, war.

Louise von Savoyen
Abb. 20: Louise von Savoyen

Für Margaretes Erziehung war fortan ihre berechnende und weitsichtige Schwägerin Anne zuständig, die als Liebling ihres Vaters schon von Jugend an zu allen wichtigen politischen wie militärischen Entscheidungen herangezogen wurde und mit der Ludwig XI. seine Erfahrungen und geheimsten Gedanken teilte. Anne besaß wie ihr Vater die gleiche instinktive Schlauheit und konnte, wenn es sein mußte, ebenfalls über Leichen gehen. Für Margarete war ihre Schwägerin die erste Lehrmeisterin auf dem Wege, selbst eines Tages eine große Politikerin zu werden. Als Mitschülerin und Spielkameradin bot sich die vier Jahre ältere Louise von Savoyen (Abb. 20) an, mit der sie eine enge Freundschaft schließen sollte. Louise wurde jedoch schon im Alter von 11 Jahren mit dem 28-jährigen Karl, dem Grafen von Angoulême, verheiratet, dem sie 1492 eine Tochter, Marguerite, und 1494 einen Sohn, den späteren französischen König Franz I., schenkte.

Nachdem Margaretes Schwiegervater bereits im März und im Oktober 1481 zwei schwere Schlaganfälle erlitten hatte, starb er schließlich am 30.8.1483 an den Folgen einer Gehirnblutung. Die hohen Adligen versuchten die unsichere Situation nach seinem Tode sofort für sich auszunutzen, um ihre alten Vorrechte, die sie unter Ludwig XI. verloren hatten, wiederzugewinnen. Aber sie hatten keine Chance, denn Anne, die Regentin ihres minderjährigen Bruders Karl VIII., hatte mit ihrer Rebellion gerechnet. Im September 1485 mußten sich die hohen Adligen ergeben. Als Ludwig von Orléans zu Beginn des Jahres 1486 den jungen König entführen wollte, mißlang dies gleichfalls. Schließlich hatten sich auch die letzten und hartnäckigsten Unruhestifter nach ihrer schweren Niederlage bei Saint-Aubin-du-Cormier am 26.7.1488 dem Willen Annes zu fügen.

Für die kleine Margarete, die wegen ihres heiteren und freundlichen Wesens in ihrer neuen Heimat sehr beliebt war, waren die Jahre 1484-1488 in politischer Hinsicht sehr lehrreich. Denn ihre große, schlanke Schwägerin Anne mit ihren durchdringenden braunen Augen und ihrer stolzen Unnahbarkeit warf sämtliche Aufstände mit Waffengewalt nieder. Und das tat sie nicht nur passiv von ihrem Schreibtisch aus, sondern auch aktiv, denn sie begleitete ihre Kämpfer zu Pferd zu den militärischen Brennpunkten. Außerdem erhielt Margarete von ihr einen Unterricht, der das große Interesse der Regentin an den Künsten und Wissenschaften widerspiegelte. Zudem verstand Anne von Beaujeu es, bedeutende Künstler und Humanisten um sich zu sammeln, die Margarete somit ebenfalls in frühen Jahren kennenlernte. Anne, die wie Margarete jagdbegeistert war, wurde wegen ihres diplomatischen Geschickes, ihres entschlossenen Willens, ihrer Furchtlosigkeit und ihrer politischen Schläue für die kleine Habsburgerin neben Isabella der Katholischen zu ihrem großen politischen Vorbild.

Anna de Bretagne
Abb. 21: Anna de Bretagne

Im Westen Frankreichs hatte im Jahre 1488 nur noch das Herzogtum der Bretagne seine Selbständigkeit gegenüber der französischen Krone bewahren können. Als Franz II., Herzog dieses unabhängigen Herzogtums, am 9.9.1488 starb, war seine Erbin seine 1476 geborene Tochter Anne (Abb. 21), die ein zeitgenössischer venetianischer Gesandter als leicht hinkend (ein Bein war etwas kürzer als das andere), aber mit hübschem Gesicht, schwarzhaarig, schlank, zierlich und als sehr schlau beschrieb. 1489 knüpfte Margaretes Vater mit dieser jungen Erbin geheime Verhandlungen zwecks einer zukünftigen Eheschließung an.

Als im Dezember 1490 die Nachricht von Maximilians I. und Anne de Bretagnes Heirat per procurationem den französischen Hof erreicht hatte, wurden sofort französische Truppen ins Herzogtum geschickt, da Anne von Beaujeu eine Verbindung des deutschen Reiches mit der Bretagne für eine gefährliche politische Umklammerung des französischen Königreiches hielt.

Schließlich ließ die französische Regentin aus politischen Gründen auch die Ehe zwischen der mittlerweile 11-jährigen Margarete und dem 21-jährigen Karl VIII., die noch nicht körperlich vollzogen war, für ungültig erklären, damit ihr Bruder die Erbin der Bretagne heiraten konnte. Diese wiederum, die vergeblich auf Hilfe von Maximilian I. gehofft hatte, der in Ungarn wegen Erbfolgestreitigkeiten zurückgehalten wurde, war letztendlich gezwungen, dem französischen König im Loireschloß Langeais am 6.12.1491 das Jawort zu geben, da ihr Truppen zur Verteidigung fehlten.

