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Alltagsgeschichte des Mittelalters

V. 1.1. Die Muntehe

Die im Mittelalter gebräuchlichste Eheform war die patriarchalische Muntehe.

Die Schließung einer Muntehe war ein reines Rechtsgeschäft zwischen zwei adligen Familien. Da die Frau als Geschäftspartnerin ausgeschlossen war, spielte ihr Wille keine Rolle. Sie stellte lediglich das Vertragsobjekt dar. Die Übergabe der Braut erfolgte gegen bare Zahlung des zwischen beiden Parteien ausgehandelten Kaufpreises.

Die Herkunft des Wortes "Ehe" stammt vom mittelalterlichen Wort "ewa", das "Gesetz" oder "Recht" bedeutet.

Die Adelshäuser nutzten die Ehe, um nähere verwandtschaftliche Beziehungen miteinander eingehen zu können. Das Alter der Heiratskandidaten spielte dabei keine Rolle. Im Frühmittelalter waren die Mädchen mit dem 13. Lebensjahr heiratsfähig. Im Spätmittelalter lag ihr Heiratsalter schließlich bei 15 bis 18 Jahren, in den Städten sogar bei 16 bis 20 Jahren. Die Jungen waren mit 12 - 15 Jahren heiratsfähig. Verlobt werden konnten die Kinder nach dem Kirchenrecht aber schon mit sieben Jahren.

Seit dem 12. Jh. durfte das Eheversprechen von Mädchen, die jünger als 12 Jahre waren, und von Jungen, die jünger als 14 Jahre waren, widerrufen werden.

Aber die Praxis unterschied sich von der Theorie.

Denn gerade in den Adelshäusern wurde sich an diese Altersangaben nicht im geringsten gehalten. Der kleine Prinz Heinrich Plantagenet († 1183), der ältere Bruder von Richard Löwenherz, wurde als Fünfjähriger mit der zweijährigen Margarete, einer Tochter des französischen Königs Ludwig VII., vermählt. Kaiser Heinrich IV. († 1106), bekannt durch seinen Gang nach Canossa, wurde als Vierjähriger mit Berta von Turin verlobt, die er sein Leben lang abgrundtief hassen sollte.

Die adligen, bürgerlichen und bäuerlichen Kinder hatten sich dem Willen der Eltern auch bei der Wahl ihres Ehepartners ohne Widerstand zu fügen. So waren Liebe und Zuneigung nicht wie heute die Leitbegriffe einer Ehe. Der Altersunterschied zwischen den Heiratskandidaten konnte zudem sehr groß sein. Mathilde († 1189), eine Schwester von Richard Löwenherz, wurde 1165 im Alter von neun Jahren mit dem 36-jährigen Heinrich dem Löwen verlobt. Drei Jahre später fand ihre Hochzeit statt.

Beatrix von Burgund war 12 bis 14 Jahre alt, als sie Friedrich Barbarossa, der im 34. oder 35. Lebensjahr stand, ehelichte. Agnes, die einzige Tochter Kaiser Heinrichs IV., wurde als Sechs- oder Siebenjährige mit dem 29-jährigen Herzog Friedrich von Schwaben, dem Großvater Friedrich Barbarossas, vermählt.

Welf V. († 1120), ein Großonkel von Heinrich dem Löwen, wurde als 17-jähriger im Jahre 1089 gezwungen, die 42- oder 43-jährige Markgräfin Mathilde von Tuszien († 1115) zu ehelichen. Die Welfen wollten durch diese Heirat den umfangreichen Besitz der Markgräfin in Italien und Lothringen erben.

König Ottokar II. von Böhmen († 1278) mußte im Jahre 1252 als knapp 20-jähriger die fast 50-jährige Margarete von Österreich, die Schwester des letzten Babenberger Herzogs von Österreich, aus politischen Gründen heiraten. Die Ehe blieb ohne Kinder, und Ottokar ließ sich, nachdem ihm Österreich, das Erbland seiner Frau, zugefallen war, wieder scheiden.

