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Frauenschicksale aus dem 15. und 16. Jahrhundert

Maria Tudor (1516-1558) - Die ewige Suche nach Liebe

Maria Tudor
Abb. 61: Maria Tudor

Als Maria (Abb. 61), die dem englischen Königshause der Tudors angehörte, am 18.2.1516 um vier Uhr morgens nach einer langen und schweren Geburt in Greenwich das Licht der Welt erblickte, waren ihre königlichen Eltern, Heinrich VIII. († 1547) und Katharina von Aragón (Abb. 62) († 1536), – trotz anfänglicher Enttäuschung über das Geschlecht ihres Kindes – sehr zufrieden. Denn ihre Mutter hatte nun zum ersten Male ein gesundes, lebenskräftiges Kind zur Welt gebracht. Und ihr Vater, Heinrich VIII., der seine Tochter voller Stolz seinen Höflingen und Diplomaten zeigte, verkündete schon bald recht optimistisch: "Wir sind beide noch jung, wenn es diesmal ein Mädchen ist, so werden durch die Gnade Gottes Knaben folgen."

Katharina von Aragón
Abb. 62: Katharina von Aragón, die erste Gattin von Heinrich VIII.

Seine Prophezeiung traf jedoch nicht ein. Am 18.11.1518 erlitt Katharina wieder eine Totgeburt (Junge), und trotz ihrer Hoffnung, daß Beten und Pilgerfahrten ihr zu einem Sohn verhelfen würden, wurde sie nicht mehr schwanger. So konnte sie den größten Wunsch ihres Gatten nach einem legitimen männlichen Thronerben nicht erfüllen.

Die einst glücklich im Jahre 1509 begonnene Ehe schien damit ihrem Ende entgegenzusteuern. Seit 1514 hatte Heinrich VIII. obendrein eine Mätresse, Elisabeth Blount, die aus dem Hofdamenkreis seiner Frau stammte. Diese schenkte ihm 1519 einen Sohn. 1520 wurde Elisabeth Blount durch die Hofdame Mary Boleyn, die mit einem gewissen William Carey verheiratet war, ersetzt. Beide Mätressen führten zu keinen großen Veränderungen im Alltag der kleinen Maria. Die dritte Mätresse jedoch, Anne Boleyn (Abb. 63), die Schwester von Mary Boleyn, sollte das Leben Marias grundlegend verändern. Denn ihr Vater wollte sich von ihrer Mutter trennen und diese Mätresse heiraten. Aber Katharina von Aragón verweigerte die Scheidung. Und Maria, die ihren Vater wie ihre Mutter liebte, mußte nun am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn sich die ehemals liebenden Ehepartner zu hassen beginnen.

Anna Boleyn
Abb. 63: Anne Boleyn, die zweite Gattin von Heinrich VIII. von England

Im Sommer 1531 mußte ihre Mutter das Schloß Windsor verlassen und sich auf den Landsitz "The More" zurückziehen. Außerdem wurde ihr verboten, ihre Tochter zu besuchen, die seit 1525 als Prinzessin von Wales in Ludlow einen eigenen Haushalt und einen eigenen Rat besaß. Nur Briefe und Boten durften zwischen ihnen ausgetauscht werden.

Am 23.5.1533 erklärte schließlich Thomas Cranmer, der Erzbischof von Canterbury, der das Haupt des obersten kirchlichen Gerichtshofes in England darstellte, die Ehe von Heinrich VIII. und Katharina von Aragón von Beginn an für ungültig, weil diese Beziehung "blutschänderisch" gewesen wäre, denn Katharina wäre zuvor mit Heinrichs ältestem Bruder Arthur († 1502) verheiratet gewesen. Zudem wurde Katharina zur "verwitweten Prinzessin von Wales" und Maria "zur Lady Mary, des Königs Tochter" – ein Titel, den man illegitimen Königskindern zukommen ließ – degradiert. Damit verlor die 17-jährige Maria ihre bisherige Thronfolgeberechtigung.

