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Frauenschicksale aus dem 15. und 16. Jahrhundert

Isabeau de Bavière (1370-1435) - Die vielen Hochs und Tiefs einer französischen Königin

Christine de Pizan und Isabeau de Bavière
Abb. 6: Christine de Pizan (vorne in der Mitte) überreicht der französischen Königin Isabeau de Bavière (links) eines ihrer Werke.

Isabeau, deren Geburtsname eigentlich Elisabeth ist, wurde im Jahre 1370 im Herzogtum Bayern geboren. Ihr Vater, Stefan III. (um 1337-1413), regierte das bayrische Herzogtum von 1375 bis 1392 zusammen mit seinen jüngeren Brüdern, Friedrich († 1393) und Johann II. († 1397). 1392 wurde das gemeinsame Herrschaftsgebiet der drei Brüder in Bayern-Ingolstadt, Bayern-Landshut und Bayern-München geteilt. Elisabeths Vater – seit dieser Teilung Herzog von Bayern-Ingolstadt – war von kleiner, gedrungener Gestalt. Seine Zeitgenossen berichten von ihm, dass er den Luxus und alles Prächtige besonders liebte und sich als mutiger und gefürchteter Kriegsmann, der zuweilen starrköpfig, aber auch freigebig bis verschwenderisch sein konnte, sehr schnell Respekt zu verschaffen wusste.

Seine erste Frau, Taddäa (um 1351-1381), Elisabeths Mutter, war die älteste Tochter des grausamen und blutrünstigen mailändischen Herrschers Bernabò (oder Barnabas) Visconti (1322/23-1385) und dessen erster Gattin Regina della Scala († 1384). Elisabeths Großvater mütterlicherseits sagte man Mordlust, Grausamkeit, Habgier und eine fast manische Sexualität nach. So ließ Bernabò Visconti z. B., wenn einer seiner 500 Jagdhunde in schlechter Verfassung war, den Aufseher dieses Hundes am nächsten Baum aufknüpfen. Taddäa, eines seiner 18 legitimen Kinder, die wegen ihrer hohen Mitgift geheiratet wurde, starb bereits am 28. September 1381, als Elisabeth, ihre einzige Tochter, erst 11 Jahre alt war.

Zusammen mit ihrem geliebten Bruder Ludwig, geboren im Jahr 1368, der später wegen seines Bartes, der nach französischer Art in zwei Spitzen auslief, den Beinamen "im Bart" oder "der Gebartete" erhielt, wurde Elisabeth sorgfältig erzogen. Sie konnte sogar lateinische Texte lesen und schrieb in ihrer Freizeit zuweilen Gedichte. Und schon als kleines Mädchen liebte sie besonders Vögel und Blumen. Diese Leidenschaft blieb ihr bis ins hohe Alter erhalten.

Äußerlich und charakterlich ging sie nach beiden Elternteilen. So hatte sie von ihrer Mutter, an der sie mit großer Liebe hing, deren blondes Haar, deren Charme und deren Temperament – besonders deren Lebhaftigkeit und Sinnlichkeit – und vom Vater die extrem kurzen Beine und die Liebe zum Luxus und allem Prächtigen geerbt.

Bernabò Visconti und seine erste Gattin, Regina della Scala
Abb. 7: Bernabò Visconti und seine erste Gattin, Regina della Scala, die Großeltern mütterlicherseits von Isabeau de Bavière
Herzog Philipp der Kühne von Burgund
Abb. 8: Herzog Philipp der Kühne von Burgund

Während Stefan III. seine Tochter mit einem deutschen Adligen verheiraten wollte, hatte Elisabeths Onkel Friedrich weitaus ehrgeizigere Pläne mit ihr. Mit dem burgundischen Herzog Philipp dem Kühnen war er übereingekommen, seine Nichte mit dem jungen Karl VI., geboren am 3. Dezember 1368, zu vermählen, der nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1380 König von Frankreich geworden war.

Es gab jedoch einen triftigen Grund, der Stefan III. zögern ließ, das geplante Eheprojekt gutzuheißen. Denn nachdem 1328 der letzte französische Kapetinger-König, Karl IV., gestorben war und ein Nachfolgestreit zwischen einem französischen Thronanwärter, Philipp VI. (1293-1350), aus dem Hause Valois und einem englischen Thronanwärter, König Eduard III. (1312-1377), ausgebrochen war, der letztendlich 1338 zum bekannten Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England führte, setzte der Herzog von Bayern-Ingolstadt seine Tochter einer ungewissen Zukunft aus. Der Sieger dieses Krieges war immer noch nicht ermittelt, aber Frankreich hatte bisher empfindliche Niederlagen einstecken müssen.

Letztendlich ließ Stefan III. sich jedoch von seinem Bruder Friedrich zu dieser Heirat überreden. Bevor nun aber der Ehevertrag zwischen Elisabeth und Karl VI. geschlossen werden konnte, musste die zukünftige Braut eine für Prinzessinnen ungewöhnliche Prozedur über sich ergehen lassen. Als zukünftige französische Königin kam sie nämlich nur infrage, wenn sie Nachkommenschaft garantieren konnte. So nahmen die französischen Hofdamen an der bayrischen Herzogstochter eine gründliche Untersuchung vor, "wobei an der nackten Bewerberin festgestellt werden sollte, ob sie die zur Geburt von Kindern geeigneten Formen besaß." Schließlich war ihre Gebärfähigkeit von hohem politischem Interesse.

Nachdem schließlich alles zur Zufriedenheit der untersuchenden Hofdamen ausgefallen war, durften sich die zukünftigen Brautleute am 14. Juli 1385 zum ersten Mal in Amiens sehen. Für den 16-jährigen, mittelgroßen, wohlgestalteten Karl VI. soll es Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Und so war er auch nicht bereit, die Hochzeit nach den Wünschen seines Onkels Philipp des Kühnen erst in einigen Wochen stattfinden zu lassen. Er verlangte im Gegenteil, in drei Tagen mit der zierlichen, schlanken, blonden Schönheit verheiratet zu werden. So wurde Elisabeth, die nach ihrer Eheschließung den französischen Namen Isabeau erhielt, am 17. Juli 1385 im Alter von 14 oder 15 Jahren die Gattin des französischen Königs.

