"Die Welt des Mittelalters ist eine aristokratische Welt. Staat und Gesellschaft werden vom Adel beherrscht. Eine Anzahl großer Familien ... gebietet über Land und Leute ... Die Taten und Untaten dieser weltlich-geistlichen Aristokratie machen die Geschichte jener Jahrhunderte aus, mit ihnen füllen die Chronisten der Zeit die Blätter ihrer Bücher. Von anderen Leuten ist nichts zu vermelden. Das Volk auf dem Land ist zum größten Teil abhängig, unfrei in mannigfaltigen Abstufungen. Es hat zu gehorchen, zu arbeiten und Abgaben zu entrichten. Zu sagen hat es nichts. Es hat im Grunde keine Geschichte." (in: H. Dannenbauer, Adel, Burg und Herrschaft bei den Germanen (1941), in: H. Kämpf, Herrschaft und Staat im Mittelalter, 1956, S. 66f)
Aber trotzdem können wir doch einiges über das Leben der Bauern berichten. Zur Zeit Karls des Großen gab es noch viele wehrpflichtige, freie Bauern, die das Recht hatten, Waffen zu tragen, und die Pflicht, Steuern zu zahlen und an den Kriegen teilzunehmen. Um der unter Karl dem Großen zur Belastung werdenden Kriegspflicht zu entgehen, hatten sich jedoch viele Bauern in die Abhängigkeit eines Adligen oder Geistlichen begeben. In anderen deutschen Gebieten wurden viele Höfe durch die Realteilung, in der sämtliche Kinder mit einem Stückchen Land ihres Vaters beerbt wurden, so klein und unrentabel, daß deren Besitzer im Laufe der Zeit ebenfalls in die Abhängigkeit eines adligen oder geistlichen Herrn gerieten. So wurden die freien Bauern im 8. - 11. Jh. immer mehr zu einer Randgruppe. Nur im Alpengebiet, in Westfalen und im Osten konnten sie sich länger halten.
Die Grundherrschaft, dieser Begriff wird erst im 16. Jh. verwendet, entstand und entfaltete sich vom 6. - 9. Jh. und wurde gerade im Frankenreich zu einem Herrschafts- und Wirtschaftssystem eigener Art. Ihre Wurzeln sind sowohl in der römischen Geschichte (Latifundienwirtschaft, Kolonat) als auch in der germanischen Geschichte (Gefolgschaftswesen, freie Bauern mit unfreien Knechten und Mägden) zu finden.
Träger der Grundherrschaften waren König, Kirche und Adel. Auf ihrem Grund und Boden gab es zwei unterschiedliche Wirtschaftsbereiche: das Salland oder Herrenland und das Leihe- oder Hufenland.
Das Salland wurde im Eigenbetrieb mit Hilfe der am Hofe ansässigen Unfreien und der zu besonderen Diensten verpflichteten, abhängigen Bauern bearbeitet. Im Zentrum des Sallandes befand sich der Herren-, Sal- oder Fronhof, auf dem schon zu Zeiten Karls des Großen die Grundherren selbst oder ihre Meier in ihren Herrenhäusern lebten. Scheunen, Ställe, Küchen, Back- und Brauhäuser, Keltern, Mühlen und Wohnhäuser für das Gesinde umgaben die zum größten Teil steinernen Bauten der Herren. Auch handwerklich ausgebildete Männer arbeiteten hier als Schmiede, Schuster, Wagner oder Sattler. In sogenannten "Frauenarbeitshäusern" mußten Mägde tagsüber als Spinnerinnen und Weberinnen Tuche herstellen, während die Grundherrn sich in ihren Gärten und an ihren Fischteichen ihres angenehmen Lebens erfreuen durften.
Im 8. Jh. wurden diese Herrenhöfe durch einen festen Zaun, selten durch eine Mauer von den zum Salland gehörigen Ackerflächen, Wiesen, Gärten, Wäldern, Weinbergen, Mühlen und Gewässern getrennt.
