Für die mittelalterliche Gesellschaftsordnung war die Unterscheidung zwischen Herrschaft und Dienst grundlegend.
So gehörten im Frühmittelalter, das von 500 - 1050 n. Chr. währte, die Menschen entweder zu der kleinen Bevölkerungsschicht von "Herrschern" oder zu der zahlenmäßig überwiegenden Schicht von "Dienern".
Diese Zweiteilung der Menschheit war laut der Kirche von Gott so gewollt. Deshalb verkündete der Dominikanermönch Thomas von Aquin († 1274), der im Jahre 1323 heiliggesprochen wurde, auch folgendes: "Sklaverei unter Menschen ist etwas Naturgegebenes, denn manche sind von Natur Knechte ..." (Summa theol. II., II. 57, 3,2). Auch der folgende Holzschnitt (Abb.1) bestätigt diese Aussage. Links und rechts von Jesus Christus befindet sich die herrschende Schicht, die auf fast gleicher Ebene mit dem Gottessohn dargestellt wurde und sich aus Geistlichen (links) und Adligen (rechts) zusammensetzte. Unterhalb des Gottessohnes und der herrschenden Schicht befindet sich die dienende Bevölkerung. Jedem Stand wurde in diesem Bild zudem eine bestimmte Aufgabe von Gott zugewiesen. So heißt es in einem lateinischen Befehl bei den Geistlichen "Du, Schutzflehender, bete", bei den Adligen "Du beschütze" und bei den Bauern "Du arbeite!"
Zu der herrschenden Schicht, die im Mittelalter 1 – 10% der Gesamtbevölkerung ausmachte, gehörten der hohe und der niedere Adel und die hohe Geistlichkeit.
Die höchste Position im Adel nahm der König oder Kaiser ein. Für das Volk im Frühmittelalter spielte dieser Herrscher eine große Rolle im alltäglichen Leben. Denn die Menschen glaubten, daß dem König und seiner Familie ein besonderes Heil innewohne, das letztendlich ihnen allen zugute komme. Starb der Herrscher, wurde sofort ein anderes männliches Mitglied dieser heilbringenden Königsdynastie gewählt. Dabei mußte es nicht unbedingt der Erstgeborene sein. Theoretisch wurde der neue König vom Volke gewählt, tatsächlich jedoch bestätigten ihn, dessen offizieller Titel seit Mitte des 11. Jhs. "König der Römer" war, die Großen des Reiches. Sein Reich, das man seit 962 n. Chr. "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" bezeichnete, bestand aus dem deutschen Königreich, Italien und Burgund.
Hier fungierte der König als oberster Gerichtsherr und als oberster Lehnsherr. So verfügte er über das Reichsgut und bot das gewöhnliche Volk und den Adel zur Heerfolge auf, war deren Anführer im Krieg und verteilte unter ihnen die Beute des Raubzuges. Als Zeichen seiner Herrschaft dienten die Reichsinsignien, die er nach dem Tode seines Vorgängers erhielt und die er bei der Krönung und bei anderen festlichen Anlässen trug. Diese Herrschaftszeichen wie die Krone, das Szepter, die Lanze, das Schwert und der Reichsapfel, sind auch heute noch entweder als Originale in der Wiener Schatzkammer oder als Kopien im Aachener Rathaus und im Historischen Museum in Frankfurt a. M. zu bewundern.
Beraten wurde der König von den Großen oder den Fürsten seines Reiches, die auch das Königswahlrecht besaßen. Diese trafen mit ihm entweder auf den Reichstagen oder an den hohen Kirchentagen zusammen oder lebten sogar an seinem Hofe, wo immer sich dieser gerade befand. Zu diesen Fürsten gehörten die Herzöge, die Pfalzgrafen, die Landgrafen, die Grafen, die Erzbischöfe, die Bischöfe und die Äbte der Reichsklöster. Sie alle verfügten über die hohe Gerichtsbarkeit, waren Großgrundbesitzer und besaßen wie ihr königlicher Lehnsherr folgende Bedienstete: zumindest einen Waffenmeister, einen Hofmarschall, einen Jagdaufseher und einen Falkner, der sich um die Zucht der kostbaren Falken kümmerte, einen Stallmeister, einen Förster, einen Küchenchef oder Oberkoch, einen Bäckermeister, einen Meister der Vorratskeller, einen Meister des Mobiliars, einen oder mehrere Ärzte, Friseure, Priester, Musiker, Schreiber und einen Haushofmeister, der das gesamte Anwesen leitete.