Maria, die Lieblingsschwester Kaiser Karls V. († 1558) wurde im Alter von einem Jahr sogar mit einem Ungeborenen verlobt, in der Hoffnung, daß ihre schwangere, zukünftige Schwiegermutter, Anna von Böhmen und Ungarn, 1506 einen Jungen gebäre. Was sie auch tat. 1515 vermählte man schließlich die 10-jährige Maria mit ihrem 9-jährigen Verlobten Ludwig II. († 1526).

Nur selten gelang es den Kindern, eventuell durch Tricks der bevorstehenden Heiratsplanung ihrer Eltern zu entgehen.

Hadwig (geboren um 922), eine Schwester Kaiser Ottos des Großen, wurde als kleines Kind mit dem griechischen Prinzen Konstantin von Byzanz verlobt. Als ein griechischer Maler im Auftrag des Bräutigams ein Bild von ihr anfertigten sollte, schnitt sie, weil sie den Prinzen nicht heiraten wollte, Grimassen, und so wurde weder aus dem Bild noch aus der Hochzeit etwas.

Eine freie Gattenwahl ließen die dynastischen Interessen eben nicht zu. Und so lernten sich die zukünftigen Eheleute oft erst bei ihrer Verlobung oder auf ihrer Hochzeit kennen.

Der junge Graf Balduin II. von Hennegau († 1098) war ohne seine Anwesenheit mit der Nichte des Grafen Robert von Flandern († 1093) verlobt worden. Als er seine Braut schließlich zu sehen bekam, floh er vor ihr und zog es vor, statt dieser "übergroßen Häßlichkeit" die Tochter vom Herzog Heinrich II. von Brabant († 1078/79) zu heiraten. Wegen dieses Verlobungsbruches mußte er dem Onkel seiner früheren Braut die Festung Douai überlassen.

Jeder mittelalterlichen Heirat ging eine Brautwerbung voraus, in der man sich über die Höhe des Brautschatzes, der Mitgift, der Morgengabe, des Wittums und über den Zeitpunkt der Hochzeit einigte. Waren zudem die obersten Lehnsherren beider Adelshäuser mit dieser ehelichen Verbindung einverstanden, kam ein Vertrag zwischen dem Bräutigam und der Brautsippe, die Verlobung, zustande.

Das Verlöbnis hatte damals weitaus größere rechtliche Wirkungen als heute. Es stellte einen Vertrag dar, dessen Verletzung eine schwere Buße nach sich zog. Denn die Verlobten schworen unter Eid zu heiraten!

Der Bräutigam mußte der Brautsippe bei der Verlobung eine Brautgabe oder wenigstens eine Anzahlung hierauf leisten. Diese Brautgabe wurde im Laufe der Zeit zum sogenannten Brautschatz, der im Hoch- und Spätmittelalter direkt der Braut und nicht mehr ihrem Vormund übergeben wurde. Der Brautschatz wurde zum Grundstock ihrer Witwenversorgung, zum Wittum. Denn die Ehefrauen waren bis ins 12. Jh. hinein nicht die Erbinnen ihrer Gatten. Sie mußten also im Falle des frühzeitigen Todes ihrer Ehemänner auf eine andere Art und Weise finanziell und materiell abgesichert werden.

Bei begüterten Personen bestand das Wittum aus Liegenschaften (Burgen, Städten, Dörfern, Herrschaftsrechten), Vieh oder Wertsachen wie Schmuckstücken und Geld. Der Wert des Wittums richtete sich nach dem Vermögen des zukünftigen Gatten.

Die Verlobung wurde ebenso wie die Trauung vom Brautvater oder seinem nächsten männlichen Vertreter vorgenommen. Der zukünftige Schwiegersohn zahlte dafür eine Verlobungsgebühr.

Fanden die Brautsippe oder der Bräutigam nach der Verlobung einen "vorteilhafteren" Ehepartner, mußte der Verursacher des Verlöbnisbruches Buße leisten oder mit einer blutigen Fehde rechnen.

König Philipp von Schwaben († 1208), der jüngste Sohn von Friedrich Barbarossa, mußte das an seinem eigenen Leib spüren. Er löste nämlich nach seiner Thronbesteigung die Verlobung seiner Tochter Beatrix mit dem bayrischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach auf, um sie mit seinem langjährigen Thronkonkurrenten, Kaiser Otto IV., zu vermählen. Der ehemalige Schwiegersohn aber fühlte sich durch diesen Vertragsbruch so verletzt, daß er Philipp von Schwaben daraufhin ermordete.

