Maria Theresia war eine sehr strenge Mutter, die durch die Bevorzugung einiger ihrer Kinder für die Disharmonie unter Letzteren verantwortlich war. Ihr Gatte Franz Stephan war sehr viel beliebter unter seinen Kindern: "Noch in ihrem Alter, als ihre Söhne schon regierende Herren waren und ihre Töchter mit ihren Gatten fremde Throne teilten, mischte sie sich von ihrem Schreibtisch in Wien aus in die kleinsten und intimsten Details des Lebens ihrer Kinder ein; und sie war nicht sparsam mit ihrem Tadel oder ihrer Ungnade, wenn in Florenz oder in Mailand, in Neapel oder in Paris etwas gegen ihren Willen geschah." (in: Peter Reinhold: Maria Theresia, ebenda, S. 177). So befahl sie ihrer Tochter Maria Karoline vor ihrer Heirat mit dem König von Neapel und Sizilien im Jahr 1768: "Setze pünktlich Deine Studien in der Musik, Malerei, Geschichte, Geographie, im Lateinischen ... fort." Andere Instruktionen, die sie ihren verheirateten Töchtern gab waren: "Fügsamkeit gegenüber dem Gatten, dem zu gefallen oberstes Ziel ist, keine Protektions- und Intrigenwirtschaft, keine Vertraulichkeit mit Subalternen, kein Klatsch, nichts von zu Hause erzählen, Anpassung an die Landessitten, sich weiterbilden, gute Bücher lesen, religiöse Übungen einhalten, sich keinesfalls in die Politik einmischen." (in: Gerda und Gottfried Mraz: Maria Theresia - Ihr Leben und ihre Zeit in Bildern und Dokumenten, ebenda, S. 182/197).
Maria Theresia verfaßte für jeden Erzieher ihrer Kinder Instruktionen und lange Verhaltensmaßregeln, die recht kritische Bemerkungen über den Charakter ihrer Kinder enthielten. Dabei war sie sehr stolz auf ihre intelligenten Töchter, denen sie in ihren Instruktionen empfahl, sich die Überlegenheit gegenüber ihren geistig unterlegenen Gatten ja nicht anmerken zu lassen. Aber die Urteile ihrer Kinder ihr gegenüber klingen nicht sehr erfreulich. Ihre Schwiegertochter Isabella von Parma schrieb im Jahre 1762 über sie: "... Du kennst ja ihre [Maria Theresias] Weise, ihre Kinder zu lieben, jederzeit ist sie mit einer Art Mißtrauen und anscheinender Kälte gemischt." Ihre Tochter Maria Antonia (oder Marie Antoinette) schrieb im Jahr 1773: "Ich liebe die Kaiserin, aber ich fürchte sie sogar aus der Ferne. Selbst wenn ich ihr schreibe, fühle ich mich ihr gegenüber nicht ungezwungen." In einem Brief ihrer Tochter Maria Karoline lesen wir im Jahr 1803: "... Maria Theresia, die ihre Kinder hoch verehrten, aber denen sie doch große Angst machte." Selbst als ihre Kinder nicht mehr bei ihr lebten, verstand Maria Theresia es, Aufpasser und Berichterstatter bei ihnen einzuschleusen: "Hofchargen, Leibärzte, Kinderfrauen und Beichtväter wurden bereitgestellt. ... Anläßlich der Zusammensetzung des Hofstaates Leopolds [II.] für Florenz mußte der zukünftige Oberstkämmerer Franz Graf Thurn nach neunjähriger Witwerschaft eine von Maria Theresias Hofdamen heiraten: So kam Maria Ludovica [Leopolds II. Gattin] zu einer Obersthofmeisterin und die Kaiserin zu einer verläßlichen Nachrichtenübermittlung. Hin und wieder wurden 'Besucher', versehen mit genauen Instruktionen, losgeschickt, wie Franz Graf Rosenberg, der 1772 Parma und Mailand zu bereisen hatte und genauestens über Benehmen, Beschäftigung, Ehe Maria Amalias und Ferdinands berichten mußte. ... Die Reaktionen der Kinder auf die mütterliche Aufsicht waren recht unterschiedlich. Sie reichten vom offenen Bruch, auf den es Maria Amalia ankommen ließ (mit den Worten 'Bei mir und in meinem Haus will ich befehlen' warf sie Rosenberg hinaus), bis zur sanften Nachgiebigkeit Ferdinands oder zur koketten Kleinmädchenmanier Marie Antoinettes, der es sogar passierte, den Namenstag der Kaiserin zu vergessen. Dann fiel sie der geliebten Mama zu Füßen, versprach alle ihre Wünsche zu erfüllen und lebte fröhlich wie bisher." (in: Gerda und Gottfried Mraz: Maria Theresia - Ihr Leben und ihre Zeit in Bildern und Dokumenten, ebenda, S. 199).
Ihrem Sohn Leopold II. schrieb sie zu seinem Regierungsantritt in der Toskana Folgendes: "... keine Knauserigkeit, aber erst recht nichts Überflüssiges oder Prunkvolles ... Sehr schädliche Bücher, die unsere Religion untergraben, indem sie den Klerus verächtlich machen. Ich werde Dir den Katalog der in Wien verbotenen Bücher mit der Fortsetzung schicken, damit Du Dich entsprechend verhalten kannst ... Dein Glück hängt von der Ordnung Deiner Tage und Deiner Geschäfte ab ... Beschütze die Künste, aber diejenigen, die nützlich sind. Versuche allmählich im Palast die Nuditäten zu beseitigen, vor allem auf den Bildern: gib Widerwillen dagegen zu erkennen und gestatte nicht, daß man solche Werke macht ... muß ich Dir Vater und Mutter sein, Dir meine Ratschläge erteilen und Dir helfen. Du wirst es mir mitteilen, wenn Du irgendwelche Änderungen vornehmen willst. Ich werde Dich niemals in Deiner Eigenschaft als Souverän stören ... Aber in Deinem Alter bedarfst Du des Rates und einer Person, die die Welt kennt ... (in: Gerda und Gottfried Mraz: Maria Theresia - Ihr Leben und ihre Zeit in Bildern und Dokumenten, ebenda, S. 211).
Lesetipp: Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde. Herausgegeben von Alfred Ritter von Arneth. Band 1 und Band 2. Wien 1881