Botticelli: Carlo Sforza
Über die Geschlechtsreife des Mannes
Die Mediziner des 15./16. Jhs. stützten sich bei ihren Erkenntnissen bezüglich der Geschlechtsreife des Mannes immer noch auf die berühmte Benediktiner-Äbtissin Hildegard von Bingen († 1179), die über dieses Thema Folgendes zu sagen hatte:
„Vom fünfzehnten Lebensjahre ab merkt der Jüngling in sich das Bedürfnis nach geschlechtlichem Verkehr und schwitzt dann leicht den Schaum des menschlichen Samens unter nichtigen Vorstellungen aus. Aber das Geschlechtsgefühl und auch der Samen sind bei ihm noch nicht zur völligen Reife gelangt. Weil zu dieser Zeit der Samen noch unreif ist, ist es aber notwendig, daß der junge Mann aufs strengste bewacht wird, daß er nicht zum Verkehr mit dem Weibe oder sonst zum Erfüllen einer anderen Leidenschaft gelangt, weil er dadurch leicht unklug und seine Einsicht leer wird. Sein Verstand nimmt ab, und leicht wird er unsinniger und zügelloser Gemütsart, weil er die Reife noch nicht erlangt hat, reifen Samen von sich ausscheiden zu können. Ist der junge Mann körperlich kräftig, so gelangt er mit dem sechzehnten Lebensjahre zu der Reife, sein Verlangen erfüllen zu können, ist er dagegen schwach am Körper, so erlangt er die Reife der Zeugung erst im siebenzehnten Jahre seines Lebens. Von da ab hat er in seiner Reife einen völlig ausgebildeten Verstand und einen besseren, gleichmäßigeren Charakter, wie er in der Zeit vor der Geschlechtsreife gehabt hat. Nach dem fünfzigsten Lebensjahre aber läßt der Mann ab von seinen kindlichen und unbeständigen Gewohnheiten und nimmt einen gleichmäßigen Charakter an. Ist er frisch und vollkräftig von Natur, so wird dieser um das sechzigste Jahr bei ihm geringer und so weiter bis zum achtzigsten Jahre. Vom achtzigsten Lebensjahre ab wird der Geschlechtstrieb bei ihm ausgelöscht.“ (in: Die Äbtissin Hildegard von Bingen – Ursachen und Behandlung der Krankheiten, München 1933, S. 132/133)