Margarete, die mit ihren schwarzen Augen, ihrem dunkelblonden Haar und ihrer kleinen Nase sehr nach ihrer Mutter kam, fühlte sich in ihrem Stolz zutiefst verletzt, obwohl sie eigentlich als Frau über diesen Ausgang hätte froh sein können. Zwar neigte sie wie Maria von Burgund zur Korpulenz und hatte auch von ihrem Vater die dicke Unterlippe und das hervorstehende Kinn der Habsburger geerbt, aber trotzdem galt sie immer noch als eine Schönheit. Ganz im Gegensatz zu Karl VIII., der mit seinem mageren Gesicht, seiner vorspringenden Nase, seinen dicken Lippen und seinem leicht geöffneten Mund, seinen spindeldürren Beinen, seinem dicken Bauch und seinen krummen, verwachsenen Schultern ausgesprochen häßlich war. Außerdem hatte Margarete ihn bereits als 11-jährige größenmäßig fast um eine Kopflänge überholt. Der große florentinische Historiker Guicciardini war der Überzeugung, der französische König ähnele "eher einem Ungeheuer als einem Menschen", und der venezianische Gesandte am französischen Hofe, Zaccaria Contarini, gab der Serenissima 1493 folgende Beschreibung von Karl VIII.:

"Er ist klein und schlecht gewachsen, sein Gesicht häßlich. Die großen, farblosen Augen verraten Kurzsichtigkeit; auch die Hakennase ist breiter und länger als normal, seine wulstigen Lippen sind ständig geöffnet. Seine Hände bewegen sich in schrecklich anzusehenden, spasmischen Zuckungen, und seine Rede ist stockend. Es mag sein, daß ich mich irre, aber er wirkt auf mich, als sei sein Geist nicht viel mehr wert als sein Körper." (in: Philippe Erlanger: Isabella die Katholische, Gernsbach 1990, S. 196-197).

Was seine Kritiker jedoch nicht erwähnten, war die Großzügigkeit, die "unerschöpfliche Güte" und die "übermäßige Weichherzigkeit", die den französischen König ebenfalls auszeichneten, so daß Margarete vielleicht doch mehr für Karl VIII. empfand, als wir nachvollziehen können. Sicherlich war sie als abgeschobene Frau sehr wütend über die ihr angetane Schmach.

Ihr Zorn gegenüber ihrem ehemaligen Gatten nahm indes noch zu, da er sie als Geisel in Frankreich festhielt, um gegen ihren Vater, der wegen Anne de Bretagne einen Krieg begonnen hatte, etwas in den Händen zu haben. So wurde Margarete zunächst nach Melun geschickt und dann an den Hof von Anne von Beaujeu nach Maux gebracht.

Erst im Frieden von Senlis am 23.5.1493, den ihr siegreicher Vater mit Karl VIII. geschlossen hatte, durfte sie zu ihrer Familie zurückkehren. Ihre Mitgift, die Grafschaften Artois, Franche-Comté, Maçon und Auxerre und die Herrschaften von Salins, Bar-sur-Seine und Noyers, und ihre Aussteuer rückte Karl VIII. bereitwillig wieder heraus.

Margarete lebte nun wie im Jahre 1482 bei ihrer Stiefgroßmutter Margarete von York. Das Flämische hatte sie jedoch fast völlig vergessen. Aber das Zusammenleben mit der an Musik und Literatur ebenfalls interessierten, herzlichen und scharfsinnigen Margarete von York, die geradezu ein Büchernarr war, ersetzte ihr schnell ihr früheres französisches Zuhause.

Bianca Maria Sforza
Abb. 22: Bianca Maria Sforza

Am 19.8.1493 starb ihr Großvater Friedrich III., der Vater Maximilians I., da die Amputation seines linken Beines, das brandig geworden war, zu spät vorgenommen wurde. Margaretes Vater wurde nach dessen Tod zum neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ausgerufen. Gegen Ende des Jahres, am 20.11., heiratete er schließlich seine zweite Frau, Bianca Maria Sforza (Abb. 22), die nicht sehr glücklich mit ihm werden sollte.

Im Jahre 1495 beschloß Margaretes Vater, da er die Hoffnung, durch Kriege territoriale Gewinne erzielen zu können, aufgegeben hatte, seine beiden Kinder, Philipp und Margarete, zumindest gewinnbringend zu verheiraten. Als Ehekandidaten boten sich zwei Kinder des bedeutenden spanischen Herrscherpaares, Isabella der Katholischen von Kastilien-Léon und Ferdinand II. von Aragón, an, nämlich der Thronerbe Juan, geboren 1478, und die Prinzessin Johanna, geboren 1479.

