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"Mona Lisa" und ihre Familie

Wer ist "Mona Lisa"? - Historische Fakten und Spekulationen

"Sämtliche Wahrheiten sind leicht zu verstehen, wenn sie entdeckt worden sind. Aber man muss sie erst einmal entdecken." – Galileo Galilei

"Um zur Quelle zu kommen, musst du gegen den Strom schwimmen." – Verfasser unbekannt

"Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist fantasievoller als die Sachlichkeit." – Egon Erwin Kisch

Wollten Sie immer schon einmal wissen, bei welchen Behauptungen es sich hinsichtlich des berühmtesten Porträtgemäldes der Welt, das im Louvre unter dem Titel „Mona Lisa“ zu finden ist, um Spekulationen, also reine Vermutungen, handelt, für die es kein Beweismaterial gibt, oder um historische Fakten, die quellenmäßig belegt werden können? Bei den Recherchen für mein Buch „Wer ist Mona Lisa? Auf der Suche nach ihrer Identität“ und meinem weiteren Durchforsten unserer drei Universitätsbibliotheken in Adelaide, Südaustralien, hat sich ergeben, dass die Spekulationen hinsichtlich „Mona Lisa“ leider schon seit über 100 Jahren als historische Wahrheiten vermarktet werden. Kritische Arbeiten über dieses Porträtgemälde sind sehr rar geworden. Selbst die Fachwelt hat sich aufs „Nachplappern“ verlegt. Nach dem Motto: „Was so viele Fachleute vor uns gesagt haben, kann nicht falsch sein“. Gründliches Durchstöbern der Bibliotheken zeigt jedoch, dass die Antwort auf die Frage: „Wer ist Mona Lisa?“ schon vor Hunderten von Jahren hätte beantwortet werden können. „The truth is out there!“ (nämlich in den Bibliotheken). Es ist daher dringend Aufklärungsarbeit nötig.

Spekulation 1:

Bei der Dame in dem berühmtesten Porträtgemälde von Leonardo da Vinci handelt es sich um Mona Lisa, die Gattin des florentinischen Seidenhändlers Francesco di Bartolomeo di Zanobi del Giocondo.

Bei dieser Behauptung des Kunsthistorikers Frank Zöllner handelt es sich um eine reine Vermutung, für die kein historisches Beweismaterial vorhanden ist. Trotzdem wird diese Annahme mittlerweile unkritisch nicht nur von sehr vielen seiner Kollegen als historisches Faktum verbreitet.

Sofonisba Anguisciola
Abb. 1: Sofonisba Anguisciola

Wie so viele Gemälde und Zeichnungen (über 95%), die aus der Renaissance stammen, ist auch dieses Kunstwerk nicht signiert und nicht datiert worden. Dennoch können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass das Original dieses Meisterstückes von dem florentinischen Maler und Universalgenie Leonardo da Vinci (1452-1519) erschaffen wurde. Allerdings blieben das Datum, wann es gefertigt, und die Person, die es darstellt, für uns bisher ein Rätsel. Denn die zahlreichen Notizbücher des Künstlers sind mit seinen Hunderten von Ideen, seinen mathematischen Formeln und Berechnungen, Skizzen von technischen Erneuerungen, Zeichnungen von Köpfen, Körpergliedern, Tieren und Pflanzen und zuweilen Angaben über seine Haushaltskosten gefüllt und enthalten nur sehr wenige persönliche Einträge.

Leonardo da Vinci (Selbstporträt)
Abb. 2: Leonardo da Vinci (Selbstporträt)

Das Werkzeug der Kunsthistoriker, die Stilgeschichte oder Bildgenese, ist zudem nicht geeignet, um zu bestimmen, 1. wer auf den Porträts des 15. und 16. Jahrhunderts dargestellt worden ist und 2. wann jene gefertigt wurden. So werden die Werke von Vorreitern einer Malrichtung und von guten Imitatoren häufig falsch datiert. Ja, selbst bei der Zuweisung der Gemälde hinsichtlich des vermutlichen Malers oder der vermutlichen Malerin sind grobe Fehler von den Kunsthistorikern gemacht worden. So waren die Werke der großen Malerin der Renaissance, Sofonisba Anguisciola (1532-1630) (Abb. 1), bis 1995 ihren männlichen Kollegen wie Leonardo da Vinci, Tizian, Coello, Moroni, Tintoretto, Bassano, Salviati, Bronzino, Carracci, Zurbarán, Murillo, Sustermanns und van Dyck zugeordnet worden. Erst im Jahr 1995 erfuhr diese Malerin Gerechtigkeit, als man im Kunsthistorischen Museum in Wien dem Publikum zum ersten Mal ihre Arbeiten unter ihrem Namen vorstellte.

Gleiches geschah mit Leonardo da Vinci, dessen Werke fälschlicherweise seinen Schülern wie Giovanni Antonio Boltraffio (1467-1516) oder späteren italienischen Künstlern wie Cariani (1480/90-1547) zugewiesen worden sind. Im Gegensatz zu Sofonisba Anguisciola ist ihm noch nicht Gerechtigkeit widerfahren. So wird Leonardos Selbstporträt (Abb. 2), das sich in The National Gallery of Art in Washington befindet, immer noch Cariani zugeschrieben, obwohl die Mode des Dargestellten – wie jeder Fachmann bestätigen wird – für die 70er und Anfang 80er Jahre des 15. Jahrhunderts charakteristisch ist. Cariani wird zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt haben.

Um 1483 porträtierte der mailändische Hofmaler Leonardo da Vinci den 14-jährigen mailändischen Herzog Gian Galeazzo II. Maria Sforza als Heiligen Sebastian, der dessen Lieblingsheiliger war (Abb. 3, Abb. 4). Das Porträt "Abb. 3" wird heute seinem Schüler Giovanni Antonio Boltraffio, der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 16 Jahre zählte, zugeschrieben, das Porträt "Abb. 4" seinem Kollegen Ambrogio de Predis. Es handelt sich bei Letzterem vermutlich um eine Zusammenarbeit von Ambrogio de Predis mit Leonardo da Vinci. Boltraffio trat zudem erst im Jahr 1491, also acht Jahre nach der Erstellung des Porträts, in Leonardos Malerwerkstatt als Lehrling oder Geselle ein. Wann werden diese Fehler von den Kunsthistorikern endlich richtig gestellt?