Isabeau wird wohl ebenfalls von ihrem Gatten begeistert gewesen sein. Schließlich galt er, dessen weiches, blondes Haar zu dieser Zeit bis auf die Schultern fiel, als sehr sportlich, stark, gutmütig und sehr freigebig. Nur mit dem Lernen tat er sich sehr schwer. Aber was interessierte Isabeau schon in diesem Augenblick der Bildungsgrad ihres Mannes. Karl VI. liebte wie sie turbulente Festlichkeiten, fröhliche Gelage bei Wein und Musik und galante Tanzvergnügungen. Nur das zählte für sie.

Die erste Zeit als junge Gemahlin des französischen Königs lebte Isabeau im königlichen Schloss von Vincennes, das in ein weitläufiges Waldgelände eingebettet und von Blumenbeeten umsäumt war. Karl VI., der schon gleich nach der Vermählung wieder auf den unterschiedlichen Kriegsschauplätzen zu finden war, besuchte sie hier von Zeit zu Zeit für ein paar Tage oder auch nur für eine Nacht.

Jagdszene mit dem Schloss von Vincennes im Hintergrund
Abb. 9: Das Schloss von Vincennes im Hintergrund der Jagdszene
Herzog Johann von Berry
Abb. 10: Karls VI. Onkel, der Herzog Johann von Berry (rechts am Tische), verstand es ebenfalls, prächtig zu feiern.

Am 25. September 1386 brachte Isabeau ihr erstes Kind, einen Sohn, der nach seinem Vater Karl genannt wurde, auf die Welt. Die Freude am französischen Hofe war groß. Hatte die junge Königin doch bereits ein Jahr nach ihrer Heirat pflichtgemäß den Thronfolger geboren. Karl VI., der sich im flandrischen Feldlager befand, sah seinen Sohn jedoch erst Mitte Dezember. Der kleine Karl blieb aber nur bis zum 28. Dezember 1386 am Leben.

Isabeaus einzige Funktion war, lebensfähige männliche Erben für das französische Königreich zu gebären. Da nun das erste Kind bereits nach drei Monaten gestorben war, warteten nicht nur der König, sondern auch das Volk sehnsüchtig auf das nächste, das hoffentlich ebenfalls das richtige Geschlecht besaß. Isabeau gab sich in den folgenden Jahren sehr viel Mühe, diese Erwartungshaltung seitens ihres Gatten und ihres Volkes zu erfüllen. Am 14. Juni 1388 brachte sie ihr zweites Kind auf die Welt, das zur Enttäuschung ihres Mannes nur eine Tochter war, die er nach seiner Mutter Johanna nennen ließ. Zudem erwies sich das kleine Mädchen ebenfalls als nicht besonders lebensfähig. Bereits im Frühjahr 1390 starb es im Alter von eineinhalb Jahren.

Am 3. Dezember 1388, als Karl VI. 20 Jahre alt wurde, endete die Vormundschaft seiner Onkel, der zwei noch lebenden Brüder seines Vaters, des Herzogs Johann von Berry († 1416) und des Herzogs Philipp von Burgund († 1404), und des Bruders seiner Mutter, des Herzogs Ludwig II. von Bourbon († 1410), über ihn. Als souveräner Herrscher scheute er nun keine Kosten, um den Hofbällen, Turnieren und Ritterspielen einen Glanz zu verleihen, der alle Fürstenhöfe Europas neidisch auf Frankreich blicken ließ.

Isabeau, die am 22. August 1389 zur Königin von Frankreich gesalbt und gekrönt wurde, schenkte ihrem Mann am 9. November 1389 wieder eine Tochter, die Isabella genannt wurde. Und obwohl sie nun an vielen Wallfahrtsplätzen um einen Sohn bat, brachte sie am 24. Januar 1391 erneut eine Tochter – Johanna – auf die Welt. Erst am 6. Februar 1392 gebar sie den heiß ersehnten Sohn Karl.

Der Krönungszug der französischen Königin Isabeau de Bavière
Abb. 11: Der Krönungszug der französischen Königin Isabeau de Bavière, 1389

Eigentlich hätte dieses Jahr 1392 für Isabeau nun ein Glücksjahr werden können, aber stattdessen brach zum ersten Mal die rätselhafte Krankheit ihres Mannes aus. Begleitet von hohem Fieber, Bewusstseinsstörungen und Schüttelkrämpfen verlor Karl VI. völlig die Kontrolle über sich, griff seine eigenen Leute an und tötete vier von ihnen. Im September 1392 musste man ihn, damit er sich nicht aus dem Fenster stürzte, sogar in einem vergitterten Raum unterbringen.

Isabeau wusste in diesem Augenblick vielleicht noch nichts von der Erbkrankheit, die Karls VI. Mutter, Johanna von Bourbon, an ihre Kinder weitergegeben hatte. Denn bevor Isabeaus Schwiegermutter im Jahre 1378 nach der Geburt ihrer Tochter Katharina am Kindbettfieber gestorben war, hatte sie ebenfalls schon Phasen geistiger Umnachtung durchmachen müssen. Auch Johannas Bruder, Herzog Ludwig II. von Bourbon, sollte 1410 in geistiger Umnachtung sterben.

Johanna von Bourbon
Abb. 12: Die Mutter des französischen Königs Karl VI., Johanna von Bourbon
Karl VI. von Frankreich
Abb. 13: Karl VI. von Frankreich

Bei Karl VI. wechselten sich nun bis zu seinem Tode im Jahre 1422 immer wieder Perioden klaren Bewusstseins mit Wahnsinnsanfällen ab, die drei bis neun Monate währen konnten. 44 Attacken machten ihn innerhalb der nächsten 30 Jahre wiederholt regierungsunfähig.