Gegen Ende des 12. Jhs. machte sich innerhalb dieses Fürstenstandes ein bedeutender Wandel bemerkbar. Einige wenige von den Großen, die im Laufe der Zeit sehr mächtig geworden waren, sonderten sich in Form eines eigenen Standes, des Reichsfürstenstandes, von den anderen Adligen ab. Um 1200 gab es schließlich nur noch 15-20 weltliche und 80 geistliche Reichsfürsten, die das Recht der Königswahl besaßen.
Im 13./14. Jh. löste sich noch einmal eine kleine Gruppe von Adligen - erst sechs, dann sieben Kurfürsten - aus diesem Reichsfürstenstand heraus. Diese sieben Kurfürsten - der Erzbischof von Köln, der Erzbischof von Mainz, der Erzbischof von Trier, der Pfalzgraf vom Rhein, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen und der König von Böhmen - waren seit der Goldenen Bulle von 1356 die alleinigen Königswähler.
Der niedere Adel, der ebenfalls Herr über Grund, Boden und Menschen war, besaß im Gegensatz zu dem eben behandelten hohen Adel nur die niedere Gerichtsbarkeit und war von der Königswahl schon lange ausgeschlossen worden.
Der Stand der "Diener" setzte sich aus den wenigen freien Bauern und dem überwiegenden Teil der Unfreien zusammen. Großbauern wie die Dithmarscher Bauern und die westfälischen Schulten standen - rein finanziell und wirtschaftlich betrachtet - den niederen Adligen in nichts nach.
90% der ländlichen Bevölkerung jedoch gehörte dem unfreien Stand an. Aber auch innerhalb dieser Schicht gab es in bezug auf die Lebensverhältnisse und die Rechtsstellung große Unterschiede. So befanden sich auf der untersten Stufe die rechtlosen Unfreien, die Leibeigenen. Über sie konnte der Grundherr beliebig verfügen. Sie lebten auf dem Hofe ihres Herrn und bearbeiteten dessen Ländereien, leisteten unbeschränkte Dienste im Herrenhaus und waren als Handwerker, Händler und Kuriere für ihren Herrn tätig.
Eine bessere Stellung nahmen die "behausten" Unfreien ein. Ihnen wurde vom Grundherrn ein kleiner Bauernhof zur Nutzung übertragen. Diesen Hof durften sie ohne ausdrückliche Erlaubnis ihres Herrn nicht verlassen oder veräußern. Zudem mußten sie Abgaben leisten. Der Grundherr vom Hofe Staffelsee z.B. erhielt für diese Landvergabe von jedem behausten Unfreien jährlich ein Ferkel, fünf Hühner und zehn Eier. Außerdem war der Bauer verpflichtet, vier Jungschweine seines Herrn zu mästen, ein halbes Ackerwerk von ihm zu pflügen, an drei Tagen in der Woche auf dem Herrenhof zu helfen, Botendienste zu leisten und ein Pferd oder einen Ochsen zum Pflügen und zum Transport von Waren bereitzustellen. Die Frau des unfreien Bauern mußte zudem ein Hemd und einen Chorrock anfertigen, Malz brauen und Brot backen.
Aber auch als "behauster" Unfreie besaß man nur begrenzte persönliche Freiheit und war zudem noch zur Leistung von Militärdienst verpflichtet.
Nur wenige Unfreie schafften den Aufstieg in höhere Positionen und wurden entweder zu Meiern oder Ministerialen ernannt. Als Meier hatten sie dann einen größeren Wirtschaftsverband ihres Grundherrn zu beaufsichtigen, und als Ministeriale standen sie ihren Herren militärisch und/oder verwaltungsmäßig zur Seite, oder sie wurden als Truchseß, Kämmerer, Marschall, Schenk oder Jägermeister am Hofe ihres Herrn eingesetzt.
Die Salierkaiser des 11. Jhs. z.B. übergaben trotz des heftigen Protestes der Fürsten ihren unfreien Ministerialen wichtige Verwaltungsaufgaben und militärische Ämter.
Auch die Stauferkaiser bedienten sich fleißig ihrer Ministerialen. So lag die Reichsverwaltung z.B. in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. überwiegend in den Händen von staufischen Ministerialen, die in Einzelfällen sogar zu fürstengleichen Positionen aufsteigen konnten.
Und die Fürsten griffen schließlich trotz ihrer anfänglichen Proteste bald ebenfalls auf ihre begabten Unfreien zurück, die sie zu Leitern der zentralen Hofverwaltung, zu Hütern ihrer Burgen oder zu ihren Stellvertretern in den aufkeimenden Städten bestimmten. Um 1200 waren die bedeutenden unfreien Ministerialen in ihrer Lebenshaltung kaum noch von den Adligen zu unterscheiden. Im Laufe des 12. und 13. Jhs. begaben sich sogar Adlige in die Ministerialität.
