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30/06/2022

Der Eukalytusbaum und die Familie Herbig in Südaustralien

The Herbig Family Tree, der Eukalyptusbaum der Familie Herbig in Springton (in den Adelaide Hills), der zwischen 300 und 500 Jahre alt ist und den jeder besuchen und bestaunen kann, hat eine Menge über die Familie Herbig zu erzählen.
Johann Friedrich Herbig
Die Geschichte des Baumes und der Familie Herbig begann im Jahr 1856. Johann Friedrich Herbig, sein Rufname war "Friedrich", Schneider von Beruf, hatte im Alter von 27 Jahren beschlossen, seine Heimat, das Dorf Grünberg, 160 km südöstlich von Berlin, das heute in Polen liegt, zu verlassen und sich nach Südaustralien zu begeben. Seine Reise auf dem Schiff "Wilhelmine", auf dem sich noch 109 andere Passagiere auf den Weg ins unbekannte Südaustralien begaben, begann am 6. Juni 1855 in Bremen. Am 3. Oktober 1855 traf man endlich in Adelaide ein. Friedrich machte sich sogleich auf die Suche nach Arbeit und begab sich dafür nach Blumberg (heute: Birdwood) in die Adelaide Hills. Er fand auch sogleich eine Anstellung in der Milchwirtschaft des schwerreichen George Fife Angas, von dem er zudem ein Stückchen Land pachtete, auf dem er noch zusätzlich Weizen anbauen wollte. Obwohl er nun eigentlich zwei Jobs hatte - Kühe melken und Weizen anbauen -, reichte das Geld nicht aus, sich eine Unterkunft zu leisten. Außerdem wollte er lieber sein Geld sparen, um bald die Schulden hinsichtlich des gepachteten Landes bezahlen zu können. Daher musste ein großer, alter, ausgehöhlter Eukalyptusbaum auf seinem Stückchen Land in Black Springs (dem heutigen Springton) sein Zuhause werden. Mit Hilfe eines Deutsch-Englischen Wörterbuchs brachte er sich hier in seiner knappen Freizeit selbst die englische Sprache bei.
Anna Caroline Rattey
Derweil traf die erst 16-jährige Anna Caroline Rattey (oder korrekter: Ratachi), ihr Rufname war Caroline, mit ihrer Tante und ihrem Onkel am 1. Dezember 1856 in Südaustralien ein. Sie begaben sich nach Hoffnungsthal im Barossa Valley, um dort Arbeit zu finden. Während ihre Tante und ihr Onkel sich bereits ein Jahr später, also im Jahr 1857, nach Black Springs (dem heutigen Springton) aufmachten, blieb Caroline bei der Familie von Johann Leske als Magd zurück. Am 4. November 1857 starb schließlich der Vater von Johann Leske, Samuel Leske, wie so viele Bauern seiner Zeit durch einen Sturz von seinem Pferdewagen. Caroline sollte bei dessen Beerdigung auf die zwei kleinen Kinder ihres Dienstherrn aufpassen, während sich alle anderen erst in die Kirche und dann auf den Friedhof begeben wollten. Ja, und dieser Tag sollte Carolines schrecklichster Tag in ihrem Leben werden. Denn plötzlich klopfte es an der Tür des Bauernhauses, und ein fremder Mann fragte sie, ob sie herumstreunende Rinder gesehen hätte, die er wieder einfangen müsste. Dabei gab es eigentlich gar keine herumstreunenden Rinder. Der unbekannte Mann hatte nur gesehen, wie die Witwe des verstorbenen Samuel Leske nach dem tödlichen Unfall dessen Geld an sich genommen hatte und nach Hause gegangen war. Er vermutete daher, dass das Geld irgendwo im Haus versteckt worden wäre. Und da alle außer dieser Magd und zwei kleinen Kindern auf der Beerdigung von Samuel Leske waren, hatte er eigentlich nur Caroline beiseite zu schaffen und konnte sich dann in aller Ruhe auf die Suche nach diesem Schatz begeben. So griff er Letztere an, zog sie mit Gewalt zum Kuhstall, griff zu einem Seil und hängte sie schließlich an einem Akazienbaum auf. Da Caroline sich heftig wehrte, stach er noch zusätzlich mit seinem Messer auf sie ein und verletzte sie oberhalb ihrer linken Brust. Dann machte er sich auf ins Haus. Caroline war sehr kräftig gebaut, und so bog sich der zarte Akazienbaum durch ihr Gewicht nach unten, und Caroline konnte letztendlich mit ihren Füßen den Boden berühren. Sie löste die Schlinge von ihrem Hals und rannte zum nächsten Bauernhof, der ungefähr 1 km entfernt lag, und brach dort vor Erschöpfung und Schwäche zusammen. Der Angreifer, der ihr dies angetan hatte, konnte übrigens nie gefasst werden, aber seine Schatzsuche erwies sich ebenfalls als erfolglos. Die schlaue Witwe des Samuel Leske hatte nämlich sämtliches Geld in ihr Unterhemd eingenäht, das sie auf der Beerdigung ihres Gatten trug. Caroline machte sich nach diesem schrecklichen Erlebnis zu ihrer Tante und ihrem Onkel nach Black Springs auf und lernte dort den liebenswürdigen Johann Friedrich Herbig kennen und lieben. Am 27. Juli 1858 heirateten die beiden und lebten nun gemeinsam unter dem Baum.