Für Isabeau brach eine Welt zusammen. Was sollte aus ihr und aus ihren Kindern werden, wenn ihr Mann starb oder nicht mehr in der Lage war, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen?

In den Jahren 1393 und 1394 versuchte ihr Mann, sie in einer seiner gesunden Phasen bezüglich dieser Fragen zu beruhigen, indem er sie finanziell abzusichern begann. Isabeau wurde von ihm zur Lehnsherrin gewaltiger Ländereien mit den sich auf ihnen befindlichen Städten, Vogteien und Schlössern, Weg-, Fluss- und Brückenzöllen und der Gerichtsbarkeit erhoben. Der Hauptanteil dieser Gebiete lag in der Normandie, im Umkreis von Paris und in der Champagne. Isabeau zählte nun zu den größten Grundbesitzern Frankreichs. Außerdem betraute ihr Mann sie mit der Vormundschaft und mit der Erziehung des Thronfolgers bis zu dessen offiziellen Volljährigkeit, das heißt, bis ihr ältester Sohn das Alter von 20 Jahren erreichte. Bei der Erfüllung ihrer Vormundschaftspflichten sollte sie sich auf den Rat und die Hilfe der drei Onkel und des vier Jahre jüngeren Bruders des Königs, Ludwig von Orléans (1371-1407), stützen. Letzterer hatte im Falle der "Abwesenheit" – wie Karls VI. Wahnsinnsanfälle diplomatisch bezeichnet wurden – zudem die Rolle des Regenten zu übernehmen.

Während Isabeau am 22. August 1393 wieder einer Tochter das Leben geschenkt hatte, die Maria genannt wurde und die, um Karl VI. von seiner Geisteskrankheit zu befreien, "Gott geweiht" wurde, das heißt, im Alter von vier Jahren ins Kloster kam, um dort als Nonne für das Heil ihres Vaters zu beten, begann der Machtkampf zwischen Philipp von Burgund und Ludwig von Orléans, die die Phasen von Karls VI. Regierungsunfähigkeit zu ihrem eigenen Vorteil auskosten wollten.

Isabeaus Hauptaufgabe war hingegen immer noch, für gesunden männlichen Nachwuchs zu sorgen. Da es außer dem oft kränkelnden kleinen Karl noch keinen weiteren Sohn gab, teilte Isabeau auch weiterhin mit ihrem Gatten, wenn er nicht gerade unter einem Wahnsinnsanfall litt, das Ehebett. In seinen gesunden Phasen war Karl VI. körperlich so fit wie eh und je und überraschte jeden durch seine große sportliche Gewandtheit sowohl im Ballspiel und Bogenschießen wie auch auf der Jagd. So brachte Isabeau am 11. Januar 1395 erneut ein Kind, wieder ein Mädchen, das Michelle genannt wurde, auf die Welt. Erst am 22. Januar 1397 und am 31. August 1398 folgten die Söhne Ludwig und Johann. Als ihre Tochter Katharina am 27. Oktober 1401 auf die Welt kam, war ihr ältester Sohn Karl bereits am 11. Januar 1401 im Alter von acht Jahren gestorben. Nun war der vierjährige Ludwig der Thronfolger geworden.

Isabella mit ihrem ersten Gatten, dem englischen König Richard II.
Abb. 14: Isabeaus sechsjährige Tochter Isabella mit ihrem ersten Gatten, dem englischen König Richard II., dem man in dieser zeitgenössischen Darstellung nicht ansieht, dass er 23 Jahre älter als seine Braut ist.

Seit 1395 war auch Isabeau politisch aktiv, denn seit dieser Zeit arrangierte sie die Ehen ihrer Kinder, die in sehr jungen Jahren verheiratet wurden. So hielt bereits im Sommer 1395 der englische König Richard II. um die Hand ihrer fünfjährigen Tochter Isabella an. Als Unterpfand künftiger Freundschaft sollte die kleine Prinzessin eine Verlängerung des Waffenstillstandes zwischen England und Frankreich für weitere 20 Jahre garantieren. Ein Jahr später verließ die sechsjährige Isabella ihr Elternhaus, nachdem sie am 19. April 1396 mit ihrem 29-jährigen Gatten ferngetraut worden war. Am 14. Februar 1400 kam sie jedoch als 10-Jährige nach der Ermordung ihres Gatten wieder an den Hof ihrer Eltern zurück.

Das politische Klima wurde in Frankreich im Laufe der 90er Jahre durch die Fehden der Herzöge Philipp von Burgund und Ludwig von Orléans hingegen immer aggressiver. Isabeau versuchte, zwischen diesen beiden ehrgeizigen Verwandten zu schlichten. Oft waren ihre Mühen jedoch vergeblich. Von großer Hilfe war für sie in dieser schwierigen Situation ihr Bruder Ludwig, der von 1391 bis 1393 und von ungefähr 1400 bis 1415 an ihrem Hofe lebte und mit dem sie sich beraten konnte. Karl VI. hatte seinen Schwager in seine Dienste genommen und hatte ihn auch finanziell reichlich belohnt.

Der Streit zwischen Philipp von Burgund und Ludwig von Orléans spitzte sich jedoch weiter zu. 1401 drohte ihretwegen ein Bürgerkrieg auszubrechen. Isabeau mahnte beide immer wieder in beschwörenden Appellen zur Verständigung. Schließlich versprachen jene, sich bei künftigen Streitfällen dem Spruch eines Schiedsgerichtes zu unterwerfen, dem unter Vorsitz Isabeaus zwei Onkel und ein Cousin ihres Gatten, die Herzöge von Berry und Bourbon und der Herzog von Anjou, angehören sollten.