Die unbehausten Unfreien, die als Gesinde im gutsherrlichen Hause dienten, waren der Verfügungsgewalt des Herrn am stärksten unterworfen. Der Herr konnte sie schon als Kinder beliebig einsetzen: im Haus, in den Ställen, in den Werkstätten, in den Backstuben, in den Waschräumen, in den Küchen und zum Pferdebewachen. Erwachsene Knechte mußten als Kuriere, Kellermeister, Zöllner oder Förster dienen oder auf dem Salland oder Herrenhof wie die Mägde arbeiten. Als Gesinde besaßen sie keine Freizügigkeit und bis ins 6. Jh. hinein kein Recht zur Eheschließung.
Gregor von Tours (538/539 - 594) berichtet über einen üblen Grundherrn mit dem Namen Rauching, der die unerlaubte Ehe zweier seiner Unfreien sadistisch bestrafte:
"Er (Rauching) habe unter seinen Leuten damals einen Mann und ein Mädchen gehabt, die, wie dies häufig vorkommt, sich ineinander verliebt hatten. Und als sich ihr Liebesverhältnis schon zwei Jahre oder noch länger hingezogen hatte, verbanden sie sich und flüchteten zusammen in eine Kirche. Da dies Rauching erfuhr, ging er zum Priester des Ortes und verlangte, es sollten ihm seine Leute sofort wiedergegeben werden, er habe ihnen ihre Schuld verziehen. Darauf sprach der Priester zu ihm: Du weißt, welche Ehrerbietung man der Kirche Gottes weihen muß; du wirst sie also nicht zurückerhalten können, wenn du nicht dein Wort gibst, daß du ihre Verbindung bestehen läßt und überdies versprichst, sie ohne alle körperliche Strafe zu lassen. Nachdem aber jener lange unschlüssig in seinen Gedanken geschwiegen hatte, wandte er sich zu dem Priester, legte die Hände auf den Altar und schwor: Niemals sollen sie durch mich getrennt werden, sondern ich will vielmehr dafür sorgen, daß sie verbunden bleiben, denn obwohl ich es ungern sah, daß sie ohne Bewilligung von meiner Seite dies taten, ist mir doch ganz recht, daß mein Sklave nicht eines andern Sklavin und sie nicht eines anderen Sklaven genommen hat. Arglos glaubte der Priester dem Versprechen des hinterlistigen Mannes und gab ihm die Leute unter der Bedingung der Straflosigkeit heraus. Nachdem jener sie aber erhalten hatte, dankte er und ging nach Hause. Und sogleich ließ er einen Baum schlagen, die Äste abhauen, den Stamm an den Enden durch einen Keil spalten und aushöhlen, darauf drei oder vier Fuß tief die Erde ausgraben und den Kasten in die Grube senken. Darauf ließ er das Mädchen hineinlegen gleich wie eine Tote, und den Sklaven oben darauf, schloß den Deckel, füllte die Grube wieder mit Erde und begrub sie so lebendig. Ich habe meinen Schwur, sagte er dabei, nicht verletzt, daß sie in Ewigkeit nicht getrennt werden sollen. Als dies dem Priester gemeldet wurde, lief er eilig herbei; und indem er den Menschen schalt, brachte er es mit Mühe dahin, daß sie wieder aufgedeckt wurden. Den Sklaven freilich zog man noch lebendig heraus, das Mädchen fand man aber schon erstickt." (in: Edith Ennen, ebenda, S. 86)
Die Unfreien konnten verkauft, getauscht oder verschenkt werden. Im 8. Jh. durften z.B. unfreie Ehepartner noch getrennt verkauft werden. Jedoch hatte der Grundherr für den Lebensunterhalt und die Alterssicherung seines Gesindes zu sorgen.
Besser gestellt waren da schon die behausten Knechte, die ihre eigenen Hütten im Bereiche des Herrenhofes besaßen. Sie durften kleinere Rechtsgeschäfte selbständig und größere mit Zustimmung des Herrn tätigen. Dafür mußten sie wie die anderen vom Grundherrn abhängigen Bauern bestimmte Frondienste und bestimmte Zinsen und Abgaben leisten. Die unbehausten und behausten Knechte und Mägde machten auf dem Herrenhof Friemersheim, das zum Reichskloster Werden gehörte, um das Jahr 900 25% der in dieser Grundherrschaft lebenden Bewohner aus.