Seit der zweiten Hälfte des 12. Jhs. bildete sich aus den Unfreien eine neue Bevölkerungsschicht heraus: die Bürger. Denn seit dieser Zeit wurden von Königen und Fürsten planmäßig Städte angelegt und gegründet. Als "Bürger" konnten die ehemaligen Unfreien ein Grundstück in freier erblicher Leihe erhalten und waren zu keinen Diensten und Abgaben verpflichtet. Außerdem durften sie selbst über ihr Vermögen und Erbe verfügen und besaßen das Freizügigkeitsrecht. "Die Stadtluft macht frei" hieß es, und lockte viele Unfreie in die Städte. Wenn diese dort nicht innerhalb eines Jahres und eines Tages von ihren ehemaligen "Besitzern" zurückgefordert wurden, konnten sie als freie Bürger für immer hier leben. Ausnahmen gab es nur in einigen Klein- und Agrarstädten und in wenigen süddeutschen bischöflichen Städten wie Augsburg, Basel, Regensburg und Straßburg, in denen die Einwohner trotz Bürgereidablegung Hörige bzw. Unfreie blieben.
Aber obwohl alle Bürger das gleiche Recht besaßen, stellte auch die Stadtbevölkerung keinen einheitlichen Stand dar. In fast allen Städten bildete sich schon recht früh eine dünne Oberschicht heraus, die bald einen entscheidenden Einfluß auf die städtische Politik und Verwaltung nahm. Zu dieser Oberschicht zählten die Ministerialen, die von ihren Fürsten hier als deren Stellvertreter eingesetzt worden waren, die Groß- und Fernkaufleute, die Gewandschneider, die reichen Grundbesitzer und einige wenige sehr vermögende Handwerksmeister und Gewerbetreibende. Sie zusammen bildeten das Patriziat, dessen Angehörige schließlich allein die wichtigsten politischen Positionen wie das Bürgermeisteramt oder die Ratsämter besetzten. Ab dem 13. Jh. war es sogar für Neureiche nahezu aussichtslos geworden, Einlaß in diesen elitären Kreis zu erhalten. Im 14. Jh. war der Zugang zu dieser privilegierten Gruppe selbst schwerreichen Fernhandelskaufleuten nicht mehr möglich.
Die Patrizier bezogen die höchsten Einkommen in der Stadt und konnten ihren Kindern die beste schulische Ausbildung ermöglichen. Gegen Ende des 15. Jhs. waren bei ihnen eheliche Verbindungen mit dem verarmten Landadel - der begehrten Titel wegen - sehr beliebt. Zudem versuchten viele Patrizier den Lebensstil der Adligen nachzuahmen, in dem sie sich wie diese kleideten, aßen und Prachtbauten errichten ließen.
Die Rangordnung, als von Gott gegeben, wurde sehr wichtig genommen, denn es wurden sogar Prozesse darüber geführt, wer bei welcher Gelegenheit wem den Vortritt oder Vorsitz zu überlassen hatte z.B. bei Prozessionen, Festakten oder bei Leichenbegängnissen.
Die städtische Mittelschicht setzte sich aus den Handwerkern, den wohlhabenden Kleinhändlern, den Brauern, den Fuhrunternehmern, den Schiffern, z.T. den städtischen Angestellten wie Stadtschreiber oder Syndikus, den Wundärzten, den Apothekern, den Baumeistern, den Malern, den Bildschnitzern und den wohlhabenden Ackerbürgern zusammen.
Zur städtischen Unterschicht, die 40-60% der Stadtbevölkerung ausmachen konnte, zählten die armen Handwerksmeister, die Kleinkaufleute und die große Masse der beruflich Unselbständigen wie die Handwerksgesellen und -lehrlinge, die freien Tagelöhner und Hilfsarbeiter, die Hafenarbeiter und Seeleute, die Türmer, Tor- und Nachtwächter, die Bader, Stadtpfeifer, die Dienerschaft, das Gesinde und schließlich auch die Bettler.
In der Randgruppe der städtischen Bevölkerung befanden sich die Personen, die wegen ihres Berufes, wegen ihrer Religion und aus anderen Gründen am Rande der Gesellschaft standen wie z.B. der Henker und seine Gehilfen, der Hundeschinder, der Müller, der Töpfer, der Schäfer, der Ziegler, der Hirt, der Totengräber, die Dirne, die Spielleute und die Aussätzigen, um nur einige zu nennen.