Die Untreue der Braut, z.B. der Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann, war dagegen nach langobardischem Recht ein todeswürdiges Verbrechen und wurde wie der Ehebruch bestraft.

Wie in den höchsten Adelskreisen die Verlobungszeremonie aussah, kann am Beispiel der Verlobung Ottos IV. († 1218) mit Beatrix, der Tochter Philipps von Schwaben, in Würzburg im Mai 1209 dargestellt werden.

Beatrix wurde in feierlicher Begleitung von Bischöfen und Fürsten zu ihrem zukünftigen Gatten geführt. Dieser erhob sich von seinem Thron und verneigte sich vor ihr. Sie erwiderte die Verneigung. Dann reichte Otto IV. ihr vor allen Anwesenden als Zeugen den Ring und gab ihr den Verlobungskuß, der den Vertrag besiegelte. Nur nach diesem Verlobungskuß stand der Braut beim Tode ihres Verlobten die Hälfte des ihr zugedachten Brautschatzes zu.

Wegen des jungen Alters der Brautleute lagen die Verlobung und die Hochzeit im allgemeinen mehrere Jahre auseinander.

Die Hochzeit selbst setzte sich aus folgenden Rechtsakten zusammen: aus der Trauung, der Heimführung, der Beschreitung des Ehebettes und der Darreichung der Morgengabe. Der Begriff "Hochzeit" selbst wurde im Mittelalter für die hohen kirchlichen Feiertage verwandt und hatte nichts mit der heutigen Bedeutung zu tun. Da aber im Mittelalter zu Pfingsten, einem besonders hohen Kirchentag, mit Vorliebe geheiratet wurde, verschmolzen beide Handlungen zu diesem Begriff.

Die Trauung, die im allgemeinen am Morgen der Hochzeit vorgenommen wurde, war ein feierlicher, weltlicher, öffentlicher und durch Zeugen abgesicherter Rechtsakt. Die Verwandten traten in einem Kreis zusammen, in deren Mitte sich das junge Paar befand. Der Sippenälteste hatte das Brautpaar in der rechtmäßig vorgeschriebenen Weise zu befragen. Mit ihrem Jawort begab sich die Braut von der Muntgewalt ihres Vaters in die Muntgewalt ihres Gatten. Durch rechtsförmliche Handlungen wie z.B. durch einen Fußtritt oder durch das Ergreifen ihrer Hand machte der Bräutigam auch symbolisch deutlich, in wessen Munt sie sich von nun an befand.

Seit dem 4. Jh. wurde es üblich, daß der Priester dem Paar nach der Trauung noch den Segen erteilte.

Danach wurde die Braut in einem feierlichen Zug in das Haus ihres Mannes geführt (die Heimführung), in dem das Hochzeitsmahl stattfand und das Beilager unter Zeugen vollzogen wurde. Denn der Geschlechtsakt unter Zeugen ließ ihre Ehe erst rechtskräftig werden.

Nach dieser Hochzeitsnacht wurde der Frau die Morgengabe übergeben, durch die sie als rechtmäßige Ehefrau ausgezeichnet wurde.

Diese Morgengabe, die eine uralte germanische Sitte darstellte, bestand in der Frühzeit aus Rindern, gezäumten Pferden oder Waffen und später aus Ländereien, die auch zur Witwenversorgung dienten. Der Landgraf Ludwig IV. von Thüringen († 1227) hatte seiner Gemahlin Elisabeth († 1231) z.B. die Stadt Marburg an der Lahn als Morgengabe überreicht.

Starb die Ehefrau vor dem Mann und hinterließ sie keine Kinder, fiel diese Morgengabe wieder an die Sippe ihres Mannes zurück.

Der frisch angetraute Ehegatte erhielt am Hochzeitstag mit der Muntübertragung das Recht, über das eheliche Vermögen ohne jede Zustimmung seiner Frau zu verfügen. Er allein besaß das Scheidungsrecht und konnte seine Gemahlin verstoßen, verkaufen oder vor seinem Tode einem Freund oder einem Verwandten vermachen.

