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Alltagsgeschichte des Mittelalters

V. 4.3. Der Zölibat

Die Ursprünge des Zölibats sind wie die Sexualfeindlichkeit der Geistlichen in der Antike zu suchen. Die Kirchenmänner gelangten nämlich mit Hilfe der griechischen, römischen und jüdischen Gelehrten zu der Auffassung, daß sie Gott nur vollkommen dienen könnten, wenn sie ihre fleischlichen Begierden dem Verstand unterwerfen würden.

In der Synode von Elvira zu Beginn des 4. Jhs. wurde im Canon 33 bestimmt, "daß den Bischöfen, Priestern und Diakonen sowie allen Klerikern, die den Altardienst versehen, zu befehlen sei, sich des ehelichen Verkehrs mit ihren Ehefrauen zu enthalten und keine Kinder mehr zu zeugen. Zuwiderhandelnde sollen aus dem Klerikerstand ausgestoßen werden." (in: Uta Ranke-Heinemann, ebenda, S. 107)

Der Kirchenvater Ambrosius († 397) forderte, daß alle Priester sich des Geschlechtsverkehrs mit ihren Frauen künftig vollkommen enthielten.

Papst Gregor I. († 604) verlangte von den Geistlichen, daß sie vom Tage ihrer Weihe an ihre Ehefrauen nur noch wie Schwestern liebten, und riet ihnen zudem, sich vor ihren Gattinnen wie vor einem Feind zu hüten.

Bonifatius († 754) drohte den immer noch zahlreich verheirateten Klerikern an, sie fortan hart zu bestrafen:
"Ein schuldiger Priester soll ‚zwei Jahre im Kerker bleiben, vorher jedoch öffentlich gestäupt und gepeitscht werden, nachher mag der Bischof diese Strafe wiederholen lassen‘. Mönche und Nonnen sollen ‚nach der dritten Prügelung in den Kerker gebracht werden und daselbst bis zum Ablauf eines Jahres Buße tun‘". (in: Uta Ranke-Heinemann, ebenda, S. 112)

Trotz dieser Gewaltandrohungen waren um das Jahr 1000 herum noch die meisten Geistlichen verheiratet.

Die Päpste und Kirchenväter gaben jedoch ihren Kampf gegen die Ehe nicht auf. Auf der Synode zu Pavia im Jahre 1022 ordneten Papst Benedikt VIII. und Kaiser Heinrich II. gemeinsam an, daß alle Geistlichen – einschließlich der Subdiakone – sich nicht mehr ehelichen dürften. Zuwiderhandelnde mußten mit schweren Strafen rechnen.

Andere Päpste drohten den Widerspenstigen mit Amtsenthebungen, mit dem Verkauf ihrer Ehefrauen, der Unfreiheit und dem Erbverbot ihrer Kinder.

Kritische Anmerkungen gegen den Zölibat wurden von Anfang an im Keime erstickt. So wurde der Hinweis, daß doch die Apostel auch alle verheiratet gewesen wären, von Petrus Damiani († 1072) folgendermaßen kommentiert: "Petrus hat den Schmutz der Ehe mit dem Blut seines Martertodes abgewaschen." (in: Uta Ranke-Heinemann, ebenda, S. 113)

Auf dem zweiten Laterankonzil im Jahre 1139 gab der Papst Innozenz II. († 1143) schließlich folgendes bekannt:
"Wir bestimmen auch, daß die, welche den Subdiakonat oder eine noch höhere Weihe empfangen haben und sich mit Frauen ehelichen oder sich Konkubinen halten, ihr Amt und kirchliches Benefiz verlieren sollen. Weil sie nämlich Tempel Gottes, Gefäße Christi, Heiligtum des Heiligen Geistes sein und heißen sollen, ist es unwürdig, daß sie der Unzucht und der Unreinheit dienen (Kanon 6). Auf den Spuren Unserer Vorgänger Gregors VII., Urbans und Paschalis' befehlen Wir, daß niemand bei denen die Messe hören darf, die bekanntermaßen Ehefrauen oder Konkubinen haben. Damit aber das Gesetz der Enthaltsamkeit und die Gott gefällige Reinheit unter den kirchlichen Personen und höheren Weihen verbreitet werden, bestimmen Wir, daß Bischöfe, Priester, Diakone, Subdiakone, Regularkanoniker, Mönche und Konversen, die die Gelübde abgelegt haben, sich von den Frauen trennen, mit denen sie sich durch Überschreiten des heiligen Vorsatzes zu kopulieren wagten, denn diese Verbindung, die gegen die kirchliche Regel verstößt, betrachten Wir nicht als Ehe. Auch müssen die, welche sich voneinander getrennt haben, die solch großen Exzessen entsprechende Buße leisten (Kanon 7)." (in: Bernd Schimmelpfennig, Zölibat und Lage der "Priestersöhne" vom 11. - 14. Jh., in: HZ, 227. Bd., 1978, S. 8)

Seit dieser Zeit wurden die Ehefrauen der Geistlichen neben "Konkubinen", auch "Huren" oder "Ehebrecherinnen" bezeichnet.

Walter Schubart sieht in der Einführung des Zölibats den Niedergang der katholischen Kirche eingeleitet:
"Man muß endlich erkennen, daß die Askese den Sittenverfall mitverschuldet hat, durch den sich der päpstliche Hof im späten Mittelalter ebenso auszeichnete wie die Mehrzahl der Klöster. Die Bildung der Bettelorden und die Bewegung der Geißler war die Mahnung der ehrlichen unter den Christen an die abtrünnigen unter ihnen. Einige Nonnenklöster trieben es so toll, daß sich die staatlich genehmigten Freudenhäuser wegen dieses unlauteren Wettbewerbs beschwerten und keine Abgaben mehr zahlen wollten. Wechselweiser Besuch von Mönchen und Nonnen war an der Tagesordnung. Manche Männer- und Frauenklöster waren miteinander durch unterirdische Gänge verbunden, um sich den sündhaften Verkehr hinter dem Rücken der Öffentlichkeit zu erleichtern. Nicht wenige Mönche hielten Konkubinen. Priester lebten sich mit ihren Haushälterinnen aus." (in: Walter Schubart, Religion und Eros, München 1941, S. 214/215)

Seine Aussage wird auch durch den berühmten Rosenroman (13. Jh.) bestätigt: "... denn die Unzucht herrscht überall und ihre Macht ist stets im Wachsen. In keiner Abtei und in keinem Kloster ist die Keuschheit mehr sicher." (in: Guillaume de Lorris, Der Rosenroman, übersetzt von Gustav Ineichen, Berlin 19873, S. 79/80)

Im Konzil von Trient (1545 - 1563) wurde schließlich jedem, der behauptete, es sei nicht besser und gottseliger, in der Jungfernschaft oder Ehelosigkeit zu bleiben als zu heiraten, mit der Exkommunikation gedroht!

In der Praxis sah es aber ganz anders aus!

So hielt man um das Jahr 1200 im Bistum Salzburg denjenigen Geistlichen für einen Heiligen, der nur eine Konkubine besaß. Und Bischof Heinrich von Basel († 1238) hinterließ bei seinem Tod 20 vaterlose Kinder. Sein Kollege, der Bischof Heinrich von Lüttich, der nach seiner Amtsenthebung im Jahre 1281 seinen Nachfolger ermordete, besaß sogar 61 Kinder!


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