Dagegen half auch nicht der Urteilsspruch, den das päpstliche Konsistorium in Rom am 23.3.1534 fällte, und der lautete: Die Ehe von Heinrich VIII. und Katharina war und ist gültig. Im Gegenteil regte sich der englische König so sehr über diese "römische" Einmischung auf, daß er Maria und Katharina von nun an auch jeden weiteren Boten- und Briefaustausch verbot.

Maria litt sehr unter dem Streit ihrer Eltern und wurde im Jahre 1535 schwer krank. Katharina bat ihren Mann jedoch vergeblich, ihre Tochter pflegen zu dürfen. Heinrich VIII. meinte im November 1535 sogar, an Maria ein Exempel statuieren zu müssen, da sie sich wie ihre Mutter weigerte, die Sukzessionsakte zu unterzeichnen, in der sie unter anderem Anne Boleyn als rechtmäßige Gattin ihres Vaters anzuerkennen und nur die Kinder aus dieser Ehe für thronfolgeberechtigt zu erklären hatte. Heinrich VIII. drohte ihr, das auf diesen Hochverrat – so faßte er die Nichtunterzeichnung auf – die Todesstrafe erteilt werden würde. Dabei wollte er weniger Maria als Katharina einschüchtern, der er selbst, die eine Tante Kaiser Karls V. war, aus Angst vor politischen und militärischen Folgen nicht mit dem Tode drohen konnte. Aber Katharina willigte trotzdem nicht in die Scheidung ein, und erst ihr Tod am 7.1.1536 – sie starb an einem Krebsleiden – befreite Heinrich VIII. von ihr.

Maria unterwarf sich schließlich den Wünschen ihres Vaters am 15.6.1536.

Jane Seymour
Abb. 64: Jane Seymour, die dritte Gattin von Heinrich VIII. von England

1543 – Anne Boleyn war schon vor sieben Jahren wegen angeblichen Ehebruches hingerichtet worden – wurde Maria wieder zur Thronfolge zugelassen. Ihr Vater regelte in seinem letzten Testament die Nachfolge schließlich in dem Sinne, daß seine Kinder Eduard VI. (aus seiner dritten Ehe mit Jane Seymour (Abb. 64), Maria und Elisabeth I. (aus der zweiten Ehe mit Anne Boleyn) nacheinander die Krone Englands erben sollten, falls keine ehelichen Nachkommen diese Reihenfolge gegenstandslos machen würden.

Nach dem Tod ihres Vaters am 28.1.1547 wurde Marias neunjähriger Halbbruder Eduard VI. König von England. Und als dieser am 6.7.1553 bereits im Alter von 15 Jahren an Schwindsucht starb, folgte ihm Maria auf dem Thron, nachdem eine Großnichte ihres Vaters, Jane Grey (Abb. 65), die von einer protestantischen, politisch mächtigen Gruppe ebenfalls zur Königin erhoben worden war, freiwillig zurücktrat.

Jane Grey
Abb. 65: Jane Grey

Ihre Zeitgenossen beschrieben sie als wenig reizvoll, von kleiner Statur, rothaarig, schmallippig und blaß. Sie hatte hellgraue, kurzsichtige Augen und eine tiefe, klangvolle, fast männlich wirkende Stimme, die einen warmen und sympathischen Eindruck hinterließ. Wie ihr Vater zog sie ruhelos von einem ihrer Wohnsitze zum anderen, um sich besonders vor Ansteckungen in Sicherheit zu bringen. Aber es schien ihr wenig zu helfen, denn sie war oft krank. Einige Zeitgenossen behaupteten, daß sie sich, wenn sie tief betrübt war oder sich unter einem unerträglichen Druck befand, geradezu in Krankheiten flüchtete.