Gian Galeazzo II. Maria Sforza als Heiliger Sebastian
Abb. 3: Gian Galeazzo II. Maria Sforza als Heiliger Sebastian (Porträt von Leonardo da Vinci erstellt), um 1483
Gian Galeazzo II. Maria Sforza als Heiliger Sebastian
Abb. 4: Gian Galeazzo II. Maria Sforza als Heiliger Sebastian (Porträt erstellt von Leonardo da Vinci und Ambrogio de Predis), um 1483 bis 1491
Francesco il Duchetto als Heiliger Sebastian
Abb. 5: Gian Galeazzo II. Maria Sforzas Sohn Francesco il Duchetto als Heiliger Sebastian (Porträt erstellt in der Schule von Leonardo da Vinci, mit hoher Wahrscheinlichkeit von seinem Schüler Giovanni Antonio Boltraffio), um 1499 bis 1512

Lesetipps:

Historisches Faktum 1:

Leonardo da Vinci hat in der Tat das Porträt einer Frau mit dem Namen "Mona Lisa" gezeichnet.

Jedoch haben Frank Zöllner und auch Giuseppe Pallanti einen großen Fehler bei ihrer Suche nach dieser Frau begangen, denn sie haben die Biographien von zwei Cousins mit dem gleichen Namen "Francesco del Giocondo" zur Biographie einer einzigen Person "verschmolzen". Einer von diesen Francesco del Giocondos erblickte am 19. März 1465 als jüngster Sohn des Bartolomeo del Giocondo das Licht der Welt. Er starb im Jahr 1538. Am 5. März 1495 heiratete er eine gewisse Lisa Gherardini, die als Tochter des Florentiners Antonio Maria di Noldo Gherardini im Jahr 1479 in der Via Maggio in Florenz geboren wurde. Sie war seine mittlerweile zweite (laut Pallanti) oder dritte (laut Zöllner) Gattin. Aus seiner ersten Ehe mit einer gewissen Camilla Rucellai, die im Jahr 1494 starb, hatte er bereits einen Sohn, der nach der Tradition der Renaissance nach seinem väterlichen Großvater Bartolomeo genannt wurde. Lisa Gherardini schenkte ihrem Gatten, wie wir dessen Testament vom 29. Juni 1537 und den Informationen von Giuseppe Pallanti entnehmen können, mindestens noch weitere fünf Kinder, die Söhne Pietro, Andrea und Giocondo und zwei Töchter, Camilla, die im Jahr 1518 als "Schwester Beatrice" im Kloster San Domenico di Cafaggio verstarb, und eine Tochter, die als Nonne unter dem Namen "Schwester Ludovica" im Jahr 1537 im Kloster von Sant'Orsola lebte und im Jahr 1579 verstarb. Laut Pallanti hören wir im Jahr 1539 das letzte Mal von Lisa Gherardini, laut Zöllner soll sie nach 1551 gestorben sein.

Über viele Jahre hindurch wurde uns besonders von Frank Zöllner immer wieder erzählt, dass es sich bei Lisa Gherardini um die "Mona Lisa" handeln würde, von der Leonardo da Vinci eine Porträtzeichnung angelegt hätte. Durch einen Quellennachweis aus dem Jahr 1503, der von Armin Schlechter entdeckt und von Veit Probst weltweit bekannt gemacht wurde, ist jedoch bewiesen worden, dass es sich bei Lisa Gherardini nicht um die besagte "Mona Lisa" handeln kann. So finden wir nämlich folgende sehr wichtige Mitteilung in dem Quellennachweis von Armin Schlechter: "Apelles pictor. Ita Leonardus Vincius facit in omnibus suis picturis, ut enim caput Lise del Giocondo et Anne matris virginis. Videbimus, quid faciet de aula magni consilii, de qua re convenit iam cum vexillifero. 1503 Octobris." (= Der Maler Apelles. So macht es Leonardo da Vinci in allen seinen Gemälden, wie z.B. dem Kopf der Lisa del Giocondo und der Anna, der Mutter der Jungfrau. Wir werden sehen, was er bezüglich des großen Ratssaales machen wird, worüber er sich gerade mit dem Gonfaloniere geeinigt hat. Oktober 1503).

Wie nun jeder lesen kann, handelt es sich bei der "Mona Lisa" nicht um Lisa Gherardini, sondern um eine gewisse Lisa del Giocondo! Hierzu muss man allerdings wissen, was den Herren Frank Zöllner, Giuseppe Pallanti, Armin Schlechter und Veit Probst entgangen ist, dass es sich erst, nachdem sich der Protestantismus als alternative Glaubensrichtung neben dem Katholizismus durchsetzen konnte, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den protestantischen Ländern allmählich einbürgerte, dass die Frauen bei ihrer Heirat nun auch ihr letztes Stück an eigener Identität aufgeben mussten, nämlich ihren Nachnamen. In den katholischen Ländern wie Belgien und Spanien durften die Frauen ihren Nachnamen stets behalten. In Italien wurde erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts der Namenswechsel eingeführt (Art. 143 bis Cognome della moglie: La moglie aggiunge al proprio cognome quello del marito e lo conserva durante lo stato vedovile, fino a che passi a nuove nozze). In allen wichtigen Dokumenten, wie im Pass und im Führerschein z.B., ist die Frau hier allerdings trotzdem immer noch mit ihrem eigenen Nachnamen, den sie seit ihrer Geburt trägt, vermerkt und nicht mit dem Nachnamen ihres Gatten.

Es gibt nicht eine einzige Frau, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihren Nachnamen, den sie seit ihrer Geburt trägt, durch ihre Heirat verlor. Lisa Gherardini hatte also ihren Nachnamen auch nach ihrer Eheschließung nicht aufgegeben. Er gehörte zu ihrer Identität. Auch als Gattin von Francesco del Giocondo hieß sie Lisa Gherardini und niemals Lisa del Giocondo. Wer ist also diese "Lisa del Giocondo"? Die Antwort findet man in einer Stammtafel, die in Giuseppe Pallantis Buch "Mona Lisa Revealed – The True Identity of Leonardo's Model, Milan 2006" beigefügt wurde. So handelt es sich bei "Lisa del Giocondo" um eine Schwester des oben erwähnten Francesco del Giocondo, also eine Schwägerin von Lisa Gherardini, die im Jahr 1468 das Licht der Welt erblickte und zum Zeitpunkt, als Leonardo da Vinci ihr Porträt zeichnete, bereits 35 Jahre alt war und damit schon rein altersmäßig als Kandidatin für die Dame im Louvre ausfällt. Sie war mit ihrem Cousin zweiten Grades "Francesco del Giocondo", der auch unter dem Vornamen Piero Francesco oder Pierfrancesco in den zeitgenössischen Quellen zu finden ist, verheiratet. Dieser "Francesco del Giocondo", der ebenfalls ein Kaufmann und Seidenhändler war, ist wiederum im Jahr 1460 geboren worden und starb laut Jean Richter im Jahr 1512, laut Zöllner im Jahr 1528. Den Informationen von Pallanti und Zöllner können wir außerdem entnehmen, dass Lisa del Giocondo ihrem Gatten mindestens zwei Töchter, eine Tochter, deren Namen nicht überliefert ist und die bereits im Juni 1499 verstarb, und eine gewisse Marietta, und einen Sohn Piero schenkte. So lesen wir bei Pallanti auf der Seite 60 nämlich Folgendes: "... 1496 brachte sie einen Sohn auf die Welt, den man nach seinem väterlichen Großvater Piero nannte". Hiermit ist auch der Name des Vaters dieses zweiten "Francesco del Giocondo" bekannt: Piero del Giocondo, bei dem es sich um einen ehelichen oder unehelichen Sohn von Paolo del Giocondo handeln könnte.