Die Grundherrschaft läßt sich übrigens als die Verfügungsgewalt über Grund und Boden und das Herrschaftsrecht über Bauern, die auf diesem Grund und Boden sitzen und den Boden bearbeiten, definieren.
Das Leihe- oder Hufenland, der zweite, meist größere Wirtschaftsbereich des Grundherrn, wurde gegen festgesetzte Leistungen an Hörige, d.h. vom Grundherrn abhängige Bauern, vergeben. Es waren aber auch Grundherrschaften ohne Hufenland oder ohne Sallandbetrieb vorhanden. Überdies wurde ein Teil des Großgrundbesitzes als Lehen an Adlige oder Ministeriale verliehen.
Wie groß waren nun solche Großgrundbesitze?
Laut einem Aachener Konzil von 816 gehörte erst ein Besitz von mehr als 3 000 Hufen zu dieser Kategorie. Das Kloster St. Germain-des-Prés besaß um 820 4 700 ha Salland und 1 150 Hufen.
Als Hufe wird seit dem 8. Jh. die bäuerliche Wirtschaftseinheit aus Haus, Hof, Acker- und Wiesenland und Allmendnutzungsrechten bezeichnet. Dienste und Abgaben lasteten auf der Hufe, nicht auf der Person des Bauern. Bereits gegen Ende des 8. Jhs. war die Hufe auch zu einer Maßeinheit geworden, allerdings regional von unterschiedlicher Größe. Am häufigsten scheint man mit 30 Morgen pro Hufe gerechnet zu haben. Aber es werden auch 16, 36 und 40 Morgen genannt. Eine Königshufe betrug sogar 120 - 160 Morgen. Aber selbst die Maßeinheit Morgen war regional sehr verschieden.
Die unfreien Hufenbauern oder Hörigen waren in den Grundherrschaften zahlenmäßig am stärksten vertreten. Sie hatten ihren Grundherren für die Nutzung von Grund und Boden regelmäßig bestimmte Erträge von ihrer Getreideernte und an Gemüse, Eiern, Butter, Käse, aber auch an Geflügel, Schweinen, Schafen oder Rindern, Holz, Leinentüchern und -hemden einen Grundzins zu entrichten und mußten in der Regel an drei Tagen in der Woche sogenannte Frondienste leisten, d.h. auf dem Herrenhof oder auf dem Salland arbeiten.
Zu den Frondiensten zählte nicht nur die gesamte Feldbestellung wie Pflügen, Säen, Mähen, Dreschen, Ernteeinfahren, Bewachen der Ernte, Mahlen, Backen, sondern auch das Viehhüten, das Zäuneerrichten, das Besorgen von Bau- und Brennholz, die Leistung von Botengängen und Fuhrdiensten, das Bauen von Straßen und Brücken. Zusätzlich hatten die Frauen der Hufenbauern noch spezielle Spinn-, Web- und Wascharbeiten zu verrichten.
In der Grundherrschaft hatte die Arbeit auf dem Herrenhof und Salland grundsätzlich Vorrang vor allem anderen. Bei vielen Herren herrschte immerhin der Brauch, die frönenden Bauern mit Speise und Trank zu versorgen.
Die wenigen freien Bauern in einer Grundherrschaft hatten dagegen nur in der Zeit der Aussaat und der Ernte zu helfen.
Neben den genannten Frondiensten mußten bestimmte Abgaben und Zinsen geleistet werden. Jeder Hof war nämlich außer mit dem Grundzins noch mit dem Zehnt belastet. Die Zehntpflicht wurde in der zweiten Hälfte des 8. Jhs. gesetzlich im fränkischen Reich eingeführt. Sie stellt eine Ertragsquote in der Höhe des zehnten Teiles der Getreideernte dar. Neben diesem "großen Zehnt" gab es aber noch den "kleinen Zehnt", der von Obst und Gemüse gefordert wurde, und den "Fleisch- oder Blutzehnt", der auf Schlachtvieh erhoben wurde. Die einzelnen Abgaben waren zu festen Terminen fällig. Laut des Sachsenspiegels hatte man zu Walpurgis (1.5.) den Lämmerzehnt zu leisten, zu St. Urban (25.5.) den Zehnt von Früchten aus den Obst- und Weingärten, am Johannistag (24.6.) den Fleischzehnt, am St. Margarethentag (13.7.) den Getreidezehnt, an Mariä Himmelfahrt (15.8.) den Gänsezehnt, am St. Bartholomäustag (24.8.) den Zehnt auf Mehl, Eier etc.