Juan, Margaretes Bräutigam, war der absolute Liebling seiner Mutter und als einziger Sohn das gehütete und gehätschelte Sorgenkind seiner Eltern. Wie seine Schwester Johanna soll auch er sehr gut ausgesehen haben, aber im Gegensatz zu ihr kränkelte er sehr häufig.

Am 5.11.1496 wurde Margarete schließlich per procurationem mit Juan in den Niederlanden verheiratet. Wie üblich mußte der Stellvertreter des Bräutigams, in diesem Fall der spanische Gesandte Francisco de Rojas, durch sein entblößtes rechtes Bein, das er einen kurzen Augenblick unter die Bettdecke der Braut zu stecken hatte, das Beilager symbolisch vollziehen. Ende Januar 1497 hieß es für Margarete erneut Abschied nehmen. Per Flotte brach sie – wieder in Begleitung ihrer mittlerweile schon alten Amme, Madame de Bouzanton – nun Richtung Spanien auf.

Bedingt durch heftige Orkanstürme landete sie nach mehreren unfreiwilligen Zwischenstopps erst am 6.3.1497 in Santandér. In Burgos sahen sich die Ehegatten dann zum erstenmal. Für Juan war es Liebe auf den ersten Blick. Auch Margarete schien von ihrem Gatten begeistert gewesen zu sein.

Und nachdem die richtige Hochzeit am 3.4.1497 mit allem Pomp gefeiert worden war, bei der auch Columbus mit seinen Söhnen Diego und Fernando, die Pagen bei Juan waren, teilgenommen hatte, verschwand das junge Brautpaar für mehrere Wochen in ihren Gemächern. Margaretes Schwiegereltern und Schwägerinnen sahen die frisch Vermählten in den nächsten Monaten auf keinen Bällen, Festen, Jagdausflügen und religiösen Feiern. Natürlich tauchten schon bald Gerüchte auf, die besagten, Don Juan sei von der Liebestollheit befallen, nehme keine Speise noch Trank zu sich und sei vom Leib seiner Frau besessen.

Johanna die Wahnsinnige
Abb. 23: Johanna die Wahnsinnige

Das Jahr 1497 schien für das spanische Königshaus zu einem wahren Heiratsjahr zu werden. Johanna (Abb. 23) war bereits mit Margaretes Bruder, Philipp dem Schönen, vermählt worden. Nun hielt Manuel (1469-1521), der neue König von Portugal, noch um die Hand von Juans ältesten Schwester Isabella an, die bereits mit dem Sohn seines verstorbenen, königlichen Cousins, Johann II., vermählt gewesen war, der jedoch durch einen Reiterunfall schon wenige Monate nach der Eheschließung ums Leben kam.

Margaretes Schwägerin Isabella, die sich lange sträubte, noch einmal zu heiraten, konnte schließlich von ihrer Mutter überredet werden, Manuel keine Abfuhr zu erteilen. Im September 1497 bekam Juan den Auftrag, seine älteste Schwester an die portugiesische Grenze zu begleiten. Margarete, die mittlerweile im sechsten Monat schwanger war, blieb zurück. In Salamanca aber erkrankte Juan plötzlich schwer. Als Margarete davon erfuhr, eilte sie sofort zum Krankenbett ihres Mannes. Doch auch sie konnte ihm nicht mehr helfen. Irgendwann zwischen dem 3.-7.10.1497 schloß er seine Augen für immer. Der Schock für Margarete war sehr groß. Im November erkrankte sie schließlich selbst und verlor nach 14 Tagen anhaltender Wehen in einer vorzeitigen Geburt ihren Sohn, das einzige, was ihr von ihrem geliebten Juan noch geblieben war.

Isabella die Katholische
Abb. 24: Isabella die Katholische

Erst im Herbst 1499 trat Margarete ihre Heimreise an, da endlose Verhandlungen betreffs ihrer Witwenrente und ihrer Mitgift geführt werden mußten. In der Zwischenzeit hatte sie die Möglichkeit, ihre Schwiegermutter, Isabella die Katholische (Abb. 24), zu beobachten, die eine hochbegabte Politikerin und energische Kriegsherrin war und die keine Skrupel kannte, um ihre Ziele zu erreichen. Denn Margarete diente ihrer Schwiegermutter in den zwei Jahren, die sie noch in Spanien leben sollte, als Dolmetscherin und gewann somit einen Einblick in alle wichtigen Fragen der Politik und Verwaltung.

Als es dann soweit war, Abschied zu nehmen, mußte sie viele Freunde, die sie am Hof gewonnen hatte, zurücklassen. Auch das spanische Volk hing sehr an dieser temperamentvollen Habsburgerin, die so gern und herzlich lachen konnte. Nach den unangenehmen Erfahrungen, die Margarete auf ihrer Hinreise mit dem Schiff gemacht hatte, nahm sie bei der Rückreise den längeren Landweg durch Frankreich in Kauf, in dem mittlerweile der ehemalige Schwager ihres ersten Mannes, Ludwig von Orléans, regierte, nachdem Karl VIII. sich am 7.4.1498 an einer zu niedrigen Tür im Schloß Amboise den Kopf eingerannt hatte und daran wenige Stunden später - wohl an einer Gehirnblutung - im Alter von 28 Jahren gestorben war. Anne de Bretagne, die junge Witwe, war bereits mit dem neuen französischen Herrscher verheiratet.

