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Damals, im 16. Jahrhundert ...

Die Wahrheit will nicht immer gehört werden!

Als Elisabeth von Sachsen (1552-1590), die Pfalzgräfin von Simmern, im Sommer 1575 ihren Cousin zweiten Grades, den Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel (1532-1592), in seiner Residenz in Kassel besuchte, konnte es Letzterer nicht lassen, ihr, die durch ihre Mutter, der sächsischen Kurfürstin Anna von Dänemark, den Reformator Martin Luther geradezu vergötterte, die Wahrheit über diesen zu erzählen. Schließlich war Martin Luther seiner Meinung nach dafür verantwortlich, dass sein Vater, der hessische Landgraf Philipp I., im Jahr 1540 eine Doppelehe einging, auf die laut der kaiserlichen Halsgerichtsordnung von 1532 die Todesstrafe stand (Ertränken im Sack oder Enthauptung). Wie viel Erfolg dem hessischen Landgrafen Wilhelm IV. mit seiner „Mission“ beschieden war, kann man dem folgenden Brief, den Elisabeth am 21. Juli 1575 von Heidelberg aus – ihrem eigenen Zuhause – an ihre Mutter schrieb, entnehmen: „Er [Wilhelm IV. von Hessen-Kassel] fing mit mir an, von Dr. Luther zu reden und schalt Dr. Luther einen Schelm, denn er hätte seinen Herrn Vater überredet, daß er zwei Weiber nehmen solle und machte Dr. Luther gar übel aus, da sagte ich, es wäre nicht wahr, daß der Luther sollte das gethan haben und könnte ich es auch nicht glauben, man gebe es ihm Schuld, weil er todt wäre, da könnte er sich nicht verantworten, wenn er noch leben sollte, so würde Niemand das Maul gegen ihn aufdürfen thun, da sagte der Landgraf, er habe seine eigne Handschrift, die weise es aus: ich darauf sagte, man könne wohl ein anderes Schreiben in seinem Namen gestellt haben und daß er wohl nichts davon gewußt hätte; da hat der Landgraf gesagt, er wolle mir das Schreiben weisen, da sagte ich, ich begehre es nicht zu sehn; so sagte er, ich müsse es sehn und versperrte mich in die Stube und mußte in der Stube bleiben und gab es mir, ich solle es lesen; ich sagte, ich wolle es nicht lesen und mein Herr [ihr Gatte, Pfalzgraf Johann Kasimir von Simmern] war dabei und sonst noch ein zwinglischer Doctor und die halfen redlich auf den Dr. Luther schelten und sagten, wir [Elisabeth und ihre Eltern] hielten ihn für einen Abgott, er wäre unser Gott. Der Landgraf gab das Schreiben und ließ den Doctor es laut lesen, daß ich es hören sollte, aber ich hörte nicht darauf, sondern nahm etwas Anderes vor und da ich gar nicht hören wollte, so richtete mich der Landgraf aus [er schalt sie], daß Wunder war, doch letztendlich war es ihm Leid und bat mich um Verzeihung etc.“ (in: Karl von Weber, Anna, Churfürstin zu Sachsen, geboren aus dem Königlichen Stamm zu Dänemark – Ein Lebens- und Sittenbild aus dem sechzehnten Jahrhundert, Leipzig 1865, S. 401-402).

Die Doppelehe des hessischen Landgrafen Philipp I. war in der Tat von den Reformatoren Martin Luther, Philipp Melanchthon und Martin Butzer erlaubt worden.


als Buch und E-book

Anna von Sachsen – Gattin von Wilhelm von Oranien
124 Seiten, mit Stammtafeln und 64 SW-Bildern, ISBN 978-1-9733-1373-1, 4. überarbeitete Auflage, € 7,80
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