Fazit: Giorgio Vasari hat keinen Fehler begangen. Er beschreibt in seinem großen Werk nicht das Porträt der berühmten Dame im Louvre, Isabella von Aragon, sondern das Porträt der florentinischen Kaufmannsfrau Lisa del Giocondo, bei dem es sich nur um eine Zeichnung eines Kopfes, vermutlich ohne Haare, handelt. Es besteht eine große Chance, dass diese Kopfzeichnung sich noch immer im Louvre, in einem der vielen Lagerräume, befindet. Sie wurde jedoch von den Kunsthistorikern einem falschen Maler zugewiesen, wie ja auch noch heute viele Werke von Leonardo da Vinci seinem Lieblingsschüler Giovanni Antonio Boltraffio, seinem Freund Raphael und seinen Kollegen Domenico Ghirlandaio und Cariani zugeordnet sind.

Buchkritik:

  • Donald Sassoon: Mona Lisa – The History of the World’s most famous Painting. London 2001 – Sehr enttäuschend ist hingegen das neue Werk von Donald Sassoon "Leonardo and the Mona Lisa Story: The History of a Painting Told in Pictures", herausgegeben worden im Jahr 2006. Es zeigt, dass der Autor, der keine Ahnung von der Geschichte der Renaissance und den Emblemen und Symbolen der hohen Dynastien dieser interessanten Geschichtsepoche hat, sich nicht die geringste Zeit genommen hat, seine riesige Wissenslücke zu füllen, bevor er sein nächstes Buch herausgibt. Dementsprechend wenig Wissenswertes ist von seinem neuen Buch zu erwarten!

Historisches Faktum 2:

Die Porträtzeichnung von Mona Lisa, bei der es sich um Lisa del Giocondo und nicht ihre Schwägerin Lisa Gherardini handelt, wurde im Jahr 1503 von Leonardo da Vinci erstellt, den seine Zeitgenossen – wie Macchiavelli sich äußerte – für den besten Maler Italiens hielten.

Giorgio Vasari
Abb. 6: Giorgio Vasari, um 1566-68

Diese Information können wir dem bedeutenden Werk des Malers und Biographen Giorgio Vasari (1511-1574) (Abb. 6), den „Lebensgeschichten der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance“, entnehmen, das im Jahr 1550 in Florenz zum ersten Mal herausgegeben wurde. Eine zweite, verbesserte Auflage folgte im Jahr 1568. Giorgio Vasari, der Leonardo da Vinci nie in eigener Person kennen gelernt hatte, besuchte, um über jenen Informationen aus erster Hand zu erhalten, Francesco da Melzo, der an der Seite des großen Meisters gelebt hatte.

Über die Porträtzeichnung der Mona Lisa, die er vermutlich dort zu sehen bekam oder den Aufzeichnungen von Francesco da Melzo entnahm, lesen wir Folgendes bei ihm: „Auch unternahm Leonardo für Francesco del Giocondo das Bildnis der Mona Lisa, seiner Frau, zu malen. Vier Jahre Mühe wandte er dabei auf, sodann ließ er es unvollendet und es ist heutigen Tages zu Fontainebleau, im Besitz des Königs Franz von Frankreich. Wer sehen wollte, wie weit es der Kunst möglich war, die Natur nachzuahmen, der erkannte es an diesem schönen Kopfe. Alle Kleinigkeiten waren darin aufs feinste abgebildet, die Augen hatten Glanz und Feuchtigkeit, wie wir es im Leben sehen; rings umher bemerkte man die rötlich blauen Kreise und die Wimpern, welche nur der zarteste Pinsel ausführen kann; bei den Brauen sah man, wo sie am vollsten, wo am spärlichsten sind, wie sie aus den Poren der Haut hervorkommen und sich wölben, so natürlich, als nur zu denken ist. An der Nase waren die feinen Öffnungen rosig und zart aufs treueste nachgebildet, der Mund hatte, wo die Lippen sich schließen, und wo das Rot mit der Farbe des Gesichts sich vereint, eine Vollkommenheit, dass er nicht wie gemalt, sondern in Wahrheit wie Fleisch und Blut erschien; wer die Halsgrube aufmerksam betrachtete, glaubte das Schlagen der Pulse zu sehen, kurz man kann sagen, dieses Bild war nach einer Weise ausgeführt, welche jeden vorzüglichen Künstler und jeden, der es sah, erbeben machte. Mona Lisa war sehr schön und Leonardo brauchte noch die Vorsicht, dass, während er malte, immer jemand zugegen sein musste, der sang, spielte und Scherze trieb, damit sie fröhlich bleiben und nicht ein trauriges Ansehen bekommen möchte, wie es häufig der Fall ist, wenn man sitzt, um sein Bildnis malen zu lassen. Über diesem Angesicht dagegen schwebte ein so liebliches Lächeln, dass es eher von himmlischer, als von menschlicher Hand zu sein schien, und es galt für bewundernswert, weil es dem Leben völlig gleich war.“ (in: Giorgio Vasari: Lebensgeschichten der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance, Zürich 1980, S. 245-247).

Wer die Aussagen Vasaris hinsichtlich des Gesichtes der Mona Lisa mit dem Gesicht unserer „Mona Lisa“ im Louvre vergleicht, wird außer dem lieblichen Lächeln, das so viele Frauenköpfe in Leonardos Werken ziert, keine Übereinstimmungen finden. Unserer „Mona Lisa“ im Louvre fehlen nämlich die Brauen, die Wimpern und die rosigen Nasenöffnungen, und überdies schien Leonardo bei ihr auch keine große Sorgfalt in die Halsgrube gelegt zu haben.

die Anbetung der Könige
Abb. 7: Die Anbetung der Könige
Lucrezia Borgia, gezeichnet von Leonardo da Vinci im Jahr 1498
Abb. 8: Lucrezia Borgia, gezeichnet von Leonardo da Vinci im Jahr 1498
Die 'Mona Lisa' im Louvre in ihrer Trauerkleidung
Abb. 9: Die „Mona Lisa“ im Louvre in ihrer Trauerkleidung

Außerdem bezeichnete Vasari das Porträt von Mona Lisa im Jahr 1568 als „unvollendet“, d. h., aus der Zeichnung war nie ein fertiges Ölgemälde geworden. Die Kunsthistoriker von heute werfen Vasari in diesem Fall vor, nicht genau informiert gewesen zu sein. Quellenmäßig können sie jedoch für ihre Behauptung nichts vorlegen. Und was sagen sie dazu, dass Vasari ein weiteres sehr bekanntes Werk des großen Meisters, nämlich „Die Anbetung der Könige“, ebenfalls mit „unvollendet“ bezeichnet hatte, das – wie jedermann sehen kann – in der Tat nie fertig gestellt worden ist (Abb. 7)? So lesen wir nämlich bei Vasari: „Eine Tafel mit der Anbetung der Könige wurde von diesem Meister angefangen; es ist viel Schönes darin, besonders an Köpfen; sie stand im Hause von Amerigo Benci, der Loggia der Peruzzi, gegenüber, blieb aber unvollendet ...“ (in: Vasari, ebenda, S. 240).

