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Alltagsgeschichte des Mittelalters

XI. 5. Der geistige und moralische Verfall der Klöster im Spätmittelalter

In den Klöstern lebten im Spätmittelalter fast nur noch Mönche und Nonnen, die dort standesgemäß versorgt werden sollten, aber keine Neigung zum geistlichen Beruf verspürten. So erklärt sich auch die in den vielen Visitationsberichten des 15. und 16. Jhs. als Mißstand beklagte Verweltlichung des Klosterlebens.

Vielerorts war es Brauch geworden, daß die Geistlichen, ob Priester oder Mönch ihren hierarchischen Vorgesetzten für ihre unerlaubten Beziehungen eine vereinbarte Entschädigung entrichteten, den Hurenzins.

Die religiösen Pflichten in den Klöstern wurden zudem nachlässig ausgeübt, Schreiben und Lesen konnten sowieso nur noch wenige unter ihnen, und körperliche Arbeiten erledigte grundsätzlich das Dienstpersonal.

Kontrollierende Bischöfe bemerkten "eine Tendenz zum Zuspätkommen – besonders zur Messe am frühen Morgen – und zum Weggehen vor Beendigung des Gottesdienstes, oft unter fadenscheinigen Vorwänden. Doch das am meisten verbreitete Übel war, die Messe so schnell wie möglich herunterzuleiern, um sie hinter sich zu bringen: Silben wurden am Wortanfang und Wortende ausgelassen, Wechselgesänge versäumt, so daß eine Seite des Chores schon die zweite Hälfte des Gesanges anstimmte, noch bevor die andere die erste Hälfte beendet hatte. Sätze wurden vor sich hingemurmelt und teilweise verschluckt." (in: Eileen Power: Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann? Das Leben der Frau im Mittelalter, Berlin 1984, S. 122)

Zudem wurde in den Nonnenklöstern getanzt, getrunken und gefeiert. Obwohl der Besitz persönlichen Eigentums strikt verboten war, besaßen die Nonnen, ob alt oder jung, goldene Haarnadeln, Silbergürtel, edelsteinbesetzte Ringe, Schnürschuhe, geschlitzte Überröcke, lange Schleppen, kostbare Röcke in grellen Farben und Pelze. Auch auf Kuscheltierchen wurde nicht verzichtet. So hielt man Hunde, Katzen, Vögel, Eichhörnchen, Kaninchen und sogar Affen.

Im Kloster Birkenfels im Ansbachschen gingen die Nonnen 1544 sogar zum Tanz in die Dorfschenke oder abends zur Zeche.

Bei einer 1563 vorgenommenen Untersuchung der 88 österreichischen Klöster zählte man 387 Mönche und 86 Nonnen. Die 387 Mönche unterhielten in ihren Gotteshäusern 237 Konkubinen und 49 Ehefrauen. Die 86 Nonnen hatten 50 Kinder geboren.

Im Kloster Kiernberg hatte ein einziger Mönch 14 Kinder gezeugt.

Filippino Lippi († 1504), der berühmte italienische Maler des 15. Jhs., entstammte einer Beziehung zwischen einem Mönch und einer Nonne. Sein Vater Filippo Lippi († 1469) war Karmelitermönch, und seine Mutter Lucrezia Buti war gemäß dem Befehl ihres Vaters Nonne geworden. Ihre Liebesbeziehung währte mehrere Jahre.

Zur Entschuldigung all dieser Nonnen und Mönche muß noch einmal betont werden, daß die meisten von ihnen von den Eltern zum Klosterleben gezwungen und nie nach ihren eigenen Wünschen gefragt worden waren.

In der Reformationszeit verließen deshalb viele Nonnen und Mönche ihre "Gefängnisse" und versuchten sich ein bürgerliches Leben aufzubauen. Katharina von Bora, eine ehemalige Zisterzienserin z.B., wurde die Gattin von Martin Luther, dem ehemaligen Augustinerchorherren.

Dabei traten bei den Nonnen nach dem Verlassen ihrer Klöster z.T. große Probleme auf. Falls ihre Eltern sie nicht wieder zu Hause aufnehmen wollten, konnten sie nur auf eine Heirat oder die Möglichkeit hoffen, als Lehrerinnen oder Mägde für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen zu können. Gelang das nicht, rutschten sie schnell in die Prostitution ab. So geschah es 1526 auch in Nürnberg, als das berühmte St.-Claren-Kloster aufgelöst wurde. Einige Frauen landeten vom Kloster direkt im Freudenhaus.