Auch die Juden gehörten zu dieser Randgruppe. Obwohl sie Wehrdienst leisteten und eine Judensteuer für die Stadtverteidigung zahlten, konnten sie keine Bürgerrechte erwerben und keine städtischen Ämter übernehmen. Ihr Leben in den christlichen Städten war zudem immer gefährdet. Antijüdische Haßgefühle, die sich von Zeit zu Zeit in Vertreibungen, Enteignungen und Massenermordungen entluden wie besonders zu Beginn der Kreuzzüge im 11./12. Jh. oder im 14.Jh., als die Juden für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht wurden, waren ständig zu erwarten.
Vor den Kreuzzügen waren die Juden im Fernhandel tätig. Im 12. Jh. wurden sie aus diesem Berufszweig jedoch von ihren christlichen Mitbewerbern verdrängt. Als Handwerker durften sie ebenfalls nicht arbeiten, weil die Zünfte seit dem 14. Jh. nur noch Christen zum Handwerk zuließen. So blieb den Juden letztlich nur noch der Geldverleih übrig.
Seit dem Laterankonzil im Jahre 1215 hatten die Juden zudem in einem bestimmten, von einer eigenen Mauer umschlossenen Teil der Stadt zu leben und ein Abzeichen zu tragen, das gewöhnlich einen runden Flicken aus gelbem Filz, wie ein Geldstück aussehend, darstellte. Diese "Judenmarken" waren von beiden Geschlechtern ab dem siebten oder vierzehnten Lebensjahr an der Kleidung anzubringen. Schon kurze Zeit später wurden die Juden noch zusätzlich verpflichtet, spitze Hüte aufzusetzen, die Tierhörnern ähnelten (Abb. 2).
Seit dem 14. Jh. durften sie außerdem Christen weder als Diener einstellen noch ärztlich behandeln. Auch wurde ihnen verboten, Mehl, Brot, Wein, Öl, Schuhe oder Kleidungsstücke an Christen zu verkaufen. Mischehen wurden ebenfalls untersagt. Außer als Pfandleiher konnten die Juden nur noch als Totengräber tätig sein.
Juden, Bauern und Bürger waren allesamt steuerpflichtig. Von ihrem Geld lebten der Adel und die Geistlichkeit, die im Gegensatz zu ihnen Steuerfreiheit genossen. Bischöfe zogen "Weinsteuern" ein, adlige Grundherren verschafften sich die hohe Mitgift für ihre Töchter, indem sie von ihren Unfreien eine "Fräuleinsteuer" erhoben.
Die Bürger, die im 14. Jh. neben dem Adel und dem Klerus den dritten Stand bildeten, besaßen seit dieser Zeit immerhin die Entscheidungsgewalt über die Höhe der Abgaben. Sie selbst bestimmten z.B. in Paris im Jahre 1355, daß die Reichen 4% auf ihr Einkommen, die Mittelklasse 5% und die Bewohner mit den niedrigsten steuerpflichtigen Einkommen 10% Steuern zahlen mußten. Klagen wegen ungerechter Behandlung gab es nicht. Bis ins 14. Jh. hinein nahmen die Menschen ihren Stand als gottgewollt hin. Jeder Versuch, in einen höheren Stand aufzusteigen, wurde als schwere Sünde aufgefaßt, und entsprechende Predigten und moralisierende Geschichten hatten die aufstrebenden Bauern und Bürger über sich ergehen zu lassen.
Zum Beispiel wurde die Geschichte vom Meier Helmbrecht erzählt, die ein Augustinermönch namens Wernherder Gartenaere geschrieben hatte. Der junge Helmbrecht, Sohn eines Bauern, hatte es satt, weiterhin Säcke zu schleppen, Mist zu laden und all die schweren und dreckigen Arbeiten eines Bauern zu verrichten. Er hielt sich zu etwas Besserem geboren. Sein Traum war es, Ritter zu werden. Natürlich scheiterte er, denn er handelte ja gegen Gottes Willen, der ihn als Bauern zur Welt kommen ließ. Helmbrecht lebte mit Raubrittern zusammen, wurde gefangengenommen, geblendet und verstümmelt. Als es ihm trotz allem gelang, zum väterlichen Hof zurückzufinden, wollte auch der Vater nichts mehr von ihm wissen und verstieß ihn. Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn zeigte hier keine Wirkung! Schließlich wurde er von Bauern - Menschen seines Standes - auf einem Baum aufgehängt.