Am 4.3.1500 traf Margarete endlich wieder in Gent ein. Drei Tage später konnte sie als Patin an der Taufe ihres Neffen, Karl (V.), des zweiten Kindes ihres Bruders Philipp des Schönen und ihrer Schwägerin Johanna der Wahnsinnigen, teilnehmen. Bis zu ihrer nächsten Heirat, die ihr Vater wie üblich für sie plante, lebte Margarete im Schloß Quesnoy. Ihre Zeitgenossen beschrieben sie als wortgewandt, aufgeweckt, furchtlos, temperamentvoll, ungeheuer vital, z.T. jedoch auch als sehr beherrscht und bewunderten ihre schnelle Auffassungsgabe, ihren entschlossenen Willen, ihre Feinfühligkeit und ihr Gefühl für die richtige Entscheidung.

Bereits ein Jahr später beschloß ihr Vater, sie erneut zu vermählen. Der Auserwählte war Herzog Philibert II. von Savoyen, der einzige Bruder ihrer ehemaligen Freundin Louise von Savoyen, der erst Ende 1499 seine erste Frau Jolanthe, die gleichzeitig seine Cousine war, verloren hatte. Savoyen war wegen seiner militärisch-strategischen Lage – als Tor nach Italien – für Maximilian I. von besonderer Wichtigkeit. So wurde Margarete schließlich 1501 auf den Weg zu ihrem dritten Gatten, der wie sie 21 Jahre zählte, geschickt, den sie schon von früher her flüchtig kannte, da auch er am Hofe Karls VIII. erzogen worden war. Als Mitgift nahm sie ihre spanische Witwenpension von 20000 Goldtalern und einen Teil der von ihrem Vater versprochenen 300 000 Goldtaler mit, die in 10 Jahresraten bezahlt werden sollten. Für den Fall einer Witwenschaft wurde von ihres Gatten Seite die Auszahlung von 12000 Goldtalern versprochen.

Ihre Heirat fand unterwegs in Dôle per procurationem statt. Als Stellvertreter ihres Gatten diente dessen sieben Jahre ältere Halbbruder René, von dem sie auch das Hochzeitsgeschenk, ein Diamantherz mit einer großen Perle, überreicht bekam. 67 Tage dauerte die gemächliche Reise zu ihrem Gemahl, dem sie schließlich in Romainmoutier in einer relativ schlichten Hochzeitsfeier das Jawort gab. Dafür soll die Hochzeitsnacht laut ihrer Begleiter sehr lange gedauert haben. Das frisch vermählte Paar hatte doch wahrlich am nächsten Tag bis 12 Uhr mittags geschlafen!

Für Margarete war ihr dritter Mann die ganz große Liebe, da er so viele Gemeinsamkeiten mit ihrem geliebten Vater aufwies. So war er wie dieser ein einfacher, gerader Charakter, mutig bis zur Tollkühnheit und eitel auf seine Stärke, die er gern auf Turnieren im Wettstreit zeigte. Außerdem machte er mit seiner Größe von fast 2 m sowieso schon einen imposanten Eindruck. Zudem galt er mit seinen braunen Augen und seinem Grübchen am Kinn als der schönste Fürst Europas. Mit seiner Margarete, die wie ihre Eltern eine Vorliebe für gefahrvolle Jagdausflüge hatte, konnte er seine großen Leidenschaften, die Jagd und die Pferde, teilen. Seine Zeitgenossen beschrieben ihn als großherzig, sorglos, rechtschaffen, galant, nachgiebig, leichtsinnig, sehr impulsiv und draufgängerisch. Ab und zu ging das Temperament auch einmal durch mit ihm, und man fand ihn dann mitten in einer Schlägerei. Im Gegensatz zu Margarete hatte er jedoch keine geistigen Interessen. Es ist auch keine Frage, daß Margarete in dieser Beziehung wie auch in ihren anderen Ehen die Überlegenere, Reifere war. Philibert II. interessierte sich schon immer mehr für die Mode, die Jagd und für die Frauen als für die Staatsgeschäfte, die bisher sein Halbbruder René für ihn erledigt hatte. Nun aber übernahm Margarete diese Aufgabe. Schließlich hatte sie mit Anne von Beaujeu und Isabella der Katholischen gute Lehrmeisterinnen gehabt.