1402 übernahm Isabeau auch die oberste Steueraufsicht, nachdem Ludwig von Orléans und Philipp von Burgund sich diesbezüglich erneut in die Haare geraten waren. Ferner wurde ihr die Aufsicht über die schlecht verwalteten Krondomänen übertragen. Sie sollte hier endlich die Korruption – die Unterschlagung und die Verschleuderung von Steuergeldern – verhindern.

In all diesen Jahren, in denen Isabeau vergeblich um Aussöhnung zwischen den ehrgeizigen Kontrahenten bat, und während der vielen Wahnsinnsanfälle ihres Mannes fand sie eine Ersatzbefriedigung, indem sie sich mit ausgesuchtem Luxus umgab, aufwendige Feste veranstaltete und, während das Volk eine Hungersnot nach der anderen durchmachte, das Geld nur so aus dem Fenster warf. Zudem schien ihre Raffgier kein Ende zu finden, denn sie versuchte immer noch, weitere Domänen, Schlösser und Landhäuser zu erwerben.

Am 26. April 1403 wurde Isabeau schließlich auch noch zur Präsidentin des Staatsrats ernannt und übernahm somit die Leitung der Regierung. Philipp von Burgund hatte dies bewirkt, um die Vormacht von Ludwig von Orléans auszuschalten. Isabeau wurde in ihrer neuen hohen Funktion von den vier Herzögen von Berry, Bourbon, Burgund und Anjou, dem Kanzler und dem Kronfeldherrn unterstützt. In der entsprechenden Ordonnanz hieß es: "... wenn der König abwesend oder anderweitig verhindert ist, wenn er nicht so schnell wie nötig geheilt werden kann, so will es und befiehlt der König, daß ... während der ganzen Dauer der Abwesenheit oder anderer Verhinderung des Königs gehandelt wird, als wenn es durch seine Person geschehe. Dazu gibt er der Königin ab sofort und für immer Vollmacht und Autorität ..."

Nach dem Tod von Philipp dem Kühnen am 27. April 1404 erhob Isabeau allerdings sogleich ihren Schwager Ludwig von Orléans zu ihrem engsten Vertrauten. Das Zusammenleben mit ihrem Mann gestaltete sich für sie seit dieser Zeit immer unerfreulicher und gefährlicher. In seinen Wahnsinnsanfällen wurde er immer unberechenbarer. Zudem wollte Karl VI. mit seiner Frau und seinen Kindern oft nichts zu tun haben. Der zeitgenössischen Quelle "Chronique de Saint-Denis" ist zu entnehmen, wie sich Isabeau in diesen Augenblicken fühlte: "... Ich könnte unmöglich sagen, wie tief der Schmerz war, den die erlauchte Königin Isabeau ob der Verfassung des Königs empfand. Was sie besonders erschütterte, war, daß der König sie jedesmal, wenn sie sich ihm erschöpft von Weinen und Seufzen näherte, um ihm ihre reine Liebe zu bezeugen, von sich stieß und in ruhigem Ton seine Leute fragte: ,Wer ist dieses Weib, deren Anblick mich verfolgt? Erkundet, ob sie etwas braucht, und befreit mich, so gut ihr irgend könnt, von ihren Nachstellungen und Belästigungen, damit sie sich nicht in dieser Art an meine Fersen heftet ...'"

Karl VI. beschimpfte Isabeau nicht nur, sondern fing auch an, sie zu schlagen. Wie es mit dem französischen König um diese Zeit aussah, notierte erschüttert sein Kanzler Juvénal des Ursins: "Wenn der König aß, so schluckte er mit Wolfsgier. Man konnte ihn nicht entkleiden, er starrte vor Läusen und sonstigem Ungeziefer und Schmutz; und hatte ein kleines Stück Eisen, daß er an seiner Haut versteckte. Davon wußte man nichts, und sein armes Fleisch war verfault, und niemand wagte, sich ihm zu nähern, um ihn zu reinigen. Sein Arzt jedoch sagte, daß er gereinigt werden müsse und in Gefahr sei. Und auf seinen Rat wurde zehn oder zwölf Männern befohlen, sich Verkleidung umzutun und die Gesichter zu schwärzen. Sie hatten Metallplatten unter ihrem Zeug, da man in Sorge war, der König werde über sie herfallen. Sie traten, schreckhaft anzusehen, in sein Zimmer. Und als er sie wahrnahm, staunte er, und so gingen sie auf ihn zu. Und waren neue Gewänder für ihn angefertigt worden, Hemd, Schurz, Wams, Hosen, Schuhe, die brachte man ihm. Sie faßten ihn, er sprach dabei einige Worte, dann zogen sie ihn aus, und man streifte ihm die neuen Sachen über. Es war ein jämmerlicher Anblick, denn sein Leib war von Läusen und Unrat zerfressen. Und man fand das Eisen. Und wenn man ihn säubern wollte, mußte man ihn damit kratzen. Und wenn Leute kamen, ihn anzuschauen, so sah er scharf nach ihnen hin und blieb stumm dabei."

Isabeau – mittlerweile durch die vielen Schwangerschaften füllig geworden – begann sich aufgrund der schlechten Behandlung seitens ihres Gatten von diesem zurückzuziehen und erwarb außerhalb des königlichen Residenzbezirkes Saint-Pol das Hôtel Barbette, ein luxuriöses Stadthaus mit ausgedehnten Gartenanlagen. Als junge Frau von 34 Jahren, die das Leid vergessen wollte, das sie umgab, stürzte sie sich in Vergnügungen. Am 22. Februar 1403 hatte sie ihrem Gatten noch einen Sohn, Karl, geschenkt, aber ob ihr 12. und letztes Kind, Philipp, geboren am 10. November 1407, das angeblich nur wenige Stunden lebte, wirklich vom König gezeugt worden war, bezweifelten schon ihre Zeitgenossen. Isabeau, die immer noch als eine Schönheit beschrieben wurde, befand sich sehr oft in der Umgebung ihres Schwagers Ludwig von Orléans, der als charmanter Frauenheld und notorischer Verschwender galt. Wie eng diese Beziehung wirklich war, wissen wir nicht. Aber als Tochter einer Visconti-Mutter dichtete man der französischen Königin natürlich viel an. Isabeau schien jedenfalls in Anwesenheit ihres Schwagers wieder aufzublühen. Sie deckte schließlich mit der Autorität ihrer formellen Vollmachten und ihres Ranges den Machtanspruch ihres galanten Schwagers. Die eingetriebenen Gelder von den französischen Untertanen wurden, wenn sie nicht schon vorher in den dunklen Kanälen der Korruption verschwanden, von den beiden zur Gestaltung ausgefallener prächtiger Feste verwendet.