Sie galt zudem als erzkatholisch, außergewöhnlich fromm, "unerschütterlich" ehrlich, barmherzig, gefühlvoll und als sehr großzügig – insbesondere gegenüber Leuten vom Lande –, wobei sie aber nicht als verschwenderisch bezeichnet werden kann. Andererseits beschrieben ihre Zeitgenossen sie auch als leicht erregbar - sie konnte wie ihr Vater in fürchterliche Zornesausbrüche geraten –, als naiv, konservativ und starrsinnig. Besonders stolz war sie auf die spanische Abstammung ihrer Mutter. Und trotz aller Güte, die ihr nachgesagt wurde, konnte sie sehr hart und grausam reagieren. Der Historiker David M. Loades, der sich intensiv mit ihr beschäftigt hat, meint, daß sie noch "gnadenloser" als ihr Vater und ihre Halbschwester Elisabeth I. Verräter hinrichten ließ.

Im Gegensatz zu ihren Halbgeschwistern Eduard und Elisabeth war Maria zudem eher von ruhiger Natur, und außerdem fiel ihr das Lernen schwer. Auch besaß sie nicht Elisabeths Veranlagung, Sprachen sozusagen im Schlafe zu erlernen. So beherrschte sie in ihrer sprachbegabten Familie außer dem Englischen nur noch das Lateinische und das Französische. Mit nur geringem Erfolg hatte sie sich am Griechischen und am Italienischen versucht und – überraschenderweise – hatte sie nie die Sprache ihrer Mutter, das Spanische, erlernt.

Wie ihr Vater und ihre Halbgeschwister liebte sie jedoch die Musik, tanzte und jagte in ihrer Freiheit gern, kegelte und spielte Karten, wobei es im Gegensatz zu ihrem Vater um maßvolle Geldeinsätze ging. Selbst ihre Lieblingsspeisen kennen wir: es waren Braten und Sülzen von Wildschweinen.

Sie war – wieder im Gegensatz zu ihrer Halbschwester – sehr geschickt im Umgang mit der Nadel und gab, obwohl sie sonst sehr sparsam war, ein Vermögen für Kleider und Schmuck aus. Besonders Juwelen hatten es ihr angetan. Sie liebte Blumen und die Gartenpflege. In ihrem Haushalt hielt sie einen weiblichen Gaukler und "Jane the Fool", eine Hofnärrin, die ihr sehr ans Herz gewachsen war. Da ihre Kindheit und ihre Jugend sehr einsam und ohne viel Liebe verlaufen waren, war sie noch als Erwachsene für jeden Beweis von Zuneigung unendlich dankbar.

Als sie 1553 Königin wurde, sah es mit England nicht zum besten aus. Heinrich VIII. und sein Sohn Eduard VI. hinterließen hohe Schulden, ein entwertetes Münzwesen, ein zerrüttetes Verwaltungssystem und ein religiös gespaltenes Land.

Maria war zudem als Politikerin alles andere als ein Gewinn für England. Sie konnte die Meinungsverschiedenheiten unter ihren Beratern nicht schlichten, förderte im Gegenteil Cliquenbildungen und Kabalen, war ohne jegliches Selbstvertrauen und fühlte sich den politischen Problemen, die mit ihrer Thronbesteigung auf sie zukamen, nicht gewachsen. Sowieso vertrat sie die damals gängige Ansicht, Regieren sei nun einmal nicht die Aufgabe einer Frau.

Als loyale Tochter des "Heiligen Stuhles" in Rom sah sie als Königin dagegen ihre Hauptaufgabe in der Rückführung ihres Volkes zum wahren katholischen Glauben. Für den Protestantismus, der in der Regierungszeit ihres Halbbruders stark gefördert worden war, empfand sie nur Ablehnung. Sie hielt die protestantischen Ketzer für Agenten des Teufels, die nur darauf aus waren, "die Seelen Unwissender und Unschuldiger zu umgarnen und die Gläubigen mit einem Schwall falscher und sich widersprechender Lehren zu verwirren". Aufräumen war ihre Devise in dieser Hinsicht, obwohl sie durch ihre Proklamation im Jahre 1553 versprochen hatte, keinen Zwang in religiösen Fragen anzuwenden.