Auch der bedeutendste Humanist des 15./16. Jhs., Erasmus von Rotterdam, übte scharfe Kritik am Mönchwesen, das seiner Meinung nach an seinen Ritualen zu ersticken schien und sich vom wahren Christsein weit entfernt hatte:
"Dem Glück dieser Menschen (Theologen) am nächsten stehen jene, die vom Volk religiöse Menschen und Mönche genannt werden, beides aber völlig zu unrecht, denn die Mehrzahl von ihnen ist von einer religiösen Lebensweise weit entfernt, und niemanden trifft man so oft wie sie an allen Ecken und Enden. Unvorstellbar elend wäre ihr Leben, käme nicht ich (Frau Torheit) ihnen in vieler Hinsicht zu Hilfe. Obgleich jedermann diesen Menschen so sehr verwünscht, daß es für eine Ankündigung nahen Unglücks gehalten wird, ihnen zufällig zu begegnen, sind sie dennoch über alle Maßen in sich selbst verliebt. Zunächst würdigen sie es als höchste Frömmigkeit, sich so weit von jedem Buchstaben entfernt zu halten, daß sie nicht einmal lesen können. Ferner glauben sie, den Ohren der Götter ein besonderes Vergnügen zu bereiten, wenn sie ihre Psalmen, die ihnen täglich zugeteilt werden, die sie aber nicht verstehen, mit Eselsstimmen in der Kirche erschallen lassen. Einige verstehen es sogar, Schmutz und Armut gut zu verkaufen und vor den Türen mit viel Jammern und Stöhnen aufdringlich Brot zu fordern. In jedem Gasthaus, in jedem Reisewagen, auf jedem Schiff drängen sie sich auf, sehr zum Schaden der übrigen Bettler ...

Was aber besonders lächerlich erscheint, ist die Tatsache, daß sie alles genau nach Vorschrift ausführen, gleichsam als folgten sie einer mathematischen Notwendigkeit, die zu umgehen Sünde ist. Eine genau festgelegte Anzahl Knoten ist für das Zuschnüren der Schuhe vorgesehen, die Farbe des Gürtels ist genau bestimmt, die Kutte aus unterschiedlichen Teilen zusammengenäht, ihr Stoff aus vorgeschriebenem Material und ihr Gurt eine genau festgelegte Anzahl Finger breit. Fest vorgeschrieben ist ferner, von welcher Form die Kapuze sein muß und wieviele Scheffel sie fassen darf, wie breit der Haarkranz nach der Tonsur sein muß und wieviele Stunden Nachtruhe vorgesehen sind ...

Am Tage des (Jüngsten) Gerichts wird der eine (Mönch) seinen Bauch vorzeigen, der von Fischen aller Art rund geworden ist, ein anderer wird hundert Scheffel Psalmen hervorsprudeln. Ein dritter wird Myriaden Fasttage aufzählen und es sich als Verdienst anrechnen, wie oft sein Magen nach der Fastenzeit bei einem einzigen Frühstück fast geplatzt wäre; ein weiterer wird eine Unzahl Zeremonien herbeischleppen, die kaum von sieben Lastschiffen gefaßt werden können. Dieser rühmt sich, sechzig Jahre lang niemals Geld angefaßt zu haben außer mit Fingern, die durch doppelte Handschuhe geschützt waren; jener wird seine Kutte vorweisen, die so schmutzig und grob gewebt ist, daß nicht einmal ein einfacher Seemann sie an seinem Körper tragen möchte. Ein weiterer wird darauf hinweisen, daß er mehr als fünfundfünfzig Jahre wie ein Schwamm sein Leben verbrachte, festgewurzelt die ganze Zeit über an ein und demselben Ort; ein anderer wird anführen, daß er durch andauernden Chorgesang heiser wurde, ein weiterer wird vorweisen, daß er in der Einsamkeit sich der Gleichgültigkeit überließ, und jener schließlich wird daran erinnern, daß durch das lange Schweigen seine Sprache ungeübt und schwer wurde. Christus aber wird ihre endlosen Selbstverklärungen unterbrechen und sagen: ‚Von woher kommt dieses neue Judengeschlecht? Nur ein einziges Gebot habe ich als mein Vermächtnis gestiftet, und davon allein höre ich kein Wort! Einst habe ich offen und ohne jede Hülle eines Gleichnisses das Erbe meines Vaters verheißen, aber nicht für das Tragen von Mönchskutten, nicht für das Plappern von Gebeten oder für langes Fasten, sondern für die Werke der Nächstenliebe.‘" (in: Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit, Frankfurt a. M. 1979, S. 104-108).