Zuerst stürzte sie den Halbbruder ihres Mannes, nachdem sie Unterlagen gefunden hatte, durch die sie ihn des Landesverrates und der Majestätsbeleidigung bezichtigen konnte. Denn René hatte hinter dem Rücken seines Bruders geheime Abkommen mit den Schweizer Kantonen Bern, Freiburg und Solothurn geschlossen. Dann übernahm Margarete die Zügel des Staates und baute ihr Kabinett wie Isabella die Katholische aus den fähigsten Männern ihrer Umgebung auf. Philibert ging derweil auf die Jagd und freute sich, eine so kluge und gescheite Frau zu haben, die ihm ermöglichte, seinen Hobbys voll nachgehen zu können. Und Margarete war ebenfalls glücklich. Endlich durfte sie als Politikerin tätig sein. So sorgte sie auch sogleich für den Ausbau der Straßen und den Schutz der Warenzüge, um die Wirtschaft in ihrem Herzogtum zu fördern. Zusätzlich verminderte sie die Gerichtskosten, indem sie die Rechtsverfahren verkürzte, und schließlich versuchte sie noch außenpolitisch, Savoyen aus den nicht enden wollenden Kriegen zwischen Deutschland und Frankreich herauszuhalten. Und natürlich förderte sie wie ihre großen Vorbilder Anne de Beaujeu und Margarete von York die schönen Künste.

Leider währte auch dieses Glück nur kurze Zeit. Bereits im Jahre 1504 verlor sie ihren dritten Gatten, ihren geliebten Philibert, nachdem dieser - wie den Quellen zu entnehmen ist - nach einer hitzigen Jagdpartie einen kühlen Trank zu sich genommen hatte (es handelte sich wahrscheinlich um eine Lungenentzündung). Fortan trug sie stets eine Witwenhaube und war, obwohl sie erst 24 Jahre zählte, auch nicht mehr bereit, sich erneut vermählen zu lassen, obwohl Heinrich VII. von England und Ferdinand II. von Aragón, ihr ehemaliger Schwiegervater, bereits 1505 um ihre Hand baten. Ihre Devise war ab sofort: "Fortune.Infortune.Fort.Une." (Glück oder Unglück. Stark nur allein.) Selbst als 1513 der englische Frauenheld Charles Brandon, der Busenfreund Heinrichs VIII. von England, ihr mit aller Unterwürfigkeit und später mit unverschämter Dreistigkeit den Hof machte, wurde sie nicht schwach. Ihre Zukunft gehörte fortan ihrer zweiten großen Leidenschaft, nämlich der Politik.

Sie blieb noch zwei Jahre in der Heimat ihres Mannes und lebte in Bourg, in dessen Nähe sie für ihren Philibert ein Kloster und eine Kirche errichten ließ. Außerdem ordnete sie die Finanzen der Stadt, regelte die Marktpolizei, sicherte die Ernährung der Bevölkerung und ergriff Maßnahmen gegen die Pest, die schon wieder einmal ihren Siegeszug durch die abendländischen Städte hielt. 1505 mußte sie in Straßburg noch ihre Witwenrente gegen ihren Schwager Karl III., dem Nachfolger und Halbbruder ihres Gatten, verteidigen. Ihr Plädoyer, das sie selbst vortrug, soll so stichhaltig und wirkungsvoll gewesen sein, daß den Juristen des Herzogs als einziges Gegenargument nur das Zugeständnis der Zahlungsunfähigkeit ihres Mandanten blieb.

Die drei ältesten Kinder von Johanna der Wahnsinnigen
Abb. 25: Die drei ältesten Kinder von Johanna der Wahnsinnigen (von links nach rechts): Karl (V.), Eleonore (spätere Königin von Portugal und Frankreich) und Isabella (spätere Königin von Dänemark)

Am 26.9.1506 starb auch Margaretes Bruder nach einem hitzigen Spiel, nachdem er ein kühles Getränk zu sich genommen hatte. Zurück ließ er außer einer völlig gebrochenen Ehefrau sechs Kinder. Für vier von diesen, Eleonore, Karl V., Isabella (Abb. 25) und Maria (Abb. 26), übernahm Margarete sofort die Funktion der mütterlichen Erzieherin.

Maria von Ungarn, um 1530
Abb. 26: Maria von Ungarn, um 1530

Von ihrem Vater wurde sie zudem im Jahre 1507 gebeten, das Amt der Statthalterschaft über die Niederlande zu übernehmen, das sie – mit einer kurzen Unterbrechung von 1515-1518 – bis zu ihrem Tode von Mecheln aus ausüben sollte und das am Anfang viele Probleme bereitete, denn die Burgunder und Niederländer waren nicht gerade von den Habsburgern und ihrem autoritären Gehabe begeistert. Zusätzlich verwüsteten der Herzog von Geldern und der Herr de la Marck die Dörfer, Städte und Felder an der Grenze zu den Niederlanden. Erst 1511 fand Margarete die Zeit, gegen deren Plünderungen und Brandschatzungen etwas zu unternehmen. Mit einer kläglichen Armee und gemieteten Söldnern machte sie sich nach dem Vorbild Anne von Beaujeus in den Kampf auf, nicht ohne die Hoffnung einige adlige Herren in ihrem Reich würden sich ihr anschließen. Leider war das jedoch nicht der Fall, und Margarete mußte gegenüber dem Herzog von Geldern und dem Herrn de la Marck eine schwere Niederlage einstecken. Durch diese Erfahrung wieder weiser geworden verzichtete sie fortan gänzlich auf das Mittel "Krieg", um ihre Wünsche durchzusetzen, und benutzte nur noch die Diplomatie.