Aber mit dem Tod von Philipp dem Kühnen war der Streit zwischen den Häusern Orléans und Burgund nicht aus der Welt geräumt worden, denn Philipps ehrgeiziger Sohn Johann Ohnefurcht (1371-1419) führte die Auseinandersetzung fort. Isabeau wurde nun erneut als Friedensmaklerin zwischen den Kontrahenten gebraucht. Sie scheiterte indessen. Am 23. November 1407 wurde ihr Schwager, gerade als er ihr Hôtel Barbette verlassen hatte, im Auftrage von Johann Ohnefurcht heimtückisch ermordet.

Johann Ohnefurcht, Herzog von Burgund
Abb. 15: Johann Ohnefurcht, Herzog von Burgund
Isabeaus Sohn Ludwig, der französische Thronfolger
Abb. 16: Isabeaus Sohn Ludwig (ganz links), der französische Thronfolger, im Kreise der Familie seines Schwiegervaters Johann Ohnefurcht (zweite Person von links)

Im Dezember 1407 übertrug man derweil Isabeau in einem Staatsakt während der "Abwesenheit" des Königs in dessen Namen die Regentschaft über den Kronprinzen Ludwig. Johann Ohnefurcht war ihr allerdings – politisch gesehen – weit überlegen. Bereits 1408 ging er dazu über, seine eigenen Leute in Schlüsselpositionen in der Regierung und in der Verwaltung Frankreichs unterzubringen. Karl VI. genehmigte dessen Machenschaften zudem noch. Isabeau konnte nur noch ohnmächtig zusehen.

Ihr engster Vertrauter war in dieser schwierigen Zeit wieder ihr cholerischer Bruder, dessen vielen Schulden in Bayern sie mit Hilfe der französischen Staatskasse zu reduzieren versuchte. So kassierte Ludwig dank seiner Schwester Riesensummen, die er zum größten Teil sofort nach Bayern-Ingolstadt schleuste. Um 1404/05 berichtet der "Mönch von St. Denis" in seiner Chronik von sechs mit Münzgold beladenen Saumpferden, die auf ihrem Weg nach Bayern in Metz aufgehalten worden seien, "weshalb sich viele fragen, ob sie (die Königin) Frankreich verderben und die Deutschen bereichern wolle ..."

Isabeau hatte sich im französischen Volke durch ihre Beziehung zum sehr ehrgeizigen und arroganten Ludwig von Orléans, durch die großzügigen Zuwendungen an ihren Bruder und durch ihre Verschwendungssucht mittlerweile sehr unbeliebt gemacht. Am Himmelfahrtstag 1405 hatte der Augustinermönch Jacques Legrand vor der Königin und der Hofgesellschaft daher folgende Predigt gehalten: "... Noble Königin, ich wollte ich könnte nur Angenehmes sagen. Aber Euer Heil ist mir teuerer als Euer Wohlwollen. Ich werde also die Wahrheit sagen, wie immer Eure Gefühle mir gegenüber sein werden. Die Dame Venus regiert allein an Eurem Hof. Trunkenheit und Ausschweifung sind ihre Gefährten, die bei ausgelassenem Tanz die Nacht zum Tage machen. Dieses verworfene und höllische Gefolge, das ohne Unterlaß Euren Hof belagert, verdirbt die Sitten und verletzt die Herzen. Wisset, noble Königin, daß man über diese Zustände und vieles mehr spricht, was Eurem Hof zur Unehre gereicht. Wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so streift in Verkleidung einer armen Frau durch die Stadt und Ihr werdet hören, was alle sagen ..."

Ludwig im Bart blieb indessen noch bis zum Jahre 1415 am Hofe seiner Schwester. Er war nicht nur mit zwei französischen adligen Damen verheiratet gewesen, er vertrat auch seinen königlichen Schwager oft im Staatsrat und wirkte seit 1408 als Gouverneur des Hofes seines Neffen Ludwig. Zudem vertrat er den französischen König auf dem Konstanzer Konzil, auf dem über den rechtmäßigen Papst entschieden werden sollte. Mit dem französischen Geld, das er bis 1415 angehäuft hatte, wollte er seine Machtstellung in Bayern ausbauen. Seine Schwester besuchte er nach 1415 nie wieder.

Isabeaus Aufgabe seit 1408 war, einen Bürgerkrieg zwischen den Burgundern und den Anhängern des ermordeten Ludwigs von Orléans zu verhindern. 1409 gelang es ihr, eine Versöhnung zwischen den beiden verfeindeten Faktionen zu erreichen. Aber Johann Ohnefurchts Machtgier kannte keine Grenzen. Während der Wahnsinnsanfälle des französischen Königs säuberte er den Hof von seinen Widersachern und ließ sich schließlich zum Erzieher und ständigen Betreuer seines Schwiegersohnes, des Thronfolgers Ludwig, für die Zeit der "Abwesenheit" Karls VI. erheben. Isabeaus Gatte war mittlerweile völlig willensschwach geworden und unterschrieb alles, was man ihm vorlegte.