Giovanni di Boccaccio konnte seine Zeitgenossen zudem in seinem Dekameron mit folgender Geschichte, die sich in einem Nonnenkloster abgespielt haben soll, köstlich unterhalten:
Hier in unserer Gegend war und ist noch ein Nonnenkloster, wohlberufen durch seine Frömmigkeit – nennen werde ich es nicht, um nicht seinen Ruf irgendwie zu schmälern –, dessen hübschen Garten vor gar nicht langer Zeit, als dort nicht mehr als acht Nonnen und ihre Äbtissin, lauter junge Frauen, waren, ein biederer Mann bestellte; da der aber mit seinem Lohne nicht zufrieden war, so rechnete er mit ihrem Verwalter ab und kehrte nach Lamporecchio zurück, wo er daheim war. Unter denen, die ihn freundlich bewillkommten, war ein kräftiger, stämmiger Bauernbursche, der für einen vom Lande wohlgebaut war, Masetto mit Namen, und der fragte ihn, wo er so lange gewesen sei. Der Biedermann, der Nuto hieß, sagte es ihm, und Masetto fragte ihn, worin sein Dienst im Kloster bestanden habe. Und Nuto antwortete ihm: "Ich arbeitete in ihrem hübschen, großen Garten, ging dann und wann um Holz in den Busch, schöpfte Wasser und verrichtete noch andere solcher kleinen Dienste; aber die Nonnen gaben mir so wenig Lohn, daß ich kaum die Schuhe bezahlen konnte. Dazu sind sie allesamt jung, und ich glaube, sie haben den Teufel im Leibe, weil man ihnen nichts recht machen kann; wenn ich zuzeiten im Garten arbeitete, sagte die eine: 'Setz das daher', und die andere: 'Setz das dorthin', und die dritte nahm mir die Hacke aus der Hand und sagte: 'Das ist nicht gut so', und auf diese Art ärgerten sie mich dann so lange, bis ich die Arbeit stehn ließ und aus dem Garten ging. So habe ich denn, wegen des einen sowohl als auch wegen des andern, nicht länger bleiben wollen und bin hierher gekommen. Ihr Verwalter hat mich ja wohl bei meinem Weggehn gebeten, wenn mir einer unterkomme, der dazu tauge, ihn ihm zu schicken, und ich habe es ihm auch versprochen; aber da kann er lange warten, daß ich ihm einen besorge oder schicke!" Als Masetto die Erzählung Nutos hörte, überkam ihn eine so große Lust, bei den Nonnen zu sein, daß er fast vergehn wollte; denn aus Nutos Erzählung glaubte er schließen zu dürfen, daß ihm das, wonach ihn gelüstete, glücken könnte. Weil er aber fürchtete, er verderbe es sich, wenn er Nuto etwas davon sage, sagte er zu ihm: "Das war wohlgetan von dir, daß du hergekommen bist! Wie sollte denn ein Mann mit Frauenzimmern auskommen? Leichter käme man noch mit Teufeln aus; von sieben Malen wissen sie ja sechsmal nicht, was sie selber wollen." Nachdem jedoch ihr Gespräch zu Ende war, begann er nachzudenken, wie er's anfangen sollte, um bei ihnen sein zu können; zwar wußte er, daß er alle Dienstleistungen, die Nuto genannt hatte, trefflich verstand, so daß ihm nicht bange war, deshalb abgewiesen zu werden, aber er besorgte, daß er in seiner großen Jugend und seines hübschen Aussehns halber nicht werde aufgenommen werden.