Die frisch angetraute Ehefrau dagegen war rechts- und handlungsunfähig und besaß nicht einmal die Verfügungsgewalt über ihre künftigen Kinder. Während man von ihr die absolute Treue erwartete, wurde sie von ihrem Gatten vielleicht schon in der ersten Nacht betrogen.

So verbrachte Kaiser Friedrich II. († 1250) bei seiner zweiten Heirat die Hochzeitsnacht nicht mit seiner neuen Gemahlin Jolanthe von Jerusalem, sondern mit deren Nichte oder Zofe.

Die Frauen dagegen mußten als Ehefrauen oder Verlobte schon beim Ansprechen oder Anschauen eines fremden Herrn mit der schlimmsten Eifersuchtswut ihrer Männer rechnen.

Maria von Brabant, eine Enkeltochter Philipps von Schwaben, wurde im Jahre 1254 mit dem Herzog Ludwig II. von Bayern († 1294) vermählt. Zwei Jahre später wurde sie von ihrem Gemahl ermordet.

"Diese Maria von Brabant lebte in jeglichem ihres Stands und Geschlechts würdig, der erste Schmuck eines Hofes, an dem sich so manche ehrenwerte Männer versammelten. Unter diesen zeichnete sich durch Tapferkeit und Gewandtheit in Worten und im Umgange aus, Ritter Rucho der Ottlinger. Mehrere Male spielte die Herzogin Schach mit ihm, was sein Zutrauen so erhöhte, daß er bat: sie möge ihn, gleich anderen ihrer näheren Diener, künftighin duzen und nicht mehr ihrzen, oder mit Ihr anreden. Die Herzogin aber schwieg und ließ es beim alten. Bald nachher zog ihr Gemahl ins Feld gen Augsburg und setzte sich so vielen Gefahren aus, daß Maria ihn, obgleich vergeblich, warnte. Da schrieb sie zu demselben Zweck ein zweites Mal an den Herzog und gleichzeitig an den Ritter: er möge mit Fleiß dahin wirken, daß ihr Gemahl das Feld verlasse; dann wolle sie ihm auch die Bitte gewähren, um welche er sie so oft gebeten habe. - Statt des ersten kam durch Verwechslung dieser letzte Brief in die Hände Ludwigs, welcher (durch Verleumdung wahrscheinlich doppelt aufgeregt) die ihm unklaren Worte sogleich aufs ärgste mißdeutete, in sinnloser Wut den Boten niederstieß und Tag und Nacht reitend unerwartet am Abend des 18. Januars 1256 in Donauwörth anlangte, wo sich seine Gemahlin und seine Schwester, die Königin Elisabeth, aufhielten. Beide empfingen ihn mit ungeheuchelter Freude, er aber rief seiner Gemahlin entgegen: sie sei eine Verbrecherin und müsse sterben! - Diese, fast betäubt von Schreck und Schmerz, bat, wo nicht um Beweise so schwerer Anklage, doch um Frist, damit sie ihre Unschuld dartun könne.

Allein weder ihre Bitten noch die dringende Fürsprache der Königin Elisabeth konnten den Herzog erweichen oder auch nur zur Besinnung bringen. Das Fräulein Eilika von Brennberg durchbohrte er - denn sie wisse um den Verrat - mit einem Messer; eine andere ließ er von der Mauer des Turms hinabstürzen, daß sie starb. Jetzo kam die Reihe an seine Gemahlin. Ungerührt durch die steigende Wehklage, durch ihr und der anderen lautes Flehen, durch die Schönheit der Unschuld, die sonst jedes schlafende Gewissen aufweckenden Mordtaten, beharrte er bei der satanischen Verstocktheit, welche er Gerechtigkeit nannte: Maria mußte niederknien und ein Wächter sie enthaupten! - Noch in dieser Nacht der Greuel und des Jammers, so erzählt man, erhielt der Herzog überzeugende Beweise von der Unschuld seiner Gemahlin: - da brach seine angebliche Kraft zusammen, und Mark und Bein wurden ihm durch Gewissensangst so furchtbar erschüttert, daß der erst siebenundzwanzigjährige braungelockte Mann am anderen Morgen, zum neuen Entsetzen aller, mit ganz ergrautem Haupthaare hervorging. – Als Zeichen der Reue erbaute Herzog Ludwig hierauf das Kloster Fürstenfeld." (in: Josef Mühlberger, Lebensweg und Schicksale der staufischen Frauen, Esslingen 1977, S. 192 - 194)