Ungefähr 2 000 verheiratete Geistliche wurden aus ihren Ämtern entfernt, und Thomas Cranmer, der beste Freund ihres Vaters, wurde als Haupt der Ketzer am 14.9.1553 in den Tower geworfen und wegen eines angeblich früheren Hochverrates angeklagt.

Bereits Ende 1553 hatte Maria außerdem davon Abstand genommen, sich wie ihr Vater des Titels "Oberhaupt der Kirche" zu bedienen. Die alten Anti-Ketzer-Gesetze wurden wieder für gültig erklärt, und das Parlament fand sich im November 1554 bereit, alle seit 1529 gegen die päpstliche Autorität und die Kirche erlassenen Gesetze zu widerrufen. Außerdem glaubte Maria wie ihr bester Freund, der Kardinal und päpstliche Legat Reginald Pole († 1558), der 1554 Thomas Cranmers Nachfolger auf dem Erzbischofsstuhl in Canterbury wurde, daß man die Ketzerei nur durch das Feuer ausrotten könnte. Stephen Gardiner, Marias Lordkanzler und gleichzeitiger Bischof von Winchester, und Edmund Bonner, Bischof von London, widmeten sich dieser Aufgabe dann auch mit aller Hingabe, letzterer sogar mit einer geradezu anstößigen Lust.

Die Prozesse begannen im Januar 1555, und bis zum Ende von Marias Regierungszeit im November 1558 starben ungefähr 300 Männer und Frauen für ihren Glauben auf dem Scheiterhaufen. Die meisten von ihnen waren einfache Leute – Krämer, Handwerker und dergleichen. Viele Protestanten verloren ihr Leben zudem in den Gefängnissen, wurden bedroht, eingekerkert und gefügig gemacht. Etwa 800 Personen, darunter zahlreiche führende Persönlichkeiten der protestantischen Kirche unter Eduard VI., hatten sich schon vorher aus dem Staub gemacht und waren ins sichere Ausland – vor allem in die Schweiz und nach Deutschland – geflohen. Andere verließen nur ihr Zuhause in den hart bedrängten Grafschaften Essex und Suffolk und ließen sich vorübergehend in Grafschaften nieder, in denen die Behörden weniger auf Verfolgung aus waren oder nicht so wachsam waren. Cranmer jedoch gelang die Flucht nicht. Er starb wegen seiner angeblich ketzerischen und aufrührerischen Schriften am 21.3.1556 in den Flammen. Da dieser Mann 1533 die Ungültigkeit der Ehe ihrer Eltern ausgesprochen hatte, mußte Maria dessen Bestrafung für doppelt gerecht gehalten haben.

Verglichen mit der besonders in Spanien intensiv betriebenen Ketzerverbrennung übergab Maria nur wenige den Flammen, aber für die englischen Verhältnisse und Traditionen war ihr Vorgehen beispiellos und blieb unausrottbar im Gedächtnis der Nation haften. Die Scheiterhaufen erzeugten einen unversöhnlichen Haß auf den Papst und die römisch-katholische Kirche bis auf den heutigen Tag. Von ihrem Volk erhielt Maria für diese Verbrechen den Beinamen "Bloody Mary".

Aber es war nicht nur dieser gewaltsame Versuch, ihre Untertanen zum Katholizismus zurückzuführen, der sie in England so unbeliebt werden ließ, sondern auch ihre Heirat.