Aus dem Güterverzeichnis des Klosters Prüm in der Eifel erfährt man etwas über die Abgaben und Frondienste, die ein Hufenbauer im Hof Rommersheim im Jahre 893 zu leisten hatte. An Abgaben wurden ein Schwein im Wert von 20 Pfennigen, ein Pfund Flachs, drei Hühner und 18 Eier gefordert. Außerdem mußte der Hörige je eine halbe Fuhre Wein im Mai und im Oktober, fünf Fuhren Mist, fünf Bündel Baumrinde und 12 Fuhren Holz liefern und auf dem Herrenhof beim Backen und Brauen helfen, die Scheunen bewachen und die Beete im Garten pflegen. Dann hatte er noch 50 Bretter oder 100 Schindeln für ein Kirchendach zum Kloster zu transportieren und eine Woche lang Schweine im Wald zu hüten. Zusätzlich war er verpflichtet, an drei Tagen in der Woche drei Morgen Salland zu bearbeiten, Saatfelder und Weiden einzuzäunen, und aus Holler, einem Dorf 40 km von Rommersheim entfernt, fünf Scheffel Getreide zu holen. Seine Frau hatte noch Hosen für die Herrschaften zu nähen. Kam der Abt von Prüm höchstpersönlich nach Rommersheim, mußte der Hufenbauer zusammen mit den anderen 29 Bauern des Hofes vier Ochsen und einen Karren für Transporte bereitstellen. (in: Rolf Toman, Das hohe Mittelalter, Besichtigung einer fernen Zeit, Köln 1988, S. 68)
Aber das waren noch nicht alle Verpflichtungen der Hörigen! Sie hatten auch noch den Weidezins, das Laudemium, das Mortuarium, den Kopfzins, die Heiratsgebühr und eventuell den Wachszins zu entrichten.
Den Kopfzins mußten Frauen wie Männer leisten.
Der Weidezins wurde für die Benutzung grundherrlicher Wälder und Weideflächen erhoben.
Die Wachszinsigkeit bestand in der Abgabe von Wachskerzen an die grundherrliche Kirche.
Das Laudemium war eine Besitzwechselabgabe. Der abziehende Bauer hatte ein "Abfahrtsgeld" zu entrichten, der neue Hofinhaber ein "Auffahrtsgeld".
Für die Erlaubnis einer Eheschließung war eine Heiratsgebühr zu zahlen.
Das Mortuarium mußte dem Grundherrn im Falle des Todes des Hörigen oder seiner Frau entrichtet werden. Ursprünglich hatte der Herr den Anspruch auf den gesamten Nachlaß seiner toten Unfreien, doch im Laufe der Zeit wurde sein Anteil auf das "Besthaupt" und "Bestkleid" reduziert. Nach dem Tode eines männlichen Hörigen hatten dessen Nachkommen das beste Stück Vieh (Besthaupt) dem Grundherrn zu überreichen, im Falle des Todes der Frau das beste Gewand (Bestkleid). Häufig konnten die Erben im Spätmittelalter ihre Pflichten diesbezüglich auch durch Geldzahlungen ablösen.
Aber das war noch nicht alles, was die Hörigen ihren Grundherren übergeben oder bezahlen mußten! So hatten sie zudem noch Gebühren für das herrschaftliche Gericht und für die Benutzung der herrschaftlichen Mühle, des Backofens und der Kelter zu entrichten. Für die Schweinemast und für das Holzfällen im herrschaftlichen Wald und für die Benutzung des herrschaftlichen Ebers zur Schweinezucht hatte der kleine Mann ebenfalls zu zahlen. War der Grundherr auch noch der Eigenkirchenherr, mußte ihm zudem der Kirchenzehnt übergeben werden. In kritischen Zeiten besaß der Herr außerdem das Recht, die Bede, eine Sondersteuer, zu erheben.