Wie der Darstellungsstil von Mona Lisa ungefähr ausgesehen haben mag, zeigt eine weitere Porträtzeichnung, die Leonardo da Vinci im Jahr 1498 von Lucrezia Borgia angefertigt hatte (Abb. 8). Aber im Gegensatz zu der Zeichnung von Lucrezia Borgia handelte es sich bei der Zeichnung von Mona Lisa nur um einen Kopf bzw. ein Gesicht ohne Haare.

Der Beweggrund von Francesco del Giocondo (1460-1528), ein Bildnis von sich und seiner Frau Lisa del Giocondo bei dem großen Meister in Auftrag zu geben, ist nicht bekannt. Wir dürfen aber erwarten, dass Lisa del Giocondo sich in den kostbarsten und farbenprächtigsten Seidenstoffen ihres Gatten hatte porträtieren lassen wollen. Im Gegensatz zu ihr befand sich die Dame, die ihren Namen im Louvre trägt, in der zweiten Phase einer Trauerzeit. Jene hatte zwar schon das tiefe Schwarz, das bei dem Tod eines nahen Verwandten für neun Monate Vorschrift war, abgelegt, aber sie zeigt sich noch in den dezenten Farben Braun, Beige und Dunkelgrün und verzichtet zudem auch noch auf das Anlegen von Schmuck (Abb. 9)

Lesetipps:

  • Giorgio Vasari: Lives of Seventy of the most eminent Painters, Sculptors and Architects. Edited and annotated in the light of recent discoveris by E.H. and E. W. Blashfield and A.A. Hopkins. London 1897 (für mich persönlich die beste Ausgabe von Giorgio Vasaris Werk)
  • Giorgio Vasari: Lebensgeschichten der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance, Zürich 1980 (verkürzte Ausgabe)

Spekulation 2:

Leonardos Vater, Ser Piero da Vinci, trat als Fürsprecher für den Seidenhändler Francesco del Giocondo oder korrekter Piero Francesco del Giocondo auf.

Ohne Ser Piero da Vinci wären die Porträtzeichnung von Mona Lisa und vermutlich auch die des Seidenhändlers – es war in der Renaissance üblich sich als Paar in zwei Einzelporträts darstellen zu lassen – nie von Leonardo da Vinci erstellt worden. Laut den Aussagen eines gewissen Anonimo Gaddiano hätte Leonardo angeblich sogar nur das Porträt des Francesco del Giocondo angefertigt. Von einem Porträt von dessen Gemahlin wusste dieser Zeitgenosse des großen Malers nichts.

Leonardo da Vinci hatte nach 1500 nur noch selten Porträts außerhalb seiner Familie erstellt. Es spricht daher sehr vieles dafür, dass es sich bei dieser Spekulation 2 um die Wahrheit handelt. Ser Piero da Vinci kannte zudem den Seidenhändler und auch dessen Brüder und Cousins seit vielen Jahren, denn er war für jene als Notar tätig gewesen. Als Leonardos Vater im Jahr 1504 im Alter von 75 Jahren verstarb, gab es jedoch niemanden mehr, der den großen Meister zur Fertigstellung des Porträts von Mona Lisa zwingen konnte. Deshalb blieb es – wie seine Zeitgenossen berichten – unvollendet.

Historisches Faktum 3:

Die Porträtzeichnung von Mona Lisa kam zwischen 1524 und 1547 in den Besitz des französischen Königs Franz I.

Nach der Erstellung des Porträts von Mona Lisa im Jahr 1503 schweigen die zeitgenössischen Quellen 21 Jahre lang über dessen Verbleib. Wir wissen nicht, ob Leonardo da Vinci diese Zeichnung um 1517 mit nach Frankreich genommen hat. In dem Reisetagebuch des Antonio de’ Beatis, dem Sekretär des Kardinals Ludwig von Aragon, der Leonardo da Vinci zusammen mit seinem Dienstherrn am 10. Oktober 1517 in Cloux aufgesucht hatte, wurden nur folgende drei Bilder des Meisters erwähnt: „eines von einer gewissen florentinischen Dame, nach dem Leben gemalt, das auf Veranlassung Ihrer verstorbenen Herrlichkeit Giuliano de’ Medici erstellt wurde, ein anderes vom jugendlichen Heiligen Johannes dem Täufer; das dritte von der Madonna mit dem Kind, die sich auf dem Schoß der Heiligen Anna befindet – das Letztere war von allen das Perfekteste.“ (in: Ludwig Goldscheider: Leonardo da Vinci. London and New York 19442, S. 20 und in: L. Beltrami, op.cit., S. 149 in: Luca: Documenti e Memorie riguardanti la vita e le Opere di Leonardo da Vinci, Mailand 1919).

die Heilige Anna Selbdritt
Abb. 10: Die Heilige Anna Selbdritt

Während Leonardo da Vincis Werke „Die heilige Anna Selbdritt“ (Abb. 10) und „Johannes der Täufer“ (Abb. 11) unter den genannten Bildern leicht zu identifizieren sind, ist die Bemerkung von Beatis, dass es sich bei dem dritten Gemälde um eine Porträtdarstellung einer Florentinerin handelt, die der Künstler auf ausdrückliche Instruktion von Giuliano de’ Medici hin malte, für uns nicht besonders hilfreich. Es könnte sich hierbei theoretisch entweder um Pacifica Brandano, mit der Giuliano de' Medici einen Sohn namens Ippolito hatte, oder um eine gewisse Isabella Gualanda handeln. Erst Beatis Eintrag am nächsten Tag klärt diese Frage: Es handelt sich um ein Porträt von Isabella Gualanda.