Als Königstochter hatte es für sie im Laufe der Jahre natürlich eine Reihe von Heiratsprojekten gegeben. Als sie zwei Jahre alt war, wurde sie mit dem ältesten Sohn des französischen Königs Franz I. verlobt. Aber aus der Heirat, die für das Jahr 1532 geplant war, wurde nichts. Auch die Verlobung mit ihrem Cousin Karl V. im Jahre 1522 wurde 1525 wieder gelöst. 1527 sollte sie den zweiten Sohn des französischen Königs, Henri II., ehelichen, der jedoch 1533 Katharina de´ Medici zur Frau nahm. 1539 wollte ihr Vater sie schließlich erst mit dem protestantischen Herzog Philipp von der Pfalz und dann mit dem Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg verheiraten, aber auch daraus wurde nichts. Und dann bot sich erst im Jahre 1554 wieder die Aussicht auf eine mögliche Eheschließung an. Maria war mittlerweile eine 38-jährige Jungfer, die ohne sexuelle Erfahrungen war. Ihr Cousin Karl V. schlug ihr als Gatten seinen 27-jährigen Sohn Philipp II. vor, da er England als seinen Verbündeten im ständigen Kampf gegen Frankreich an seiner Seite wissen wollte und das Land zudem als Druckmittel gegenüber seinem Bruder Ferdinand I. in der Kaisernachfolgefrage benötigte.

Philipp II., der ein gehorsamer Sohn war, folgte dem Befehl seines Vaters, obwohl er von seiner neuen Braut alles andere als begeistert war. Er war schon einmal verheiratet gewesen, verlor aber seine erste Frau, Maria Manuela von Portugal, die zugleich seine Cousine war, 1548 bei der Geburt ihres ersten Kindes, Don Carlos.

In England stieß die Kunde von der bevorstehenden Heirat auf völlige Ablehnung. Das Unterhaus entsandte bereits acht Tage nach der Bekanntgabe der gewünschten Eheschließung am 16.11.1553 eine Abordnung zur Königin, um gegen die geplante Heirat mit Philipp II. zu protestieren und sie zu bitten, ihren zukünftigen Gatten in England zu suchen. Man befürchtete durch den spanischen Thronerben eine militante Rekatholisierung und die Hineinziehung in den Krieg mit Frankreich. In Spanien war die Heirat – nebenbei erwähnt – ebenso unpopulär wie in England! Maria war jedoch nicht bereit, den Ansichten ihres Parlamentes zu folgen. Schon bevor sie Philipp II. überhaupt kennengelernt hatte, war sie in ihn "halb verliebt." Aber ihre Untertanen gaben nicht auf. Was ihnen mit Worten nicht gelang, konnte vielleicht mit Waffengewalt erreicht werden. Im Januar/Februar 1554 wiegelte Sir Thomas Wyatt, ein Sohn des gleichnamigen Dichters, die Landedelleute von Kent auf und marschierte mit 3000 Mann auf London zu. Sie wollten mit Gewalt die spanische Heirat verhindern. Gegen die überlegenen Regierungstruppen hatten die Rebellen jedoch keine Chance. Maria ließ Wyatt und ungefähr 90 seiner Anhänger – unter ihnen fast 20 Führer des Hochadels – wegen Hochverrats hinrichten.

Über Philipp II. (1527-1598) berichteten die Zeitgenossen, daß er ein guter Tänzer und ein passionierter Reiter und Jäger gewesen sei. Er galt als sehr introvertiert, tiefreligiös, arrogant, egoistisch, herrschsüchtig, intolerant, unnahbar, pedantisch und arbeitswütig. Trotz dieser Eigenschaften wurde er jedoch von seinen vier Frauen über alles geliebt. Mit Maria, die seine zweite Frau werden sollte, hatte er das Interesse an Blumenzucht und Gartenpflege gemeinsam.