Erleichterungen bei der Abgabepflicht, Befreiungen von dem Frondienst und größere Brennholzzuteilungen gab es unter anderem für den Hörigen, dessen Frau schwanger war oder vor kurzem ein Kind geboren hatte. In solchen Fällen begnügte sich der herrschaftliche Abgabeneintreiber z.B. bei der Hühnerabgabe mit dem Kopf des Huhnes und ließ das übrige der Familie.
Der Grundherr hatte schließlich die Pflicht, für seine Leute zu sorgen. Die Hörigen konnten von ihm erwarten, in wirtschaftlichen Notlagen einen Erlaß oder eine Verringerung der Abgaben oder die Überlassung von Saatgut, Zuchtvieh oder Baumaterial zu erhalten. Außerdem hatte der Herr sie vor ungerechtfertigter Pfändung, vor Brandschatzung und Gewalt zu schützen. Erfüllte der Grundherr seine Verpflichtungen nicht, mußten seine Hörigen ihm laut des Schwabenspiegels auch nicht dienen: "Wir suhn den herren dar umbe dienen, daz si uns beschirmen. unde beschirment si uns nit, so sin wir in nit dienestes schuldig na rehte." (in: F. Lassberg, Der Schwabenspiegel nach einer Handschrift vom Jahr 1287, Tübingen 1840, S. 133)
Im Frühmittelalter wehrten sich die Bauern meistens passiv gegenüber ungerechten Forderungen ihrer Herren, indem sie z.B. ihre Arbeiten nur nachlässig erfüllten oder in eine andere Grundherrschaft flohen.
Denn rechtliche Unterstützung für ihre Beschwerden konnten sie nicht erwarten. Ihr Herr besaß schließlich über sie die niedere Gerichtsbarkeit und die Polizeigewalt und konnte sie jederzeit bestrafen lassen, obwohl seit dem 11. Jh. die Rechte und Pflichten der Hörigen in sogenannten Hofrechten schriftlich festgehalten wurden.
Erst in der Zeit der Kreuzzüge kam es zu einem Wandel in den Grundherrschaften. Denn die Grundherren fanden durch ihre Reisen ins heilige Land kaum noch Zeit, selbst über ihren Besitz zu wachen, und betrauten treue Hörige als Meier mit dieser Aufgabe. Außerdem waren die ritterlichen Herren immer knapp bei Kasse. Die kostbaren Rüstungen verschlangen Unsummen an Geld, das man z.B. durch die Verpachtung des Sallandes erstehen mußte. So hatten um 1200 die meisten Grundherren ihre Eigenwirtschaft längst aufgegeben und lebten von den Natural- und Geldabgaben ihrer Hörigen. Hier und da versuchten sie zwar noch mehr aus ihren Bauern herauszupressen. Diese aber flüchteten daraufhin in die aufstrebenden Städte oder nahmen an einem Rodungsprojekt im Osten oder Norden des Reiches teil. Um nämlich Freiwillige für die harten Landerschließungsarbeiten zu gewinnen, mußten die Herren im Osten, in den ostelbischen Gebieten, in den polnischen, böhmischen und ungarischen Ländern, die Siedler mit Freiheitsprivilegien wie persönlicher Freizügigkeit, größerer wirtschaftlicher Eigenverantwortung, niedrigen Zinsforderungen, Befreiung von allen bedrückenden Arbeitsverpflichtungen, Wegfall des Mortuariums und der Heiratsgebühr, größerer Autonomie in Gemeindeangelegenheiten, z.B. Wahl des eigenen Dorfrichters, und günstigen Besitzrechten wie der erblichen Zinsleihe für sich gewinnen.
Die Grundherren im Westen versuchten, die Abwanderung ihrer Hörigen in die Städte oder in den Osten zu verhindern, indem sie ebenfalls die Abgaben und Dienste reduzierten. Somit verbesserte sich die Lage der Bauern im Hochmittelalter zusehends. Vielerorts erlangte die Landbevölkerung eine größere Freizügigkeit, eine bessere rechtliche Stellung und günstigere Besitzrechte an Hof und Leihegut. Der Grundherr selbst besaß nur noch geringe Eingriffsmöglichkeiten, solange die Hörigen ihre Abgaben und Dienste fristgerecht leisteten und grundherrliches Land ohne seine Zustimmung nicht veräußerten oder den Hof vernachlässigten.