Johannes der Täufer
Abb. 11: Johannes der Täufer

Dieses Porträtgemälde gelangte bereits vor Leonardos Tod am 2. Mai 1519 für 4.000 Goldkronen in den Besitz des französischen Königs Franz I. Bevor Francesco da Melzo, der Haupterbe und ältere Sohn des großen Meisters, Frankreich verließ, kaufte der französische König von jenem noch ein weiteres Werk von Leonardo da Vinci für 4.000 Goldkronen ab. In diesem Fall wissen wir nicht, um welches Bild es sich gehandelt haben mag. Mit Sicherheit waren es jedoch nicht „Die heilige Anna Selbdritt“, „Johannes der Täufer“ oder die Porträtzeichnung von Mona Lisa.

„Die heilige Anna Selbdritt“ und „Johannes der Täufer“ gelangten nämlich erst im Jahr 1636 bzw. 1661 in den Besitz der französischen Könige Ludwig XIII. bzw. Ludwig XIV., und die Porträtzeichnung der Mona Lisa befand sich nach dem Tod von Leonardo da Vinci im Besitz von Salaì. Die zeitgenössischen Quellen lassen auch im Fall des Letzteren keine andere Schlussfolgerung zu, als dass es sich bei ihm um einen nahen Verwandten Leonardos, vermutlich einem unehelich geborenen Halbbruder, gehandelt hat.

Als Salaì im Januar 1524 verstarb, wurde in einem gerichtlichen Inventarverzeichnis die Porträtzeichnung der Mona Lisa als in seinem Besitz befindlich aufgeführt. Als Erbgut ging sie an eine seiner zwei Voll- oder Halbschwestern, Angelina oder Lorenziola Caprotti, über, die die Zeichnung an Francesco da Melzo verkauften. Durch Letzteren gelangte sie schließlich wie so viele andere Werke des großen Meisters nach Frankreich. Vermutlich befindet sich das Porträt von Mona Lisa noch heute in einem der vielen französischen Archive, in denen Bilder und Zeichnungen, die nicht ausgestellt werden, lagern, und wartet auf seine Wiederentdeckung!

Lesen Sie unbedingt die hervorragende Arbeit der Kunsthistoriker Janice Shell und Grazioso Sironi: Salaì and Leonardo’s legacy, in: The Burlington Magazine, February 1991, S. 95-108

Weitere Lesetipps:

  • R. J. Knecht: Renaissance Warrior and Patron – The Reign of Francis I. Cambridge 1994
  • Robert Payne: Leonardo. London 1978

Historisches Faktum 4:

Die Dame, die im Louvre heute unter dem Namen "Mona Lisa" zu finden ist, wurde unter diesem Titel zum ersten Mal in einem Inventarverzeichnis des französischen Königs Ludwig XIII. im Jahr 1625 geführt.

Wir wissen nicht, wann das berühmteste Gemälde von Leonardo da Vinci, das heute im Louvre als „Mona Lisa“ zu bewundern ist, in den Besitz der französischen Könige überging. Im Jahr 1625 befand es sich jedoch bereits in Fontainebleau, wo es von einem gewissen Cassiano dal Pozzo, der ein Inventarverzeichnis anfertigen sollte, mit dem Titel „Gioconda“ versehen wurde. Ein Kollege von Letzterem, der mit der gleichen Aufgabe betraut worden war, versah das Porträt indessen mit der Bezeichnung „Kurtisane“. Es schienen somit im Jahr 1625 bereits sämtliche Informationen bezüglich dieser Dame verloren gegangen zu sein. Noch hatte sich allerdings hinsichtlich dieses Porträts der Titel „Mona Lisa“ nicht einheitlich durchgesetzt.

Letztendlich war der französische Kunstsammler und -händler von alten Werken, Pierre-Jean Mariette (1694-1774), der von seinen Zeitgenossen als die Autorität hinsichtlich der Kunst betrachtet wurde, für den fatalen Fehler, im Porträtgemälde der mailändischen Herzogin Isabella von Aragon die Kaufmannsfrau „Mona Lisa“ wiederzuerkennen, verantwortlich. Er wusste, dass das Porträt von der florentinischen Kaufmannsfrau nie fertiggestellt worden war, und trotzdem erklärte er das Porträt-Ölgemälde der mailändischen Herzogin für die Zeichnung von "Mona Lisa", indem er behauptete, dass die Zeitgenossen von Leonardo da Vinci dieses Werk für unfertig beschrieben hätten, wo es doch seiner Meinung nach „vollkommen“ war. Selbstverständlich war das Porträt der mailändischen Herzogin „vollkommen“, denn es war ja keine Zeichnung mehr, sondern ein fertiges Ölgemälde! Aber niemand wagte ihn zu kritisieren. Schließlich war er die Autorität! Durch das immer noch permanente Wiederholen dieser Aussage von Pierre-Jean Mariette ist aus der mailändischen Herzogin Isabella von Aragon nun allgemein die Kaufmannsfrau "Mona Lisa" geworden. Wenn Fehler, Irrtümer, Gerüchte und Lügen von uns erst einmal akzeptiert wurden, sind sie leider fast „unausrottbar“!

Unter dem französischen König Ludwig XIV. finden wir dieses Meisterwerk von Leonardo da Vinci in dessen Lieblingsschloss Versailles. Nach der Französischen Revolution gegen Ende des 18. Jahrhunderts stellte der Louvre bereits „Mona Lisas“ neues Zuhause dar. Von hier wurde sie allerdings auf Wunsch des französischen Kaisers Napoleon entfernt, der die Wand seines Schlafzimmers mit dem bezaubernden Lächeln der schönen Unbekannten schmücken wollte. Nach dessen Verbannung auf die Insel Helena kehrte „Mona Lisa“ in den Louvre zurück, wo man sie bis ins Jahr 1911 hinein ohne Unterbrechung finden konnte.

Die 'Mona Lisa' der Vernon Collection mit den Säulen
Abb. 12: Die „Mona Lisa“ der Vernon Collection mit den Säulen!

Unter Napoleon wurde Leonardos Meisterwerk, da es nicht in dessen gewünschten Bilderrahmen passte, angeblich an seiner linken und rechten Seite um ungefähr 10 cm reduziert. Seine Maße hätten danach nur noch 77 x 53 cm betragen. Außerdem wären bei diesem Prozess die Säulen zur linken und rechten Seite von "Mona Lisa" verschwunden (in: Richard Friedenthal: Leonardo da Vinci, London 1959, S. 109) (Abb. 12). Eine Expertengruppe aus 39 Personen hat aber nun im Jahr 2005 entdeckt, dass die Version, die heute im Louvre hängt, nie beschnitten wurde. Wo ist aber dann die beschnittene Kopie von "Mona Lisa", die das Schlafzimmer von Napoleon zierte, geblieben?