Maria heiratete ihren Philipp am 25.7.1554. Damit das Parlament seine Einwilligung zur Eheschließung letztendlich doch geben konnte, mußte Philipp auf eine Beteiligung an der englischen Regierung verzichten und versprechen, England nicht in einen Krieg zwischen Spanien und Frankreich zu verwickeln. Außerdem wurde vereinbart, daß Marias erster Sohn aus dieser Ehe die Anwartschaft auf die englische Krone und die niederländischen Provinzen erhielt. Beim Tode des ersten Sohnes Philipps II., Don Carlos, konnte Marias Sohn den Anspruch auf Spanien, Italien und die westindischen Gebiete erheben. Wenn das einzig überlebende Kind Marias eine Tochter sein sollte, hatten die gleichen Bestimmungen Anwendung zu finden, allerdings mit der Zusatzklausel, daß sie vor der Eheschließung die Zustimmung ihres spanischen Halbbruders erbitten und erhalten mußte. Maria durfte zudem England jederzeit verlassen. Es war ihr jedoch verboten, ihre Kinder bis zu deren Mündigkeit ohne Einwilligung des Parlamentes außer Landes zu bringen. Würde Maria, ohne Erben zu hinterlassen, vor ihrem Gatten sterben, sollte Philipp II. "keinerlei Anspruch im benannten Königreich erheben und ohne Behinderung die Thronfolge auf jene übergehen lassen, denen sie gehören soll und gemäß dem Recht und dem Gesetz des besagten Königreichs gebührt." (in: David M.Loades, Maria Tudor, München 1982, S. 135).

Maria liebte ihren Philipp sehr, obwohl die beiden wohl anfänglich große Verständigungsprobleme hatten, denn Maria beherrschte die spanische Sprache nicht und Philipp II. nicht die englische. Somit mussten sie sich wohl oder übel der Dolmetscher bedienen oder auf Französisch zurückgreifen.

Am 29.8.1555 verließ Philipp II. England und reiste nach Brüssel, um die Nachfolge seines Vaters in Spanien, Italien, in den westindischen Kolonien und in den Niederlanden anzutreten. Die im englischen Volk verbreitete Feindschaft gegenüber der spanischen Herrschaft war und blieb auch jetzt noch unerbittlich. Um die Weihnachtszeit 1555 versuchten Rebellen in der Dudley-Verschwörung die Regierung der Königin mit Hilfe einer Invasion von Exil-Engländern aus Frankreich von außen und eines Aufstandes von innen zu stürzen. Aber auch dieser Versuch scheiterte.

Zwei Jahre blieb Philipp II. auf dem Kontinent. Maria litt sehr unter seiner Abwesenheit. Ihr größter Wunsch, ihm ein Kind zu schenken, hatte sich bisher nicht erfüllt, obwohl Ende September 1554 Berichte von ihrer Schwangerschaft im Umlauf waren. Aber es handelte sich nur um eine Scheinschwangerschaft, wahrscheinlich durch ihren starken Wunsch nach einem Kind verursacht.

Da die meisten Kinder in Dörfern und auf den Höfen von Bauern geboren wurden, traf man Maria seit 1555 hauptsächlich dort an: "Hier setzt sie sich unter die Kleinen, beschenkt sie und liebkost sie; hier hält sie lange Plauderstunden mit schwangeren Frauen, läßt sich von ihrem leiblichen und seelischen Zustand und von ihren Erfahrungen aus früheren Geburten erzählen; hier übernimmt sie die Patenschaft, wo immer ein Säugling das Licht des Tages erblickt." (in: Ludwig Pfandl: Philipp II., München 1979, S. 299).