Nur noch einige Frondienste blieben erhalten, die meisten konnten mit Geld beglichen werden. So blieb Zeit zur Bearbeitung des eigenen Bodens, und die dabei anfallenden Überschüsse konnten auf den Märkten der Städte angeboten werden. Viele Bauern wurden so wohlhabend, daß sie ihre Söhne auf die Universitäten schicken konnten. Bürger und Ritter aber achteten durch Kleiderordnungen und spezielle Verbote darauf, daß sich die Landbevölkerung nicht auch noch wie die höheren Stände zu kleiden und zu bewaffnen begann. In der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters kamen die Bauern zudem stets schlecht davon. Sie wurden als Riesenkerle mit grobschlächtigen Armen, breiten Hüften und Schultern geschildert.
Ihre Augen ständen laut der Beschreibungen ihrer bürgerlichen und adligen Zeitgenossen um Handeslänge auseinander, ihre Haare wären pechschwarz und borstig, ihre breitflächigen gegerbten Wangen wären schmutzig. Angeblich stänken die Bauern bestialisch, da sie sich kaum waschen würden, hätten große Schädel, riesige plattgedrückte Nasen mit geblähten Nüstern, wulstige, rote Lippen und große, gelbe, häßliche Zähne. Außerdem wären sie aggressiv, unverschämt, geldgierig, faul, hinterlistig, mürrisch, mißtrauisch, häßlich, dumm und immer unzufrieden.
Ein Sprichwort im Mittelalter besagte: "Schlag einen Bauern, und er wird dich segnen, segne einen Bauern, und er wird dich schlagen!" (in: Barbara Tuchman, ebenda, S. 168)
Die adligen und geistlichen Herren benötigten für ihre Kriege, ihre kostbaren Kleider und opulenten Mahlzeiten jedoch weiterhin viel Geld. Die Bauern waren aber mittlerweile nicht mehr bereit, für die reichen Herren zu schuften. Denn sie hielten ihre Unfreiheit und Abhängigkeit nicht mehr für gottgewollt, wurden selbstbewußter und weigerten sich seit dem 14. Jh. aktiv in England, in Flandern, in Frankreich und in Südwest- und Mitteldeutschland, den erneuten Forderungen ihrer Grundherren nachzukommen.
Im Jahre 1323 brach deshalb in Flandern ein Bauernaufstand aus. Die Landbevölkerung wollte sich gegen den Amtsmißbrauch des gräflichen Verwalters und Steuereintreibers und gegen die Übergriffe adliger Gerichtsherren wehren, die die Steuern willkürlich eingeschätzt und ungesetzliche Gerichtsgebühren eingezogen hatten. 1328 wurde ihr aktiver Protest jedoch unter der Führung des Grafen von Flandern und des französischen Königs blutig niedergeschlagen.
Die "Jacquerie", die Revolte der nordfranzösischen Bauern, brach 1357 aus. Der Aufstand dauerte trotz der Beteiligung von Städten wie z.B. Paris nur vier Wochen. Dabei trieb die Landbevölkerung nur die pure Verzweiflung und der Hunger zu diesem Kampf. Denn der zu dieser Zeit währende Hundertjährige Krieg wurde wie üblich auf den Schultern des kleinen Mannes ausgetragen, der immer mehr besteuert wurde, um diesen Wahnsinnskrieg aufrechtzuerhalten. Die Söldner aber beraubten noch zusätzlich die Bauern, indem sie ihnen ihr letztes Saatgut, ihr letztes Stück Vieh nahmen und die landwirtschaftlichen Wagen, Werkzeuge und Pflüge zu Waffen schmiedeten.
1381 folgte der englische Bauernaufstand unter der Führung des Ziegelbrenners Wat Tyler und des niederen Geistlichen John Ball, von dem das berühmte Zitat stammt: "Als Adam grub und Eva spann, war denn da ein Edelmann?"
Auch dieser Kampf währte nur vier Wochen, von Ende Mai bis Ende Juni. Er wurde vom König und vom Adel blutig niedergeworfen. John Ball selbst wurde gerädert, gehenkt und gevierteilt.