Darum folgerte er nach vielem Hinundhersinnen also: das Kloster ist weit entfernt von hier, und niemand kennt mich dort; wenn ich mich stumm stelle, so werde ich sicherlich aufgenommen. Indem er bei dieser Folgerung stehn blieb, ging er mit einem Beile auf der Schulter, ohne jemand zu sagen, wohin er gehe, in ärmlicher Kleidung zum Kloster: dort angelangt, trat er ein, und von ungefähr traf er den Verwalter im Hofe; dem deutete er mit Gebärden, wie sie die Stummen machen, er möge ihm um Gottes willen zu essen geben, wofür er ihm, wenn es nötig sei, Holz spalten werde. Der Verwalter gab ihm bereitwillig zu essen und stellte ihn dann vor ein paar Blöcke, mit denen Nuto nicht hatte zurechtkommen können; Masetto aber, der ein baumstarker Mensch war, hatte sie im Nu klein gemacht. Nun nahm ihn der Verwalter mit in den Busch, wo er zu tun hatte, und ließ ihn dort Holz schlagen; dann stellte er den Esel vor ihn und gab ihm durch Zeichen zu verstehn, er solle das Holz nach Hause bringen. Das verrichtete der Stumme sehr gut, und so behielt ihn der Verwalter zu einigen Arbeiten, die zu tun waren, mehrere Tage bei sich. Auf diese Art geschah es, daß ihn eines Tages die Äbtissin sah und den Verwalter fragte, wer er sei. Und der sagte zu ihr: "Madonna, das ist ein armer Taubstummer, der dieser Tage um ein Almosen gekommen ist; ich habe es ihm gegeben und habe ihn dann viele Sachen verrichten lassen, die nötig gewesen sind. Wenn er sich darauf verstünde, im Garten zu arbeiten, und hierbleiben wollte, so glaube ich, daß wir an ihm einen trefflichen Knecht hätten, den wir ja brauchten; denn er ist stark und man könnte mit ihm anfangen, was man wollte, und brauchte außerdem nicht zu fürchten, daß er mit Euern Fräulein schäkerte." Und die Äbtissin sagte zu ihm: "Gottstreu, du hast recht: sieh zu, ob er die Gartenarbeit versteht und trachte ihn dazubehalten; gib ihm etwa ein Paar Schuhe und einen alten Mantel, tu ihm recht schön und geh ihm um den Bart und gib ihm gut zu essen." Der Verwalter sagte, er werde es tun. Masetto, der nicht weit davon war, hörte das alles, obwohl er sich stellte, als hätte er nur darauf acht, den Hof zu kehren, und sagte sich voller Freude: "Wenn ihr mich nur dazu anstellt, so will ich euch den Garten so bearbeiten, wie er noch nie bearbeitet worden ist." Als nun der Verwalter gesehn hatte, daß er trefflich zu arbeiten verstand, fragte er ihn durch Zeichen, ob er bleiben wolle, und Masetto antwortete durch Zeichen, er wolle tun, was man wollen werde, so daß ihn der Verwalter aufnahm und ihm die Gartenarbeit übertrug und ihm seine Obliegenheiten zeigte; hierauf ging er den andern Klostergeschäften nach und kümmerte sich nicht mehr um ihn.

Da also Masetto einen Tag um den andern im Garten arbeitete, begannen ihn die Nonnen zu necken und zum besten zu haben, wie es die Leute oft den Stummen tun, und sagten ihm in dem Glauben, er verstehe sie nicht, die unflätigsten Worte, die es nur gibt; und die Äbtissin, die vielleicht glaubte, ihm mangle etwas andres geradeso wie die Sprache, scherte sich darum wenig oder gar nicht. Eines Tages aber geschah es, daß sich ihm, der sich nach harter Arbeit ein wenig hingelegt hatte, zwei Klosterfräulein, die im Garten umhergingen, näherten und ihn zu betrachten anfingen, während er sich schlafend stellte. Darum sagte die eine, die etwas keck war, zu der andern: "Wenn ich wüßte, daß ich dir vertrauen kann, so würde ich dir etwas sagen, was mir oft schon in den Sinn gekommen ist und was vielleicht auch dir frommen könnte." Die andere antwortete: "Sag es nur dreist; ich werde es wahrhaftig keiner Seele jemals sagen." Nun begann die Kecke: "Ich weiß nicht, ob du schon darüber nachgedacht hast, wie streng wir hier gehalten werden und daß sich kein Mann sonst da herein getraut, außer unserm Verwalter, der ein Greis ist, und diesem Stummen; und zu mehrern Malen habe ich die Frauen, die zu uns gekommen sind, sagen hören, daß alle Wonnen der Welt ein Plunder sind gegen die, die das Weib in dem Umgange mit dem Manne genießt. Darum habe ich es mir schon öfter vorgenommen, es mit diesem Stummen, da ich doch keinen andern haben kann, zu versuchen, ob dem so ist. Und dazu taugt er am allerbesten, weil er es, auch wenn er wollte, nicht wiedersagen könnte; du siehst, er ist ein dummer Bengel, der länger gewachsen ist als sein Verstand: und nun möchte ich gerne hören, was dich darüber bedünkt." – "O weh", sagte die andere, "was sagst du da? Weißt du nicht, daß wir unsere Jungfräulichkeit dem Herrgott gelobt haben?" – "Ach was", sagte die erste, "wieviel wird ihm nicht alle Tage gelobt, ohne daß ihm etwas gehalten würde; haben wir sie ihm gelobt, so wird sich schon eine oder die andere finden, von der er sie erhält." Und ihre Gesellin sagte zu ihr: "Und wenn wir schwanger würden, was sollte dann werden?" Aber die erste sagte: "Du denkst ans Unglück, bevor es da ist: geschieht es wirklich, dann heißt es denken; und da werden sich hundert Mittel finden, daß niemand etwa davon erfährt, wenn wir's nicht selber sagen." Die andere war nun schon lüsterner als die Anstifterin, zu versuchen, was für ein Tier der Mann sei, und so sagte sie: "Also gut; wie machen wir's denn?" Und sie bekam zur Antwort: "Du siehst, es geht gegen die dritte Nachmittagsstunde, und die Schwestern, glaube ich, schlafen alle außer uns; sehn wir nach, ob jemand im Garten ist, und ist niemand hier, was brauchen wir weiter zu tun, als ihn bei der Hand zu nehmen und in die Hütte da zu führen, wo man bei Regen untersteht? Die eine bleibt dann drinnen bei ihm, und die andere hält Wache; er ist so dumm, daß er sich in alles fügen wird, was wir wollen."