In den höfischen Kreisen wurde auch oft die Geschichte von einer Dame mit dem Namen Jeschute erzählt, die von ihrem Mann, dem Herzog Orilus, wegen Verdacht auf Untreue mit Entbehrungen solange gequält wurde, bis sie ganz ausgemergelt war und ihr Kleid nur noch in Form von Fetzen am Leib hing. "Als sich nach einem Jahr herausstellte, daß der Verdacht unbegründet gewesen war, mußte Orilus zwar zugestehen, daß sein Verhalten falsch war ...; aber für seine Frau hatte er kein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns. Und auch der Erzähler tadelte nur den Fehler, den Orilus gemacht hatte, nicht aber sein Vorgehen." ( in: Joachim Bumke, ebenda, 2. Bd., S. 466)

Aus Eifersucht wurden sogar heilige Männer wie z.B. der Heilige Julian zu Mördern.

"Es gab (...) einen Julian, der unwissentlich seine beiden Eltern tötete. Eines Tages, als dieser Julian, ein Jüngling von edler Herkunft, der Jagd nachging und einen Hirsch verfolgte, den er aufgespürt hatte, wandte der Hirsch sich plötzlich um, neigte sein göttliches Haupt ihm zu und sagte: ‚Du verfolgst mich, der du an deinem Vater und deiner Mutter zum Mörder werden wirst?‘

Als jener das hörte, erschrak er zutiefst. Und damit nicht geschehe, was er von dem Hirsch gehört hatte, ließ er alles zurück und ging heimlich fort. Er gelangte in einen weit entlegenen Teil des Landes und verdingte sich dort bei einem Fürsten, und er erwies sich überall, sowohl im Krieg wie im Frieden, als so tatkräftig, daß der Fürst ihn zum Ritter schlug und ihm die Herrin einer Burg, eine Witwe, zur Frau gab. Die Burg erhielt er als Mitgift.

Julians Eltern aber, schwer leidend unter dem Verlust ihres Sohnes Julian, durchstreiften währenddessen das Land in jeder Richtung und forschten voller Sorge nach ihrem Sohn: endlich kamen sie zu der Burg, deren Herr Julian war. Zufällig war er an jenem Tag nicht dort. Doch als Julians Frau sie erblickt und gefragt hatte, wer sie seien, und jene ihr alles, was ihrem Sohn geschehen war, erzählt hatten, erkannte sie, daß es die Eltern ihres Mannes waren, denn sie hatte diese Dinge wohl oft von ihm gehört. Sie nahm sie daher freundlich bei sich auf, und der Liebe wegen, die sie für ihren Mann empfand, überließ sie ihnen ihr Bett und bereitete sich selber ein Lager in einem anderen Zimmer. Am Morgen stand die Herrin auf und ging zur Kirche, und siehe: Am Morgen kam auch Julian und trat ins Schlafzimmer, um seine Frau zu wecken. Doch als er zwei fand, die dort schliefen, der eine neben dem anderen, schwieg er still, zog sein Schwert und tötete beide, den einen neben dem anderen – seine Frau, wie er meinte, neben ihrem Liebhaber.

Ins Freie tretend sah er seine Frau, die eben von der Kirche zurück nach Hause kam, und fragte sie verwundert, wer denn die beiden seien, die in seinem Bett schliefen? Sie antwortete: ‚Es sind Eure Eltern, die lange Zeit nach Euch gesucht haben und die ich in Eurem Zimmer untergebracht habe.‘ Als er das hörte, stockte ihm der Atem. Bitterlich begann er zu weinen ..." (in: Jacobus a Voragine, Legenden von Heiligen und Märtyrern, München 1988, S. 37/39).