Sie nahm ihr Amt als Statthalterin zum Wohle ihrer Untertanen sehr ernst und versuchte deshalb als gewiefte Unterhändlerin ihr Land aus den Kriegen zwischen Ludwig XII. von Frankreich und ihrem Vater Maximilian I. und später zwischen Franz I. von Frankreich und ihrem Neffen Karl V. neutral zu halten, obwohl das nicht im Sinne ihres Vaters und später ihres Neffen war. Ihre Ratgeber, die treu und zuverlässig zu ihr hielten, suchte sie sich zudem nach ihren Fähigkeiten und nach ihrem Charakter aus. Rang und Stand spielten dabei keine Rolle! Sie liebte ihr Amt sehr. Schon frühmorgens stand sie auf, um ihren Regierungsgeschäften, Empfängen und Audienzen nachgehen zu können. Außerdem führte sie schon bald die alte patriarchalische Sitte wieder ein, von Zeit zu Zeit ihren gesamten Hofstaat - das bedeutete ungefähr 400 Personen - zur gemeinsamen Tafel einzuladen.

Ihr größter diplomatischer Erfolg war der sogenannte Damenfrieden, den sie am 3.8.1529 mit ihrer ehemaligen Freundin Louise von Savoyen, der Mutter des französischen Königs Franz I., schloß. Nach acht Jahren erbitterten Krieges zwischen den Kontrahenten konnten die beiden Frauen einen für beide Seiten akzeptablen Friedensvertrag entwerfen. Denn mittlerweile verstand Margarete es, aus einer noch so ausweglosen Verwicklung zu einem Gespräch, einem Vertrag, einem Frieden zu finden.

Eine andere Aufgabe, die sie sehr ernst nahm, war die Erziehung ihrer drei Nichten und ihres Neffen, des späteren Kaisers. Da sie aus ihren Ehen keinen eigenen Nachwuchs hatte, sah sie in ihren Nichten und in ihrem Neffen ihre Kinder. Sehr gut war das Verhältnis zu Eleonore, geboren 1498, Isabella, geboren 1501, und Maria, geboren 1505; jedoch blieb Karl, geboren 1500, ihr gegenüber sehr verschlossen. Als man diesen am 15.1.1515 für mündig erklärte und ihn somit zum Herzog von Burgund und den Niederlanden erhob, wurde Margarete nicht mehr gebraucht.

Als "Pensionärin" nahm sie sich vor, ein Mäzenatentum großen Stils auszuüben. Besonders Maler und Bildhauer wollte sie fördern, da sie in ihrer Freizeit zuweilen ebenfalls zu Farbe und Pinsel griff. Ein Zeitgenosse rühmte ihre große Geschicklichkeit in der Porträtmalerei. Ihr Mechelner Hof mit seiner großen Bildersammlung, die aus mehr als 60 Bildnissen bestand, auf denen Verwandte, Freunde, Bekannte und fremde Fürstlichkeiten festgehalten waren, galt schließlich als ein Hort des Geistes und der Künste. Ihr "Rentnerdasein" währte jedoch nur ein Jahr, da Karl nach dem Tode seines Großvaters Ferdinand II. von Aragón im Jahre 1516 nach Spanien mußte und ihr deshalb erneut einen Teil der Regierungsgewalt übertrug. In den nächsten Jahren übernahm sie außerdem für ihren Neffen die Wahlkampagne, um ihn nach dem Tode ihres Vaters als neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation begrüßen zu können.

Aus Dankbarkeit erhielt sie deshalb von ihrem Neffen Karl im Jahre 1518 erneut alle Rechte einer Regentin, d.h. sie durfte das große Staatssiegel wieder selbstverantwortlich führen. Zudem hatte ihr Neffe in einem Erlaß aus Barcelona im Juni 1518 folgendes verkünden lassen: "Wir tun zu wissen die große und einzigartige Zuneigung und das Vertrauen, das Wir haben zu der Person Unserer sehr treuen Tante. Und da Wir durch wahre Erfahrung die große Sorgfalt kennen, die sie bewiesen hat und täglich beweist bei Unseren Angelegenheiten in den Niederlanden in Zeiten Unserer Minderjährigkeit und selbst seit Wir von Unserem Lande abwesend sind, ohne ihre Person und ihre Güter zu schonen, danken Wir dieser Dame also, daß sie um so mehr geachtet und anerkannt sein möge." (in: Elsa Winker: Margarete von Österreich - Grande Dame der Renaissance, München 1966, S. 258).