Masetto, der das ganze Gespräch gehört hatte und entschlossen war, zu gehorchen, wartete auf nichts sonst, als daß ihn eine von ihnen nehmen werde. Und als sie überall Umschau gehalten und sich überzeugt hatten, daß sie von keiner Seite gesehn werden konnten, trat die, die das Gespräch angefangen hatte, auf ihn zu und weckte ihn, und er sprang augenblicklich auf. Sie nahm ihn unter Liebkosungen bei der Hand und führte ihn, der einfältig lachte, in die Hütte; dort tat er denn, ohne sich lange einladen zu lassen, alles, was sie wollte. Nachdem sie ihren Willen gehabt hatte, machte sie als treue Gesellin der andern Platz, und Masetto, der weiter den Tölpel spielte, tat, was sie wünschten. Darum entschlossen sie sich, bevor sie weggingen, den Versuch, wie der Stumme reiten könne, zu wiederholen; und indem sie dann öfter darüber sprachen, gestanden sie einander, die Wonne sei wirklich so groß, ja noch größer gewesen, als sie gehört hätten, weshalb sie denn auch fortan zu günstiger Zeit die Gelegenheit wahrnahmen und den Stummen oft zu ihrer Lust besuchten.

Eines Tages aber geschah es, daß ihnen dabei eine ihrer Gesellinnen vom Zellenfenster aus zusah und sie zwei andern zeigte. Zuerst sprachen sich die drei miteinander dahin aus, daß sie sie bei der Äbtissin verklagen müßten: dann aber änderten sie ihren Rat und einigten sich mit ihnen und wurden Teilnehmerinnen an Masettos Gütchen. Und durch verschiedene Umstände wurden auch die übrigen drei Schwestern zu der Gesellschaft gebracht. Schließlich fand die Äbtissin, die von diesen Dingen noch nichts gemerkt hatte, eines Tages, als sie bei großer Hitze ganz allein im Garten umherging, den armen Masetto, dem die geringe Tagesarbeit wegen der allzu häufigen nächtlichen Ritte hart ankam, im Schatten eines Mandelbaumes langausgestreckt schlafen, und der Wind hatte ihm das Hemd zurückgeschlagen, so daß er völlig entblößt war. Bei diesem Anblicke wurde die Dame, die sich allein sah, von derselben Begierde befallen, die ihre Nonnen befallen hatte, und sie weckte Masetto und nahm ihn mit sich in ihr Gemach. Und dort behielt sie ihn zum größten Leidwesen der Nonnen, die sich darüber beklagten, daß er nicht zur Gartenarbeit komme, etliche Tage lang, um die Wonnen, derenthalben sie vorher jede verdammt hatte, zu kosten und wieder zu kosten, bis sie ihn endlich in seine Kammer entließ. Da sie ihn aber immer wieder in Anspruch nahm und mehr von ihm wollte, als auf ihren Teil gekommen wäre, sah Masetto, dem es unmöglich war, so viele zu befriedigen, endlich ein, daß ihm aus seinem Stummsein, wenn er dabei bliebe, ein allzu großer Schaden erwachsen könnte. Als er daher eines Nachts bei der Äbtissin war, löste er das Band seiner Zunge und begann also: "Ich habe mir sagen lassen, Madonna, daß ein Hahn gar wohl zehn Hennen genügt, daß es aber zehn Männer nur schlecht und mühselig vermögen, ein Weib zu sättigen; und ich soll ihrer neune bedienen! Das kann ich um nichts in der Welt länger mehr aushalten; ich bin ja auch durch das, was ich bisher geleistet habe, so weit heruntergekommen, daß ich nunmehr weder wenig noch viel leisten kann. Und darum laßt mich entweder in Gottes Namen ziehen oder trefft in dieser Sache ein Abkommen."