Meine Enkelin Skye und ich (hier in der "Höhle" des Eukalyptusbaums) sind sehr froh, hier nicht leben zu müssen. Reichlich viele Spinnen nennen den Eukalyptusbaum nämlich ebenfalls "ihr Zuhause".
Caroline brachte jedoch schon ein Jahr nach ihrer Hochzeit in ihrem Baumhaus am 4. August 1859 ihr erstes Kind auf die Welt, ihren Sohn Johann August († 1930). Wie es Tradition in Deutschland war, erhielten alle Söhne als ersten Namen den Namen des Vaters und des Großvaters, im Falle von Johann Friedrich Herbig also den Namen "Johann". Ihr Rufname war jedoch stets ihr zweiter Name. Der kleine August blieb nicht lange allein. Denn am 30. September 1860 erblickte Carolines zweites Kind, ihr Sohn Johann Wilhelm († 1905), das Licht der Welt. Mittlerweile wurde das Baumhaus für die bereits vier Mitglieder umfassende Familie Herbig zu klein, und man zog in eine Hütte um, die 370 m vom Baum entfernt aus Holz und Lehm erbaut und mit einem Strohdach versehen worden war und die immerhin zwei Zimmer aufwies. Schließlich gehörte seit dem 4. Dezember 1864 auch noch Friedrichs Mutter, Anna Rosine Herbig, die gerade aus Hamburg eingetroffen war, zur Familie. Nun lebten drei Erwachsene und vier Kinder in der kleinen Hütte, denn am 8. April 1862 war Carolines drittes Kind, ihr Sohn Johann Friedrich († 1924) (Rufname: Fred), geboren worden, und am 14. August 1863 war auch noch ihr viertes Kind, ihr Sohn Johann Reinhold († 1929) (Rufname: Reinhold oder "Busy"), hinzugekommen. Als Friedrich Herbig im Jahr 1867 die Pacht für sein Stückchen Land bezahlt hatte, lebte die Familie endlich in einem größeren Steinhaus, was durch die Geburt zweier weiterer Söhne, Johann Heinrich († 1927) (Rufname: Harry), geboren am 10. April 1865, und Johann Gustav († 1923) (Rufname: Gush), geboren am 23. März 1867, auch dringend benötigt wurde. Friedrich Herbig betrieb von nun an Handel mit Spreu, baute außer dem Weizen noch Wein an und kaufte noch mehr Land. Die Familie Herbig kam somit zu einigem Wohlstand. Caroline schenkte ihrem Mann derweil noch weitere Kinder: Anna Auguste († 1945) (Rufname: Auguste), geboren am 17. August 1868, Johann Carl († 1959) (Rufname: Carl oder "Charlie"), geboren am 15. Mai 1870, Maria Elisabeth († 1954) (Rufname: Mary), geboren am 5. März 1872, Anna Elisabeth († 1915) (Rufname: Annie), geboren am 29. November 1873, Johanna Hermine († 1922) (Rufname: Minnie), geboren am 20. August 1875, Johann Ernst Albert († 1906) (Rufname: Ernst), geboren am 19. September 1877, Emma Lydia († 1928) (Rufname: Emma), geboren am 4. März 1880, und Lydia Mathilda († 1940) (Rufname: Lydia), geboren am 20. Oktober 1881. Als Friedrich und Caroline am 27. Juli 1883 ihre Silberne Hochzeit feierten, hatten sie bereits 14 Kinder, und es folgten noch zwei weitere: Johann Emmanuel († 1952) (Rufname: Jack), geboren am 7. Februar 1884, und Clara Amanda († 1923) (Rufname: Clara), geboren am 3. Juli 1885.