1410 kam es erneut zu einer scharfen Konfrontation zwischen den Burgundern und den Orléanisten, deren Wortführer nun Graf Bernard VII. von Armagnac, ein Schwiegersohn des Herzogs Johann von Berry, war. Wie üblich versuchte Isabeau zu vermitteln. Aber sie konnte keine Verständigung zwischen den verfeindeten Faktionen erreichen. Von 1411 bis 1412 herrschte in Frankreich schließlich der Bürgerkrieg. Isabeau gab jedoch nicht auf. Sie schickte weiterhin Botschaften an die Kontrahenten. 1413 kam noch ein Aufruhr in Paris hinzu, der von den Metzgern und den Gesellen der Schlachthöfe angeführt wurde. Die königliche Familie und die in Paris weilenden Herzöge wurden Gefangene der Aufrührer. Mehrfach erzwang die Menge sich während der Mai-Wochen Einlass in die königliche Residenz Hôtel Saint-Paul und brachte dem König ihre Beschwerden vor. Außerdem verlangte sie die Auslieferung einer Reihe von Hofmeistern, Sekretären, Rittern und Hofdamen. Die meisten gehörten dem Hofstaat der Königin an. Isabeau musste sich fügen und ihre Diener und Dienerinnen dem erzürnten Volk übergeben. Erst nachdem es einigen Adligen in Paris gelungen war, einen Hilferuf an die Armagnaken zu senden, konnte der Aufstand nach einem fürchterlichen Gemetzel im September 1413 beendet werden.

1414 war Isabeau entschlossen, sich dem Machtkampf des Burgunders entgegenzustellen. Aber wieder wurde Frankreich von einem Bürgerkrieg erschüttert, der indessen bereits kurze Zeit später im Friedensvertrag von Arras am 4. September 1414 sein vorläufiges Ende fand.

1415 erklärte sich Isabeaus ältester Sohn Ludwig, der nun 18 Jahre alt war und der seit August 1404 mit Margarete († 1442), der ältesten Tochter von Johann Ohnefurcht, verheiratet war, selbst für mündig und übernahm die Regierungsgewalt. Die Streitigkeiten zwischen den Burgundern und Orléanisten hörten jedoch auch hiermit nicht auf.

In England beobachtete der 27-jährige König Heinrich V., seit 1413 Nachfolger seines verstorbenen Vaters Heinrich IV., genüsslich die Situation in Frankreich. Der Waffenstillstand zwischen England und Frankreich war im Februar 1415 abgelaufen. Die Chancen für Heinrich V., König eines englisch-französischen Doppelreiches zu werden, standen sehr gut. Und so machte er sich mit seinem Heer auf den Weg ins französische Königreich nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.

König Heinrich V. von England
Abb. 17: König Heinrich V. von England

Mit einem Heeresaufgebot, das nur ein Fünftel des französischen betrug, gelang es ihm, den Franzosen bei Azincourt am 24. Oktober 1415 die schlimmste Niederlage im Hundertjährigen Krieg beizubringen. 10.000 Franzosen, meist Edelleute, lagen tot oder sterbend auf dem Schlachtfeld, 1.500 Adlige gerieten in Gefangenschaft. Ganze Adelsfamilien waren ausgelöscht worden. Heinrich V. selbst verlor in diesem Gemetzel nur um die 1.000 Mann.

Am 18. Dezember 1415 starb Ludwig, der französische Thronfolger, an der Ruhr oder an den Folgen einer schweren Erkältung. Sein Nachfolger wurde sein 17-jähriger Bruder Johann, der mit seiner jungen Gattin Jakobäa (1401-1436), der einzigen Tochter des Grafen Wilhelm VI. von Bayern-Straubing, Hennegau, Holland und Seeland, seit 1406 am Hofe der Schwiegereltern im Hennegau lebte. Aber auch dieser Sohn von Isabeau starb bereits am 4. oder 5. April 1417 an den Folgen einer eitrigen Halsentzündung.

Während sich die Orléanisten weiter mit den Burgundern bis aufs Messer bekämpften, brach Heinrich V. zur Eroberung der Normandie auf. Isabeau selbst konnte nichts mehr unternehmen. Vom Grafen von Armagnac, dem sie politisch im Wege stand, wurde sie in der bei Tours gelegenen Benediktinerabtei Marmoutier unter strenger Bewachung gehalten. Erst im November 1417 gelang ihr mit Hilfe Johann Ohnefurchts die Flucht nach Troyes. Sie selbst wusste nicht mehr, wie man die politische Situation – Bürgerkrieg und Invasionskrieg seitens Englands – in den Griff bekommen sollte, und unterstützte nun den Burgunder, von dem sie die Lösung des Konfliktes erwartete. Anfang Januar 1418 ernannte sie Johann Ohnefurcht daher zum Gouverneur des französischen Königreiches mit unbeschränkten Vollmachten.

Außerdem versuchte sie noch, Kontakt mit ihrem Sohn, dem französischen Thronfolger Karl (VII.), aufzunehmen, der seinen Hauptsitz in Bourges hatte und der nach der Ermordung des Grafen Bernard VII. von Armagnac am 12. Juni 1418 zum Oberhaupt der Orléanisten erklärt wurde. Sie beschwor ihn, dass er zu seinen Eltern zum Wohle des Vaterlandes zurückkehren möge. Nur wenn der Krieg zwischen seiner Faktion und der der Burgunder aufhören würde, bestände eine Chance, die Engländer zu besiegen. Ihre Zwietracht würde den Gegner nur stärken.

Im Mai 1419 kam es dann in Melun zum berühmten Königstreffen zwischen Heinrich V. und Isabeau, die in Vertretung ihres Mannes erschienen war, da Letzterer wieder einmal von einem seiner Wahnsinnsanfälle ergriffen worden war. Heinrich V. verlangte erstens die formelle Abtretung der Normandie, die er schon längst erobert hatte, zweitens die Hand von Katharina, der jüngsten Tochter von Isabeau, und drittens die Anerkennung seines Anrechts auf den Lilienthron in der Nachfolge von Karl VI. Die Forderungen gingen Isabeau jedoch zu weit. So trennte man sich nach mehrwöchigen Verhandlungen ohne konkretes Ergebnis.