Da die Äbtissin den Menschen, den sie für stumm gehalten hatte, sprechen hörte, war sie ganz verdutzt und sagte: "Was ist das? Ich habe geglaubt, du seiest stumm." – "Madonna", sagte Masetto, "ich war es auch, aber nicht von Geburt, sondern von einer Krankheit, die mir die Sprache genommen hat; und erst heute nacht fühle ich, daß sie mir wiedergegeben ist, und dafür lobe ich Gott von ganzem Herzen." Die Dame glaubte ihm und fragte ihn, was das heißen solle, daß er neun zu bedienen habe. Masetto erzählte ihr den ganzen Handel. Als das die Äbtissin hörte, ward sie inne, daß sie keine Nonne hatte, die nicht viel klüger gewesen wäre als sie; ohne darum Masetto ziehen zu lassen, entschloß sie sich als verständige Dame, mit ihren Nonnen ein Abkommen zu treffen, damit nicht das Kloster durch ihn in einen schlimmen Leumund komme. Und da in diesen Tagen ihr Verwalter gestorben war, einigten sie sich, nachdem sie einander alles, was unter ihnen vorgegangen war, entdeckt hatten, im Einverständnis mit Masetto dahin, den Leuten in der Umgebung weiszumachen, daß ihm nach langer Stummheit durch ihre Gebete und wegen der Verdienste des Heiligen, dem das Kloster geweiht war, die Sprache wiedergegeben worden sei, und machten ihn zu ihrem Verwalter; und seine Pflichten verteilten sie auf eine Weise, daß er sie ertragen konnte. Obwohl er auf diese Art manches Mönchlein erzeugte, ging doch die Sache so gut vonstatten, daß davon nicht früher etwas ruchbar wurde, als nach dem Tode der Äbtissin; um diese Zeit war er schon dem Alter nahe und verlangte danach, mit seinem Reichtum heimzukehren, und dieser Wunsch wurde ihm auch willig gewährt. So kam denn Masetto nach einer klug angewandten Jugend in seinem Alter als reicher Mann und Vater, ohne sich damit geplagt zu haben, die Kinder zu ernähren und Geld für sie auszugeben, in die Heimat zurück, die er mit einem Beile auf der Schulter verlassen hatte, und er sagte jedem, der es hören wollte, so verfahre Christus mit denen, die ihm Hörner aufsetzten. (in: Giovanni di Boccaccio, Bd. 1, ebenda, S. 235 - 242)


Lesetipps:
  • Graus, Frantisek: Ketzerbewegungen und soziale Unruhen im 14. Jh., S. 3-21, in: Zeitschrift für Historische Forschung 1, 1974
  • de Rosa, Peter: Gottes Erste Diener - Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989 (sehr gut)
  • Schimmelpfennig, Bernd: Zölibat und Lage der "Priestersöhne"vom 11.-14 Jh., S. 1-44, in: Historische Zeitschrift, Bd. 227, 1978

Musiktipp:

  • Gregorianische Gesänge z.B. "Obras Maestras del Canto Gregoriano" (EMI Classics)

Lohnenswerter Ausflug:

  • ein Besuch des Klosters Maulbronn, das sich zwischen der badischen Stadt Bretten und dem württembergischen Mühlacker im Tale der Salzach befindet und das die am vollständigsten erhaltene Klosteranlage des Mittelalters nördlich der Alpen besitzt

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