Im März 1557 kehrte Philipp nur auf Drängen seines Vaters für wenige Monate nach England zurück. Auf seine Veranlassung hin trat England am 7.6.1557 an der Seite Spaniens in den Krieg gegen Frankreich ein, der erst 1559 unter Elisabeth I. beendet werden konnte und England außer hohen Kosten noch den Verlust von Calais einbrachte. Und im April 1557 hatten sich erneut 400 bis 500 Männer unter einem gewissen Thomas Stafford zusammengefunden, die gewaltsam Marias Absetzung erzwingen wollten, da diese das Land Fremden ausgeliefert und die Freiheiten, Gesetze und Bräuche Heinrichs VIII. verletzt hätte. Zudem war Maria wegen ihres Mannes in Schwierigkeiten mit Papst Paul IV. geraten. Im September 1556 war es zwischen diesen beiden Männern aus machtpolitischen Gründen – es ging um Gebiete in Italien – zum Ausbruch eines offenen Krieges gekommen. Nachdem spanische Truppen unter dem Kommando des Herzogs von Alba in die vatikanischen Hoheitsgebiete eingedrungen waren, warf Paul IV. Maria vor, mit ihrem Gatten gemeinsame Sache zu machen und hielt sie beide für "Monarchen, die nichts als Tadel verdienten." Auch Reginald Pole fiel beim Papst in Ungnade und wurde seines Legatenamtes enthoben und sogar der Ketzerei beschuldigt. Schließlich mußte sich der Papst, nachdem er Philipp II. sogar exkommuniziert hatte, am 12.9.1557 den Bedingungen des siegreichen Herzogs von Alba beugen.

Als Philipp Maria am 5.7.1557 das zweite Mal verließ, ging es mit ihr körperlich und seelisch rasch bergab. Sie hatte sich wieder schwanger geglaubt, aber im Mai 1558 erwies sich alles wieder als ein Spuk. Die Wassersuchtbeschwerden, an denen sie schon seit einigen Jahren litt, nahmen zu. Immer häufiger traten zudem heftige Herzschmerzen auf. Außerdem verfiel sie oft in tiefe Depressionen, da sich ihr großer Wunsch, schwanger zu werden, nicht erfüllt hatte. Als Frau von 41 Jahren hatte sie kaum noch Hoffnung, Mutter zu werden. Wer wußte schließlich, wann sich ihr Mann wieder in England zeigen würde.

Königin Elisabeth I. von England
Abb. 66: Königin Elisabeth I. von England

Ende August 1558 wurde Maria von einem Fieber befallen, und Anfang Oktober hatte man bezüglich ihres Gesundheitszustandes bereits mit dem schlimmsten zu rechnen. Die Frage der Nachfolge war wieder aktuell geworden. Marias Verhältnis zu ihrer Halbschwester Elisabeth (Abb. 66) war sehr schlecht. Sie mochte diese nicht und mißtraute ihr. "Hinsichtlich der Lady Elisabeth hätte die Königin Bedenken, ihrer Nachfolge zuzustimmen, und zwar wegen ihrer ketzerischen Ansichten, ihrer Unehelichkeit und ihrer Charaktereigenschaften, die jene ihrer Mutter widerspiegelten." (in: David M. Loades, ebenda, S. 139). Maria hätte lieber ihre Cousine Margarete Douglas (1515-1578), Gräfin von Lennox, als ihre Nachfolgerin gesehen, die jedoch laut des Testamentes ihres Vaters als Tochter von seiner Schwester Margarete von der Thronfolge ausgeschlossen war. Außerdem sprach sich auch ihr Gatte Philipp II. für Elisabeth aus. So bestimmte Maria schließlich unter der Bedingung, daß ihre Halbschwester den katholischen Glauben bewahre, diese zu ihrer Nachfolgerin.

Am 17.11.1558 starb sie als einsame und unglückliche Frau in London. Philipp, den sie so sehr liebte, fand keine Zeit, seine todkranke Frau noch einmal zu besuchen. Der Mann, der Maria in diesen letzten schweren Stunden über die Abwesenheit ihres Ehegatten hinwegtröstete, war ihr alter Freund Reginald Pole. Philipp II. berichtete 14 Tage später seiner Schwester Johanna in Spanien von Marias Tod:
"...die Königin, meine Frau, ist tot. Möge Gott sie in seine Herrlichkeit aufnehmen. Ich habe ihren Tod mit angemessener Trauer zur Kenntnis genommen..." (in: David M. Loades, ebenda, S. 404). Zwei Monate nach Marias Tod warb er bereits um die Hand Elisabeths I., der neuen Königin von England, die ihm jedoch einen Korb gab.

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