Mit ihrem Amt hatte sich Margarete, deren Gestalt im Laufe der Zeit fülliger geworden war, sehr geändert. Nicht nur waren ihre Gesichtszüge derber geworden, sondern einige Zeitgenossen sagten ihr mittlerweile auch nach, daß sie wie ihr ehrgeiziger Großvater Karl der Kühne († 1477) nun niemanden mehr über sich dulden wollte - mit Ausnahme ihres Neffen natürlich! Ihre tiefe männliche Stimme flößte geradezu Gehorsam ein. Seit dem Tod ihres Vaters am 12.1.1519 war sie fortan stets an der Seite ihres Neffen Karl V. zu finden. Das Verhältnis zwischen den beiden war ausgesprochen freundlich geworden. Am 23.10.1520 konnte sie schließlich in Aachen seine Kaiserkrönung miterleben.

In den 20er Jahren glich ihr Führungsstil, mit dem Ziel einen einheitlichen straffen niederländisch-burgundischen Staat zu schaffen, der Politik von Isabella der Katholischen. Aber im Gegensatz zu ihrem spanischen Vorbild scheiterte sie. Der burgundische Hochadel ließ sich ihr gebieterisches Verhalten nicht gefallen. Er wandte sich schließlich an Karl V., der nun gezwungen war, zwischen den Fronten zu vermitteln. Margarete hatte sich von nun an mit sieben Vertretern des Adels zu beraten, falls sie etwas, was diesen persönlich betraf, durchsetzen wollte. Im Gegensatz zu ihrem Neffen war Margarete zudem gegen Landschenkungen an treue Adlige wie auch gegen die Verleihung von Lizenzen auf Export und Import französischer Waren, weil ihrer Meinung nach dadurch der Handel der Niederlande geschädigt werden würde. Als Mater familias wurde ihr politischer Führungsstil im Laufe der Jahre sogar noch autoritärer: "So lautet mein Wille trotz aller Privilegien" war ihr Motto, dem bereits ihr Großvater Karl der Kühne während seiner Regierungszeit gefolgt war. Sie wollte den absolutistisch regierten Obrigkeitsstaat, in dem die Vertretungen der drei Stände, Adel, Geistlichkeit und Bürgertum, kaum noch Mitspracherechte besitzen sollten.

Durch einen kleinen Unfall, der zum Wundbrand in einem ihrer Beine führte, sollte ihr Leben bereits im Jahr 1530 enden. Ihren Ärzten blieb nämlich keine andere Wahl, als ihr mitzuteilen, sie müßten ihr das Bein amputieren. Zu dieser grausamen Operation kam es jedoch nicht mehr. In der Nacht vom 30.11. auf den 1.12. schied Margarete kurz nach Mitternacht aus dem Leben. Ihre letzte Ruhestätte fand sie in Bourg neben ihrem geliebten dritten Mann Philibert von Savoyen.

Von der Bevölkerung allgemein geachtet und geliebt, verschied sie im Alter von nur 50 Jahren als wahre Mater familias, die von ihren Untertanen den absoluten Gehorsam verlangte.

Wenn Sie mehr Abbildungen von Margarete von Österreich und ihrer Familie sehen möchten, schauen Sie sich bitte den Bilderkatalog der Habsburger an.

Der Tod von Margarete von Österreich: Ärztliches Versagen oder Sterbehilfe?

Das Lebensende der habsburgischen Erzherzogin Margarete von Österreich, einer der großen Politikerinnen der Renaissance, kam für ihre Familie und ihre Freunde sehr überraschend. Eine kleine Glasscherbe sollte ihr zum Verhängnis werden. Über den Unfall am 15. November 1530, den Verlauf der dadurch entstandenen Infektion am Fuß und den eintretenden Tod in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 1530 werden wir detailliert durch die Aufzeichnungen eines Augustinermönchs informiert. So lesen wir bei ihm folgendes: „Am frühen Morgen des 15. November bat Margarete vor dem Aufstehen eine ihrer Hofdamen, nämlich Magdalen von Rochester, um ein Glas Wasser. Die Hofdame brachte ihr das Getränk in einem kristallenen Pokal, aber, als Magdalen das Gefäß wieder entfernen wollte, ließ sie es unglücklicherweise in der Nähe des Bettes aus den Händen fallen, wo es in mehrere Stücke zerbrach. Vorsichtig las sie alle Bruchstücke, die sie sehen konnte, auf, aber ein Glassplitter blieb verborgen in einem von Margaretes Hausschuhen liegen ... Als die Prinzessin wenige Stunden später aufstand, schlüpfte sie barfüßig in die Hausschuhe und versuchte zum Feuer zu gehen: Sie fühlte jedoch sogleich einen scharfen Schmerz unter ihrer linken Fußsohle. Nach einer Untersuchung fand man in dem Fuß einen Splitter eines zerbrochenen Glases. Dieser wurde sofort entfernt, aber die Wunde verheilte nie richtig und blutete, wenn auch nur sehr wenig. Margarete, die immer mutig und beherzt war, dachte schon bald nicht mehr an den Unfall und vernachlässigte die Wunde daher. Das Bein entzündete sich jedoch wenige Tage später schwer, und sie begann unter großen Schmerzen zu leiden. Am 22. (November) rief sie schließlich nach den Ärzten, die sie untersuchten. Sie stellten fest, dass der Wundbrand bereits begonnen hatte, und kamen deshalb zu der Entscheidung, dass der einzige Weg, ihr Leben zu retten, war, den Fuß zu amputieren. Am nächsten Tag, den 23., schickten sie Monsieur de Montécute, ihren Almosenpfleger und Beichtvater, zu ihr, damit er ihr die Nachricht brachte und sie auf die schreckliche Operation vorbereitete. Sie war verständlicherweise sehr überrascht und bestürzt, aber mit großer Fassung willigte sie ein, sich der schrecklichen Tortur zu unterwerfen. Vier Tage lang verbarg sie sich (daraufhin) in ihrem Zimmer und wollte niemanden sehen. Sie verbrachte die Zeit in Gebet und Beichte; am Morgen des 27. empfing sie das Heilige Abendmahl und am 28. und 29. beschäftigte sie sich mit den weltlichen Angelegenheiten und fügte ihrem Letzten Willen, den sie 1508 verfasst hatte, ein Kodizill hinzu.“