Die Herbig-Familie auf einen Blick
In der Mitte dieses Bildes finden Sie Fotos von Johann Friedrich Herbig und seiner Gattin Caroline und links und rechts deren 16 Kinder. Links von links nach rechts und von oben nach unten: Johann August, Johann Wilhelm, Johann Friedrich, Johann Reinhold, Johann Heinrich, Johann Gustav, Anna Auguste, Johann Carl. Rechts von links nach rechts und von oben nach unten: Maria Elisabeth, Anna Elisabeth, Johanna Hermine, Johann Ernst Albert, Emma Lydia, Lydia Mathilda, Johann Emmanuel und Clara Amanda.
Caroline Herbig und ihre 16 Kinder, um 1889
Im Oktober 1886 wollte Johann Friedrich Herbig eine Ladung Spreu an einen gewissen Friedrich Kuchel liefern und stürzte bei der Überquerung eines kleinen Flusses von seinem Pferdewagen. Zuerst sah es so aus, dass er sich nur eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte, dann aber starb er am 18. Oktober 1886 überraschend, mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer Gehirnblutung. Caroline, die weder lesen noch schreiben konnte und auch die englische Sprache nicht beherrschte, hatte nun allein für ihre Kinder zu sorgen, die ihr nun zumindest beibringen mussten, ihren Namen unter die verschiedenen Dokumente, die ihr vorgelegt wurden, schreiben zu können. Ihre Kinder waren zum Zeitpunkt des Todes ihres Gatten im Alter zwischen 27 Jahren und 15 Monaten. Auf diesem Foto, das um 1889 erstellt wurde, finden sie drei Reihen der Herbigs, in der oberen Reihe stehen die Mitglieder der Familie, in der zweiten Reihe sitzen sie auf einem Stuhl und in der dritten Reihe hocken sie mit Ausnahme des jüngsten Mitgliedes auf dem Boden. Also in der ersten Reihe oben von links nach rechts finden Sie den 30-jährigen Johann August, den 29-jährigen Johann Wilhelm, den 27-jährigen Johann Friedrich, den 26-jährigen Johann Reinhold, den 24-jährigen Johann Heinrich, den 22-jährigen Johann Gustav und den 19-jährigen Johann Carl. In der zweiten Reihe in der Mitte sitzen von links nach rechts die 14-jährige Johanna Hermine, die 49-jährige Caroline Herbig, die 21-jährige Anna Auguste, die 17-jährige Maria Elisabeth und die 15-jährige Anna Elisabeth. In der dritten Reihe unten befindet sich links der 12-jährige Johann Ernst Albert, zwischen den Beinen der Mutter steht die 4-jährige Clara Amanda, neben dieser hocken von links nach rechts der 5-jährige Johann Emmanuel, die 9-jährige Emma Lydia und die 7-jährige Lydia Mathilda auf dem Boden.
Caroline (oder Anna Caroline) Herbig als alte Frau
Caroline überlebte ihren Gatten um 40 Jahre und starb am 19. März 1927 im Alter von 87 Jahren. Sie hatte auch den Tod von sieben ihrer Kinder miterleben müssen. Als sie starb, hinterließ sie außer ihren noch neun lebenden Kindern 44 Enkelkinder und 35 Urenkelkinder. Mittlerweile (im Jahr 2022) umfasst ihre Nachkommenschaft über 900 Mitglieder, die sich in regelmäßigen Abständen immer noch um den Herbig-Baum in Springton versammeln und ihre Lebensgeschichten untereinander austauschen.