Am 21. August 1911 machte „Mona Lisa“ schließlich ihre ersten großen Schlagzeilen, denn an diesem Tag wurde sie von einem gewissen Vincenzo Peruggia, einem unbedeutenden Bildlackierer (oder nach einer anderen Quelle einem Anstreicher), der sich als ein gewöhnlicher Arbeiter verkleidet hatte, am helllichten Tag unter Hunderten von Besuchern aus dem Louvre gestohlen. Zwei Jahre lang hielt der Dieb das Meisterwerk in seinem Dachstübchen in Paris versteckt, bis er es im Jahr 1913 in einem Paket, unter Kleidungsstücken und Geräten verborgen, nach Italien schmuggeln konnte. Als er in Florenz versuchte, seine kostbare Ware an den Antiquitäten- und Kunsthändler Alfredo Geri zu verkaufen, konnte er endlich verhaftet werden. Vor Gericht erklärte er, dass er dieses italienische Meisterwerk nur in seine wahre Heimat, nämlich Italien, zurückbringen wollte. Für seinen Diebstahl erhielt er eine zwölfmonatige Gefängnisstrafe. „Mona Lisa“ kehrte nach einer großen Staatszeremonie, die die italienische Regierung bei der Übergabe an die französischen Abgesandten inszenierte, im Januar 1914 wieder in den Louvre zurück.

Im Jahr 1956 war Leonardos bedeutendstes Gemälde außerdem zwei Attacken ausgesetzt gewesen. In dem ersten Fall wurde die untere Hälfte des Bildes durch Säure schwer beschädigt, und in dem zweiten, am 30. Dezember, warf ein bolivianischer Besucher namens Ugo Ungaza Villegas einen Stein auf das Porträt. Diese feindlichen Angriffe schienen dem Ruhm der „Mona Lisa“ nur förderlich zu sein, denn in den 60er- und 70er-Jahren wurde Leonardos Meisterwerk sogar in New York, Tokio und in Moskau ausgestellt. Heute kann man „Mona Lisa“ aus Sicherheitsgründen nur noch hinter dickem Panzerglas betrachten, was jedoch ihre Anhänger nicht im geringsten davon abhält, einen Blick auf sie werfen zu wollen.

Spekulation 3:

Bei der Dame im Louvre handelt es sich um Pacifica Brandano oder Brandani.

Seit Oktober 2009 gibt es nun eine weitere Kandidatin für die Dame im Louvre. Laut des italienischen Historikers Roberto Zapperi soll es sich bei ihr um Pacifica Brandano oder Brandani handeln, die für einige Jahre die Geliebte von Giuliano de' Medici (1479-1516) gewesen war und ihm seinen unehelichen Sohn, den zukünftigen Kardinal Ippolito de' Medici (1511-1535), gebar. Vermutlich befürchtete Roberto Zapperi, dass sich kaum jemand für seine Forschungsarbeit bezüglich Pacifica Brandano interessieren würde. Also mussten Leonardo da Vinci und „Mona Lisa“ wieder einmal herhalten. Nur so ist jedenfalls zu erklären, dass er die unwissenschaftliche Behauptung aufstellte, dass es sich bei der Dame im Louvre um Pacifica Brandano handele. In Antonio de Beatis' Reisetagebuch finden wir am 10. Oktober 1517 folgenden Eintrag: „Von Tours, wo er [sein Dienstherr, der Kardinal Luigi von Aragon] den ganzen Neunten des Monats verweilte, fuhr er am Nachmittag zum sieben Meilen entfernten Amboise, einem recht kleinen Ort, doch heiter und gut gelegen ... In einem der Dörfer besuchte der Herr mit uns den Messer Leonardo Vinci aus Florenz, den über siebzig Jahre alten, hervorragendsten Maler unserer Zeit [Leonardo war 65 Jahre alt], der zeigte seiner Hochwohlgeboren drei Gemälde: eines von einer gewissen Florentinerin, nach dem Leben auf Instruktion Ihrer verstorbenen Herrlichkeit Giuliano de’ Medici gemalt, das andere zeigt den Heiligen Johannes den Täufer, als er jung war, und noch ein weiteres von einer Mariengestalt und einem Kind, die beide auf dem Schoß der heiligen Anna sitzen: alle waren äußerst perfekt gelungen. Allerdings kann man von ihm kein gutes Werk mehr erwarten, denn er hat an seiner Rechten eine Lähmung [nach seinem Schlaganfall Anfang 1516] ....“ (in: Leonardo da Vinci – Eine Biographie in Zeugnissen, Selbstzeugnissen, Dokumenten und Bildern. Herausgegeben und kommentiert von Marianne Schneider, München 2002, S. 263)

Hätten wir nur diese Botschaft, dann gäbe es eine ganze Reihe von Frauen, die Leonardo auf Wunsch von Giuliano de' Medici gemalt haben könnte, z.B. eine von seinen drei Schwestern, Lucrezia, Maddalena und Contessina, oder seine Gattin Filiberta von Savoyen oder eine seiner zwei bekannten Mätressen, Pacifica Brandano oder Isabella Gualanda. Selbstverständlich könnte es sich auch um eine Dame handeln, die in zeitgenössischen Quellen nicht erwähnt wurde oder von der im Laufe der Jahrhunderte sämtliche Unterlagen verloren gegangen sind. Der zusätzliche Begriff „gewisse Florentinerin“ bedeutet, dass die Dame entweder eine gebürtige Florentinerin war und/oder an der Seite von Giuliano de' Medici in Florenz lebte. Und damit ist Pacifica Brandano als mögliche Kandidatin von vornherein ausgeschlossen. Denn sie nannte Urbino ihr Zuhause und war auch nur dort die Geliebte von Giuliano de' Medici. Sie war also weder eine gebürtige Florentinerin, noch lebte sie an der Seite ihres Geliebten in Florenz. Die Antwort, um wen es sich bei der unbekannten Dame handelt, liefert Antonio de Beatis schließlich selbst. Am 11. Oktober 1517 sieht er nämlich im Schloss von Blois ein Porträtgemälde einer Dame aus der Lombardie und vergleicht es mit dem Porträtgemälde, das er einen Tag zuvor gesehen hatte, und dabei fällt der Name: Isabella Gualanda: „Dort gab es auch ein Ölgemälde, nach dem Leben gemalt, von einer gewissen Dame aus der Lombardie: in der Tat eine schöne Frau, aber nach meiner Meinung weniger schön als Signoria Isabella Gualanda“ (in: The Travel Journal of Antonio de Beatis – Germany, Switzerland, the Low Countries, France and Italy, 1517-1518. Translated from the Italian by J.R. Hale and J.M.A. Lindon. Edited by J.R.Hale. London 1979, pp. 133-134).