Erneut versuchte Isabeau nun, zwischen Karl (VII.) und Johann Ohnefurcht zu vermitteln. Vielleicht konnte sie die beiden zum Wohle Frankreichs doch noch aussöhnen? Am 11. Juli 1419 kam es zwischen den Kontrahenten in Pouilly jedoch nur zu vagen Absprachen. Isabeau gab aber nicht auf. Ein erneutes Treffen wurde am 10. September 1419 in Montereau vereinbart. Aber hier begrub ein Begleiter von Karl (VII.), Tanneguy Duchatel, da er mit seiner Streitaxt dem Burgunder Johann Ohnefurcht den Schädel einschlug, jede Hoffnung, noch irgendetwas auf französischer Seite gegen Heinrich V. unternehmen zu können.

Isabeau wandte sich deshalb am 20. September 1419 erneut an Heinrich V., dem sie die Wiederaufnahme der Verhandlungen vorschlug. Auch die Bürgerschaft und die Universität von Paris, die weiterhin von mörderischen Armagnac-Banden bedrängt wurden, suchten ihr Heil beim englischen König. Das gepeinigte französische Volk hatte genug von den Bürgerkriegen und rief nach Frieden und Einigung mit England. Isabeau nahm wegen ihrer Fußgicht im Rollstuhl an den Verhandlungen teil. Anfang April 1420 konnte der Entwurf eines Abkommens mit Heinrich V. fertiggestellt werden, den das Parlament in Paris ohne Einwand billigte.

Heinrich V. von England heiratet die französische Prinzessin Katharina
Abb. 18: Heinrich V. von England heiratet die französische Prinzessin Katharina.

Am 21. Mai 1420 wurde der Vertrag von Troyes unterschrieben, der Heinrich V. zum Nachfolger Karls VI. von Frankreich erklärte und Karl (VII.) von der Thronfolge ausschloss. Durch die Heirat mit Katharina, der 18-jährigen bildhübschen Tochter von Isabeau, am 2. Juni 1420 wurde der englische König zudem Mitglied der französischen Königsfamilie. Der Vertrag gewährte beiden Königreichen ihre eigene rechtliche wie politische Existenz. Im Artikel 24 hieß es ausdrücklich, dass unter einem König und souveränen Herrn jedem Königreich "seine Rechte, Freiheiten und Gebräuche, seine Gepflogenheiten und Gesetze" bewahrt werden und dass "das eine Königreich in keiner Weise dem anderen untergeordnet werde".

Am 3. Januar 1421 wurde über Karl (VII.), der die Ermordung von Johann Ohnefurcht angeordnet haben soll, der Bann im Namen von Karl VI., Heinrich V. und Philipp dem Guten (1396-1467), dem Sohn und Nachfolger des Ermordeten, verhängt. Zudem erklärte man ihn bei dieser Gelegenheit aller Rechte auf die französische Krone für verlustig.

Die letzten 14 Jahre ihres Lebens wurden für die an Luxus und Pracht gewöhnte Isabeau zu kümmerlichen Jahren. Durch den immer noch anhaltenden Bürgerkrieg flossen kaum noch Gelder in die Königskasse. Ihre eigenen Ländereien waren verwüstet oder waren von feindlichen Truppen besetzt. Isabeau wollte in dieser Bedrängnis auf die Erträge ihrer bayrischen Besitzungen zurückgreifen, die sie in den Jahren des Überflusses durch ihren Bruder an der oberen Donau und in der Oberpfalz hatte kaufen lassen. Ihr Bruder, der in heillose Händel mit seinen Cousins verstrickt war und bis zum Hals selbst in Schwierigkeiten steckte, hatte jedoch mittlerweile sämtliche mit französischem Geld erworbenen Besitzungen einschließlich denen von Isabeau verloren. Sein Ende sollte ebenfalls tragisch werden. Als Gefangener seines Cousins, des Herzogs Heinrich des Reichen von Bayern-Landshut, starb er am 1. oder 2. Mai 1447 auf dessen Festung in Burghausen.

Brachte das Jahr 1421 immerhin noch die frohe Botschaft, dass ihre jüngste Tochter Katharina am 6. Dezember im Schloss Windsor von einem gesunden Sohn entbunden wurde, der nach seinem Vater Heinrich genannt werden sollte, lieferte das Jahr 1422 dagegen nur unangenehme Nachrichten.

So starb am 8. Juli 1422 Isabeaus sanfte und liebenswürdige Tochter Michelle, die im August 1404 im Alter von neun Jahren mit Philipp dem Guten verheiratet worden war. Jener folgte am 31. August Heinrich V. – erst 35 Jahre alt – als ein Opfer der Ruhr. Am 21. Oktober verlor Isabeau auch noch ihren Gatten. Als Königinwitwe war sie nun, da sie keinen Einfluss mehr besaß, für die Großen des Landes nicht mehr von Interesse. Gichtgeplagt, wegen ihrer enormen Leibesfülle unbeweglich geworden und oft krank, verbrachte sie ihren Lebensabend fortan mit ein paar loyalen Hofdamen in einem Palais des verödeten, weitläufigen Residenzbezirkes Saint-Paul. Gelegentlich empfing sie noch einige Bürgerinnen der Stadt. Die adligen Freunde hatten sich nach dem Erlöschen ihres Einflusses längst verflüchtigt.

Am 3. oder 23. Juli 1423 erhielt Isabeau schließlich die freudige Nachricht, dass Marie d'Anjou, die ungeliebte, hässliche Gattin ihres Sohnes Karl (VII.), in Bourges einen Sohn, Ludwig (XI.), geboren habe. 14 Kinder schenkte ihre Schwiegertochter ihrem einzigen noch lebenden Sohn, der mit seinen kleinen, runden Augen, den Hängebacken, der langen, spitzen Nase, den x-förmigen Beinen, seiner winzigen, schmächtigen Figur und seinem blässlichen Teint wie seine Gattin ausgesprochen hässlich war.