Der Grund für diese englische Revolte war die dritte Kopfsteuer, die innerhalb von vier Jahren erhoben wurde, um die Ambitionen des Herzogs von Lancaster in Spanien finanzieren zu können. Die Bauern forderten schließlich nicht nur die Abschaffung der Kopfsteuer und aller Knechtschaft, sondern unter anderem auch den freien Zutritt zu den Wäldern. Zusätzlich verlangte Wat Tyler die Beseitigung aller Ungleichheiten in Rang und Status, die Aufteilung des kirchlichen Besitzes unter der Bevölkerung und die Abschaffung der kirchlichen Hierarchie. Immer mehr Bauern begannen sich zu fragen, ob es möglich sei, daß die Ungleichheit auf Erden gar nicht Gottes Wille ist. John Ball forderte die christliche Demokratie, die Beachtung allgemeiner Menschenrechte und die Gleichheit aller Menschen.
Auch die Bauernrevolten im deutschen Reich nahmen im Laufe des 14./15. Jhs. an Zahl, Intensität und Ausstrahlung zu.
So fanden dort im 14. Jh. vier bäuerliche Erhebungen größeren Ausmaßes, in der ersten Hälfte des 15. Jhs. 15 und in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. 25 bäuerliche Revolten statt!
Die deutschen bäuerlichen Aufstände wurden durch die zu hohen Geld- und Abgabenforderungen der Adligen bewirkt. Die Landbevölkerung konnte und wollte diese neuen grundherrlichen Bedingungen nicht erfüllen. Durch das starke Bevölkerungswachstum wurde zu Beginn des 14. Jhs. der Boden immer knapper. Die Ernährungslage der ländlichen Bevölkerung verschlechterte sich drastisch. Mißernten, Viehseuchen und katastrophale Hungersnöte z.B. von 1315 - 1317 suchten weite Teile in Europa heim. Die Preise für das Getreide stiegen unaufhörlich, so daß die hungernden Menschen sogar auf verseuchte Tiere als Nahrung zurückgriffen.
Dann folgte in der Mitte des 14. Jhs. die Pest, die die Bevölkerung so dezimierte, daß Getreide zum Spottpreis verkauft werden mußte. Dieses Mal waren hauptsächlich die Grundherren die Betroffenen. Einige Adelsherrschaften hatten von ihren bisherigen Einnahmen Verluste von 60 - 70% hinzunehmen. Deshalb versuchten die adligen Herren, falls sie sich nicht für das Raubrittertum entschieden, ihre Einnahmen dadurch zu erhöhen, daß sie längst vergessene Vorrechte wieder geltend machen und die Abhängigkeit ihrer Bauern vergrößern wollten. Besonders erfolgreich waren dabei die Grundherren in den ostelbischen Gebieten. Sie wurden die Väter der ostdeutschen Gutsherrschaft der Frühneuzeit, die bis ins 19. Jh. hinein die Agrarverfassung in Brandenburg, in Mecklenburg, in Pommern, in Ost- und Westpreußen, in Ober- und Niederlausitz und in Schlesien bestimmte. In der Gutsherrschaft gab es wieder das Gesinde, die gutsuntertänigen Bauern und die Kleinstellenbesitzer, die zu Frondiensten gezwungen wurden und persönlich völlig abhängig von ihren Gutsherren waren.
Im Südwesten des Reiches dagegen ließen sich die Bauern diese erneute "Versklavung" nicht gefallen. Sie forderten im Gegenteil bessere Rechtsverhältnisse und günstigere Lebensbedingungen. So bildete sich im Elsaß und am Oberrhein unter der Führung des Bauern Joß Fritz im Jahre 1492 der Geheimbund "Bundschuh". Und im Jahre 1514 gründeten Bauern in Württemberg einen weiteren Bund, den sie "Armer Konrad" nannten, mit dem sie sich nach dem Vorbild der Schweizer gegen die Unterdrückungsmethoden des württembergischen Herzogs wandten. Der Erfolg blieb jedoch aus. Gegenüber den schwerbewaffneten Adligen hatten die Bauern keine Chancen!