Historisches Faktum 5:

Im Mittelalter und in der Renaissance - zumindest bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein - definierten sich die hohen und niederen Adligen durch ihre Wappen, Embleme, Symbole und Farben. Mit diesen ließen sie daher auch ihre Porträts schmücken. Somit ist die Kenntnis der Wappen, Embleme, Symbole und Farben - das Werkzeug der Historiker - der einzige Schlüssel zur Identifizierung der Personen auf den Porträts des 15. und 16. Jahrhunderts. Angehörige des hohen Adels sind für Historiker, die sich mit den Dynastien der Renaissance, der Geschichte der Mode und der Geschichte der Wappen, Embleme, Symbole und Farben auskennen, sogar sehr leicht zu identifizieren.

Die im Mittelalter hoch angesehenen Herolde waren in der Lage, die unter ihren schweren Rüstungen verborgenen Adligen allein aufgrund ihrer Wappen zu identifizieren, die den Schild, die Schabracke des Pferdes, die Lanze, das Gewand des Kämpfers und eventuell auch noch den Topfhelm schmückten (Abb. 13 und Abb. 14).

Herr Hartmann von Aue
Abb. 13: Herr Hartmann von Aue mit seinem Wappen, das nicht nur sein Wappenkleid, sondern auch seinen Schild, seine Lanze, die Schabracke seines Pferdes und seinen Helm ziert.
Herr Ulrich von Lichtenstein
Abb. 14: Herr Ulrich von Lichtenstein zeigt sich nicht nur mit seinem Wappen, das sein Wappenkleid, seinen Schild und die Schabracke seines Pferdes ziert, sondern auch mit seinem selbstgewählten Symbol „Frau Venus“, das seinen Helm schmückt.

Diese Wappenbilder, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts in Frankreich schon erblich geworden waren, entwickelten sich im 13. Jahrhundert zu einem festen Familienzeichen. So konnten Herolde, die nach einer langen Lehrzeit von 7 - 8 Jahren in der Wappenkunde ausgebildet wurden, anhand ihrer Bücher jedem Wappen ein spezielles Geschlecht zuordnen.

Isabella von Bourbon
Abb. 15: Isabella von Bourbon († 1465), die zweite Gattin des burgundischen Herzogs Karl des Kühnen, lässt sich noch mit dem Wappen ihres Hauses von Bourbon darstellen.
Suzanne von Bourbon
Abb. 16: Isabellas Nichte, Suzanne von Bourbon († 1521), schmückt ihr Porträt nicht mehr mit dem Wappen der Familie, sondern verwendet ein bedeutendes Emblem der Bourbonen und die Symbolik, um uns etwas über sich und die Zeit, in der das Bildnis entstanden ist, zu berichten.
Suzanne von Bourbon (Ausschnitt)
Abb. 17: Das Kopftuch von Suzanne von Bourbon zeigt ein bedeutendes Emblem ihrer Familie, die Kette aneinander gereihter Muscheln.
 
Suzanne von Bourbon (Ausschnitt)
Abb. 18: Die Borte von Suzannes Kleid weist ein spiegelverkehrtes C, das sich mit zwei senkrechten Strichen abwechselt, auf, welche auf ihren Cousin und Gatten Charles II. von Bourbon hinweisen; das Porträt ist daher das erste Porträt von Suzanne von Bourbon als neue Herzogin von Bourbon, das kurz nach ihrer Hochzeit am 10. Mai 1505 erstellt wurde.
das Wappen von Alfa-Romeo
Abb. 19: Die mailändische Autofirma Alfa-Romeo zeigt sich mit den beiden Wappen der mailändischen Herrscher aus dem Hause Visconti-Sforza, dem roten Kreuz auf weißem Untergrund und der drachenförmigen, grünen Schlange, die einen roten Menschen verschlingt.
Bianca Maria Visconti mit dem Wappen ihrer Dynastie
Abb. 20: Die mailändische Herzogin Bianca Maria Visconti († 1468) mit dem Wappen ihrer Dynastie, der drachenförmigen Schlange, die einen roten Menschen verschlingt.

Die hohen Adligen gegen Ende des 15. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ließen sich nur noch selten mit ihren Wappen darstellen. Sie bevorzugten in ihren Porträts mittlerweile die Verwendung ihrer Embleme, Symbole und Farben (Abb. 15, Abb. 16, Abb. 17 und Abb. 18). Einige Wappen haben sich bis heute erhalten können. So schmückt sich die mailändische Autofirma Alfa Romeo mit den Wappen der mächtigen Visconti(-Sforza), die vom 13. bis zum 16. Jahrhundert die Geschicke des Herzogtums Mailand bestimmten (Abb. 19 und Abb. 20).

Lesetipps:

Historisches Faktum 6:

Leonardo da Vinci benutzte in seinen Porträtgemälden ebenfalls zur Identifizierung der Dargestellten deren Embleme oder Symbole.

Historisches Faktum 7:

Die "Mona Lisa" im Louvre zeigt am oberen Ausschnitt ihres Gewandes Embleme des mailändischen Hauses der Visconti-Sforza.

Embleme der Sforza und Visconti in der Mona Lisa
Abb. 22: In der oberen Reihe der Borte ist ein Emblem der Sforza zu sehen, in der unteren eines der Visconti und Sforza.

Leonardo da Vinci gibt uns auch in seinem berühmtesten Porträtgemälde einen wichtigen Hinweis, um wen es sich bei der Abgebildeten handelt. So finden wir an der Borte des grünen Satinkleides der Dargestellten Embleme, die sie als ein Mitglied der berühmten mailändischen Dynastie identifizieren (Abb. 22). Die Kette aus miteinander verbundenen Kreisen stellt hierbei ein Emblem der Sforza dar, während die verschlungenen Bänder oder Schleifchen als Symbol für die enge Verknüpfung der Visconti und ihrer Nachfolger, der Sforza, benutzt wurden. Leonardo da Vinci hat mit letzterem Abzeichen auch die Decke des mailändischen Hauptschlosses, des Castello Sforzesco, geschmückt (Abb. 23).

Emblem des Hauses Visconti-Sforza
Abb. 23: Das Emblem des Hauses Visconti-Sforza, das die enge Verbindung der Dynastien anzeigen möchte

Es bieten sich 13 Kandidatinnen, die zum mailändischen Herrscherhaus der Visconti-Sforza gehörten, an, die in den Jahren 1483 bis 1499 von Leonardo da Vinci theoretisch hätten porträtiert werden können. Bei ihnen handelt es sich um Bona von Savoyen und ihre beiden Töchter Bianca Maria und Anna Maria, um Angela Sforza und ihre Schwester Ippolita, um Caterina Sforza und ihre Schwester Chiara, um Maddalena Sforza, Bianca Sforza, Camilla Sforza, Bona Sforza, Isabella von Aragon und Beatrice d’Este.