Im Jahr 1175 überraschte der Graf Philipp von Flandern († 1191) seine Gemahlin, Elisabeth von Vermendois († 1182) mit ihrem Geliebten, dem Ritter Gautier de Fontaines. Während Elisabeth Glück hatte und von der Wut ihres Gatten verschont blieb, mußte ihr Liebhaber nicht nur Knüttel- und Schwertschläge über sich ergehen lassen, sondern wurde anschließend noch solange mit dem Kopf nach unten über eine Kloake aufgehängt, bis der Tod eintrat.

Manchmal kamen die Liebhaber auch lebendig davon. Nur ihre Geschlechtsteile fehlten ihnen fortan.

Die Tötung der Ehebrecherin in flagranti wurde selbst noch im 16. Jh. in der Bamberger Halsgerichtsordnung strafmildernd berücksichtigt. Man konnte bei dem Jähzorn der Ehemänner damals froh sein, wenn man nur ab und zu von ihnen gezüchtigt wurde. Wie hieß es schließlich in einer Flugschrift zur kirchlich-religiösen Unterrichtung gegen Ende des Mittelalters: "Bei einem ausgesprochen bösen Weibe solle der Mann zunächst versuchen, mit freundlichen Worten und Ermahnungen eine Besserung zu erreichen. Fruchte dies nicht, sei körperliche Züchtigung nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. ‚Und hilft das nichts, wenn du das oft getan hast, so schlag sie, besonders morgens im Bett mit einer Gerte. Und will die Gerte nichts helfen, so besorge dir einen Prügel vom Mispelbaum. Damit gerb ihr die Lende.‘" (in: Georg Denzler, ebenda, S. 259)

Auch als Witwe kam die Frau nicht in den Genuß, selbst über ihr weiteres Leben bestimmen zu können. Denn sie gelangte wieder in die Muntgewalt des Vaters, des Bruders oder des Sohnes und wurde erneut auf dem Heiratsmarkt angeboten.

So geschah es, daß junge Erbinnen von Ehemann zu Ehemann weitergegeben wurden, bevor sie überhaupt das heiratsfähige Alter erreicht hatten.

Eine Tochter des westfränkischen Kaisers Karl II. mit dem Beinamen der Kahle († 877) z.B. wurde im Juli 856 als 12- oder 13-jährige mit dem über 50-jährigen Oberkönig der Angelsachsen, Ethelwulf, verlobt. Kurz nach ihrer Hochzeit im Jahre 858 starb Ethelwulf bereits. Obwohl Judith, so hieß die junge Prinzessin, als Witwe nach fränkischem Recht nicht mehr der Muntgewalt des Vaters unterstand, bestimmte dieser sie zur Frau ihres ältesten Stiefsohnes Ethelbald. Im Jahre 860 wurde Judith aber schon wieder Witwe. Während ihr Vater erneut Ausschau nach einem passenden Schwiegersohn hielt, verliebte Judith sich in einen Ritter namens Balduin. Zusammen mit ihm floh sie im Jahre 862 zum lothringischen Hof, an dem die beiden wahrscheinlich auch getraut wurden. Karl der Kahle geriet außer sich vor Wut und forderte in einem Hofgericht, daß Balduin wegen Frauenraubs und Untreue verurteilt werde und man dessen Lehen einziehe. Zusätzlich bewirkte er mit Hilfe der Kirche, daß Balduin und Judith für exkommuniziert erklärt wurden.

Die Liebenden jedoch gaben nicht auf, sondern flohen zum Papst, der schließlich zwischen den Fronten vermitteln und für ein Happy-End sorgen konnte.

Einige adlige Damen ließen sich eine zweite Verheiratung wider ihres Willens von vornherein nicht gefallen. Gerberga (geboren um 915), eine Schwester von Otto dem Großen, wurde mit 25 Jahren Witwe und wählte sich ihren nächsten Gatten, den sieben Jahre jüngeren französischen König Ludwig IV., gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Bruders selbst aus. Otto, der seine Schwester aus politischen Gründen mit dem neuen Bayernherzog Berthold vermählen wollte, wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.


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