Königin Isabeau de Bavière
Abb. 19: Königin Isabeau de Bavière
Marie d'Anjou
Abb. 20: Isabeaus Schwiegertochter, Marie d'Anjou

1429 teilte man Isabeau mit, dass eine gewisse Jehanne d'Arc das schon zur Kapitulation bereite Orléans entsetzt und das Kriegsglück der Franzosen eingeleitet habe. Am 17. Juli 1429 führte diese Nationalheldin Karl VII. zur Krönung nach Reims, um dann am 31. Mai 1431 als angebliche Ketzerin auf dem Scheiterhaufen ihr Leben zu verlieren.

Mitte Dezember 1431 sah Isabeau auch zum ersten Mal ihren 10-jährigen Enkel Heinrich VI. bei seinem Einzug in Paris. Er wurde am 16. Dezember in der Pariser Kathedrale Nôtre-Dame feierlich zum König von Frankreich gekrönt. Somit gab es jetzt zwei gesalbte und gekrönte französische Könige: Isabeaus Sohn Karl VII. und ihren Enkel, Heinrich VI. von England.

Nach Weihnachten verließ Letzterer jedoch bereits wieder Paris und Frankreich. Durch seinen Großvater Karl VI. trug er die Erbkrankheit in sich, die ihn später als Erwachsenen zuweilen ebenfalls regierungsunfähig machen sollte. Aber im Gegensatz zu dem friedlichen Ende seines Großvaters wurde Heinrich VI. im Jahre 1471 im Tower von London ermordet.

Von Isabeaus 12 Kindern waren in ihrem Todesjahr 1435 bereits neun gestorben. Isabella, ihre älteste Tochter, die nach ihrer englischen Kinderehe wieder nach Frankreich zurückgekehrt war, hatte 1406 als 17-Jährige ihren 12-jährigen Cousin Karl († 1465), den ältesten Sohn von Ludwig von Orléans, heiraten müssen. Die indessen sehr glückliche Ehe endete bereits am 13. September 1409, als Isabella bei der Geburt ihres ersten und einzigen Kindes, ihrer Tochter Jeanne, im Kindbett starb. Am 20. September 1433 war auch Isabeaus Tochter Johanna, die 1397 als 6-Jährige mit dem 8-jährigen Johann V., dem Herzog von der Bretagne, vermählt worden war, gestorben.

König Heinrich VI. von England wird zum König von Frankreich gekrönt.
Abb. 21: Isabeaus Enkel, der 10-jährige englische König Heinrich VI. von England, wird zum König von Frankreich gekrönt.
König Karl VII. von Frankreich
Abb. 22: König Karl VII. von Frankreich

1435 lebten also nur noch Isabeaus Sohn Karl VII. († 1461) und ihre Töchter Maria († 1438), die als Nonne in Poissy lebte, und Katharina († 1437), die nach dem Tode ihres ersten Mannes um 1431 heimlich ihren Garderobevorsteher, den walisischen, verarmten, aber sehr gut aussehenden, athletisch gebauten Edelmann Owen ap Maredudd ap Tudur (in die englische Geschichte unter dem nicht korrekten Namen Owen Tudor eingegangen) († 1461), geehelicht hatte, dem sie in den Jahren 1432 bis 1434/35 drei Söhne (Edmund, Jasper und Owen) und im Jahr 1436 die Tochter Katherine schenken sollte. Als Stammmutter des englischen Königsgeschlechtes der Tudors, die von 1485 bis 1603 das englische Königreich regierten, wurde Isabeaus jüngste Tochter zur Urur- bzw. Urururgroßmutter der englischen Königinnen Maria Tudor und Elisabeth I. und der schottischen Königin Maria Stuart.

Bevor Isabeau, einsam und verlassen, am 30. September 1435 in Paris verstarb, war am 20. September 1435 noch der Friedensvertrag von Arras zwischen Karl VII. und Philipp dem Guten von Burgund unterschrieben worden, der zumindest das Ende des Bürgerkrieges in Frankreich bewirkte. Erst 18 Jahre nach Isabeaus Tod wurde auch der Hundertjährige Krieg beendet. England sollte dann in Frankreich nur noch Calais und die winzige Grafschaft Guisnes besitzen.


Lese-/Videotipps:
  • Joseph Calmette: The Golden Age of Burgundy - The Magnificent Dukes and their Courts. London 1962
  • R. C. Famiglietti: Royal Intrigue – Crisis at the Court of Charles VI. – 1392-1420. New York 1986
  • Bryan Holme: Der Glanz höfischen Lebens im Mittelalter. Freiburg, Basel, Wien 1987
  • Jean Markale: Isabeau de Bavière – Die Wittelsbacherin auf Frankreichs Thron. München 1994
  • Martin Saller: Königin Isabeau – Die Wittelsbacherin auf dem Lilienthron. München 1979
  • Wilhelm Strömer: Königin Isabeau von Frankreich/Bavière, S. 351-368, in: Karl Rudolf Schnith (Hrsg.): Frauen des Mittelalters in Lebensbildern. Graz, Wien und Köln 1997
  • Marcel Thibault: Isabeau de Bavière – Reine de France – La Jeunesse 1370-1435. Paris 1903
  • Barbara Tuchman: Der ferne Spiegel – Das dramatische 14. Jahrhundert. München 19877

Falls Sie etwas mehr über Isabeaus schöne Tochter Katharina und deren Nachkommen erfahren möchten, kann ich Ihnen folgende zwei Bücher empfehlen:

  • Ralph A. Griffiths and Roger S. Thomas: The Making of the Tudor Dynasty. Gloucester 1985
  • Letters of the Queens of England 1100-1547, edited by Anne Crawford. London 1997
  • Maike Vogt-Lüerssen: Die Frauen des Hauses Tudor – Das Schicksal der weiblichen Mitglieder einer englischen Königsdynastie. Adelaide 2015 (E-Book und Buch)

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