Lesetipps:

  • D.S. Chambers: Patrons and Artists in the Italian Renaissance. Columbia, South Carolina 1971
  • Michael Dummett: The Visconti-Sforza Tarot Cards. New York 1986
  • Richard A. Goldthwaite: Wealth and Demand for Art in Italy 1300-1600. Baltimore and London 1993
  • Millard Meiss and Edith W. Kirsch: The Visconti Hours. London 1972
  • Gertrude Moakley: The Tarot Cards painted by Bonifacio Bembo. New York 1966

Historisches Faktum 8:

Im mailändischen Herzogtum durften sich im 14. und 15. Jahrhundert nur die mailändischen Prinzessinnen als Heilige Maria und als die Hauptheilige ihres Herzogtums, die Heilige Katharina von Alexandria, darstellen lassen, die als weibliches Mitglied dieser Familie die höchste Position einnahmen. Heirateten mailändische Prinzessinnen nach auswärts, durften sie sich jedoch schließlich alle ebenfalls als die Hauptheiligen ihrer Dynastien verewigen lassen.

Die Gesichter der mächtigen Herrscher von Mailand, der Visconti und der Sforza, und ihrer Familienmitglieder schmücken nachweislich seit Ende des 13. Jahrhunderts das Antlitz der Heiligen. Eine strenge Hierarchie bestimmte hierbei, als welcher Heiliger oder welche Heilige man abgebildet werden durfte. So besaßen z.B. nur die mailändischen Herzoginnen (oder die Frauen der Visconti-Sforza, die die höchste Position im mailändischen Herzogtum einnahmen) das Recht, sich als Heilige Maria mit dem Kind und als Heilige Katharina von Alexandria im mailändischen Herzogtum darstellen zu lassen. Dies traf bei den obigen 13 Kandidatinnen nur bei Isabella von Aragon zu, die in der Tat diejenige ist, die Leonardo da Vinci in seinem Meisterwerk unsterblich machte.

Schauen Sie sich bitte folgende Webseiten an: Isabella von Aragon und Die Sforza, Die Aragonesen von Neapel und Die Visconti

Historisches Faktum 9:

Das Original dieses Meisterwerkes von Leonardo da Vinci, das die junge mailändische Herzogin Isabella von Aragon zeigt, wurde im Mai bis August 1489 erstellt. Isabella, die ihre Mutter Ippolita Maria Sforza im August 1488 verloren hatte, zeigt sich in der zweiten Phase ihrer Trauerzeit. Das Bildnis wurde im Schloss zu Pavia gemalt.

Historisches Faktum 10:

Leonardo da Vinci war für 17 oder 18 Jahre der Hofmaler der Sforza. Isabella von Aragon war seit ihrem Einzug ins Herzogtum von Mailand zu Beginn des Jahres 1489 seine Dienstherrin. Leonardo wurde, wie Quellenmaterial zeigt, einer ihrer engsten Freunde. Es ist sogar möglich anhand von zeitgenössischen Quellen zu beweisen, dass Isabella und Leonardo im Jahr 1497 eine heimliche Ehe eingingen (Abb. 24). Hierbei möchte ich Joanne K. Rowling zitieren: "Es war eine jener seltenen Gelegenheiten, bei denen die wahre Geschichte noch unerhörter und aufregender ist als die wildesten Gerüchte." (in: Harry Potter und der Stein der Weisen). Ihre älteste Tochter Johanna (oder Giovanna) (1502-1575) (Abb. 25) war wegen ihrer Schönheit und ihres Mutes eine große Berühmtheit in ihrer Zeit.

Leonardo da Vinci und Isabella von Aragon
Abb. 24: Leonardo da Vinci und Isabella von Aragon als zwei Apostel im berühmten Fresko des großen Malers: Das Letzte Abendmahl
Johanna, die älteste Tochter der mailändischen Herzogin Isabella von Aragon
Abb. 25: Johanna (1502-1575), die älteste Tochter der mailändischen Herzogin Isabella von Aragon und Leonardo da Vincis, als junge Gattin von Ascanio Colonna, Herzog von Paliano und Graf von Tagliacozzo, 1518

P.S.: Die Kunsthistoriker haben es schon wieder gewagt, völligen Unsinn mit Hilfe der leichtgläubigen Journalisten über die ganze Welt zu verbreiten. So las ich doch gestern, am 28. September 2006, dass Michel Menu, Direktor des französischen Museen-Zentrums für Forschung und Restoration, behauptete, "Mona Lisa" trägt einen Schleier, der für ihre Zeit bei schwangeren Frauen und bei jungen Müttern, die gerade ein Kind auf die Welt gebracht hatten, typisch gewesen wäre. Nicht in einer einzigen historischen Quelle noch auf irgendeinem Bild einer Schwangeren oder jungen Mutter konnte ich diesen Kopfschmuck finden. Ist bei den Kunsthistorikern wieder einmal die Fantasie durchgegangen?

P.S.2: Mit Sicherheit haben Sie auch den neuesten Artikel über "Mona Lisa" gelesen, der von der "dpa" in ganz Deutschland verbreitet wurde: Grab Mona Lisas gefunden. Vergessen Sie dabei nicht, dass Herr Pallantini auf der Suche nach der Kaufmannsfrau Lisa Gherardini ist und nicht nach der Frau, die auf Leonardo da Vincis berühmtesten Porträtgemälde "Mona Lisa" zu finden ist!

P.S.3: Die "Mona Lisa"-Saga geht weiter. Nun möchte auch der Direktor der Heidelberger Universitätsbibliothek, Herr Veit Probst, einmal etwas zum Thema "Mona Lisa" beitragen, und selbstverständlich ist die Dame im Louvre wieder einmal die Kaufmannsfrau Lisa Gherardini (wer auch sonst, alle anderen Kandidaten erfordern geschichtliche Kenntnisse, die leider auch bei Herrn Probst nicht existieren). Und wie bei den Kunsthistorikern und Herrn Pallanti reichte auch Herrn Probst eine schriftliche Quelle aus, in der sich allerdings kein Hinweis auf die Kaufmannsfrau Lisa Gherardini, sondern deren Schwägerin Lisa del Giocondo findet, um einen (wissenschaftlichen) Zusammenhang zwischen dieser und dem Gemälde im Louvre herzustellen. Noch einmal: Niemand bestreitet, dass die Kaufmannsfrauen Lisa Gherardini und Lisa del Giocondo existierten und Leonardo da Vinci von der Letzteren eine Zeichnung (kein Ölgemälde) im Jahr 1503 erstellte. Aber sie ist nicht die Dame, die im Louvre unter ihrem Namen zu finden ist. Wer jene ist, steht auf dem Gemälde und zwar in der Form, in der im gesamten Mittelalter und in der Renaissance Informationen gegeben wurden, in der Form von Emblemen und Symbolen, die zu dem Herrscherhaus gehören, in dem der oder die Dargestellte ein Mitglied war.


Lese-/Videotipps:

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