Als Margarete am 22. Dezember also endlich ihre Ärzte wegen der Wunde aufgesucht hatte und jene sofort erkannt hatten, dass sich bei ihrer Herrin schon der Wundbrand entwickelt hatte, gab es eigentlich nur eine einzige Möglichkeit: sie hatten das infizierte Gliedmaß sofort zu amputieren. Jede Stunde zählte, wenn man ihr Leben hätte retten wollen. Margarete wusste dies selbst, denn sie hatte als 12-Jährige persönlich mitbekommen, wie ihr Großvater, Kaiser Friedrich III., der sich ebenfalls den Wundbrand zugezogen hatte, mit der Operation, der Amputation seines Unterschenkels, zu lange gezögert hatte und daher einen qualvollen Tod starb.

In den Aufzeichnungen lesen wir jedoch, dass Margarete von ihren Ärzten acht Tage für „Gebet und Beichte“ und die Abfassung ihres Testamentes und der Abschiedsbriefe an ihren kaiserlichen Neffen Karl V. und dessen Geschwister, für die sie die Mutterrolle übernommen hatte, gewährt wurden. Als sie am 30. Dezember schließlich endlich operiert werden sollte, nahm die Erzherzogin zuvor noch Abschied von ihren Dienern und Freunden und begab sich erst dann zu ihren Ärzten. Die Amputation war in der Renaissance im Allgemeinen eine sehr schmerzhafte Operation. Betäubungsmittel standen selten zur Verfügung. Der Kranke wurde deshalb bei der Operation von kräftiger Hand festgehalten oder gefesselt und fiel erst durch die Schmerzen der Amputation in Ohnmacht. Postoperative blutende Gefäße wurden anschließend noch mit dem im Holzkohlenfeuer erhitzten Glüheisen verschorft.

Margarete aber hatte das Glück, dass ihre Ärzte ihr zuvor Opium verabreichen konnten. Die Operation – so liest man – missglückte jedoch. Im Laufe der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember verstarb die Erzherzogin. Angeblich wäre die Dosis an Opium aus Versehen zu stark gewesen. Was allerdings sehr zu denken gibt, ist, als man ihren Sarg im Jahr 1856 aus Neugierde geöffnet hatte, stellte man fest, dass an der Habsburgerin nie eine Amputation vorgenommen worden war. Hatte man ihr absichtlich eine Überdosis Opium gegeben, um ihr die qualvollen Todesschmerzen zu ersparen und um ihr Leben friedlich zu beenden? Denn wenn die Ärzte gleich zweimal versagt hätten – einmal bei der Hinauszögerung der Operation und das andere Mal bei der Überdosierung an Opium, hätten jene doch mit einer schweren Rüge oder sogar Bestrafung von Margaretes Neffen, dem Kaiser Karl V., rechnen müssen. Letzterer erhielt jedoch vom Erzbischof von Palermo, Jean de Carondelet, und dem Grafen von Hoogstraten, Antoine de Lalaing, nicht nur den Abschiedsbrief seiner Tante überreicht, sondern noch ein zusätzliches Schreiben, in dem zu lesen war, dass der Wundbrand am Bein von Margarete von Österreich bereits den gesamten Körper infiziert hatte und dass die Operation daher eigentlich nichts mehr am Ausgang hätte ändern können. Deshalb wurde schließlich auch niemandem irgendwelche Schuld am Tode der Erzherzogin zugewiesen. Der Kaiser bedankte sich im Gegenteil beim Hauptchirurgen Philipp Savoien für dessen ärztliche Dienste sogar persönlich.


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