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Merowingische Königinnen

Vorwort zu den Merowingerinnen - Die unterschiedlichen Eheformen, der wachsende Einfluss der katholischen Kirche und die Brutalität der männlichen Gesellschaft in ihrer Zeit

Wenn wir die Biografien der Königinnen und Kaiserinnen aus dem Früh- und Hochmittelalter lesen, dürfen wir nie vergessen, wer diese verfasst hat. Es waren Männer, genauer gesagt die Geistlichen der katholischen Kirche, die zu den wenigen Menschen ihrer Zeit gehörten, die lesen und schreiben konnten. Wie die katholische Kirche bzw. ihre Vertreter über das weibliche Geschlecht dachten, ist bereits hinreichend im „Alltag im Mittelalter oder in der Alltagsgeschichte des Mittelalters“ beschrieben worden. Es wundert daher nicht, dass uns die Geistlichen des Früh- und Hochmittelalters in lobenden Worten nur von den Frauen berichten, die ihrer Organisation, nämlich der katholischen Kirche, dank ihrer hohen weltlichen Position große Dienste geleistet hatten. Und in der Tat waren die Damen des hohen Adels die großen Förderer der katholischen Kirche, während deren Ehemänner den Vertretern Gottes auf Erden zuweilen sehr wenig Respekt zeigten: „… nachdem zuerst im Jahr 858 durch den Erzbischof Hinkmar von Reims die Legende erzählt wurde, das Grab Karl Martells in St. Denis sei leer und der erste Karolinger müsse in der Hölle seine Übergriffe auf das Kirchengut büßen.“ (in: Karl Rudolf Schnith (Hg.): Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern – Von den Karolingern zu den Staufern. Graz, Wien und Köln 1990, S. 15).

Einer der bedeutendsten und berühmtesten Geschichtsschreiber des Frühmittelalters war Gregor oder Georgius Florentius von Tours, der am 30. November 538 oder 539 in Clermont-Ferrand das Licht der Welt erblickte und vermutlich am 17. November 594 starb. Er stammte aus einer vornehmen Familie des romanischen Senatorenadels und stieg im Jahr 573 zum Bischof von Tours auf. Für uns Historiker ist er besonders wichtig, da er Augenzeuge des fränkischen Bruderkrieges zwischen den Merowingern Sigibert I. († 575) und Chilperich I. († 584) gewesen ist. In diesem Bruderkrieg befand er sich persönlich aufseiten von Sigibert I. Man verdächtigte ihn sogar, gegen Chilperich I. und dessen Gattin Fredegunde († 597) konspiriert zu haben. Aber von diesem Verdacht konnte er sich befreien. Seine Abneigung gegenüber Chilperich I. blieb jedoch bestehen und darf nicht vergessen werden, wenn wir sein gewaltiges Werk „Zehn Bücher Geschichten oder Decem Libri Historiarum“ lesen. Es stellt die wichtigste Quelle für die merowingische Geschichte des 6. Jahrhunderts dar. Sie ist selbstverständlich nicht vollkommen objektiv. Wer die katholische Kirche reichlich beschenkte und wer zuvorkommend und großzügig zu ihren Vertretern auf Erden war wie zum Beispiel der merowingische König Theudebert I. († 547), wird in Gregor von Tours’ Geschichtswerk auch mit freundlichen Worten bedacht: „Als er [Theudebert I.] aber seine Herrschaft gesichert sah, zeigte er sich als ein großer und durch alle Gütigkeit ausgezeichneter Fürst. Denn er regierte sein Reich mit Gerechtigkeit, ehrte die Bischöfe, beschenkte die Kirchen, half den Armen und erwies Vielen viele Wohltaten aus einem frommen und liebevollen Herzen. Alle Abgaben, welche dem königlichen Schatz aus den Kirchen zu Clermont bisher gegeben wurden, erließ er ihnen in Gnaden.“ (in: Decem Libri Historiarum III, 25, in: Gregor von Tours: Zehn Bücher Geschichten, Erster Band: Buch 1-5 (Auf Grund der Übersetzung W. Giesebrechts neubearbeitet von Rudolf Buchner), Darmstadt 1986, S. 155). Wenn Gregor von Tours jemanden persönlich nicht ausstehen konnte, war er jederzeit bereit, eine böse Lüge zu erfinden, wie zum Beispiel bei Amalasuntha († 535), der Tochter des ostgotischen Königs Theoderich des Großen. Als Arianerin, also als Anhängerin einer anderen christlichen Sekte, die nicht an die Dreifaltigkeit, sondern nur an den Gott Vater glaubte, hatte sie sich den Hass von Gregor von Tours zugezogen. So erzählt er uns, dass jene sich mit einem Knecht mit dem Namen Traguila eingelassen und schließlich die sie deshalb tadelnde Mutter vergiftet hätte (in: Decem Libri Historiarum III, 31, in: Gregor von Tours, ebenda, S. 183/185). Diese Behauptung von ihm dürfen wir getrost als reine, böswillige Erfindung abtun.

Die persönlichen Gefühle des Autoren, seine Vorlieben und Abneigungen, und seine Stellung als Vertreter der katholischen Kirche bestimmten seine Ansichtsweise und Arbeitsmethode. So gibt es für Gregor von Tours auch nur eine einzige Form der Eheschließung, die er akzeptiert: die Muntehe.

Über die unterschiedlichen Eheformen im Mittelalter ist bereits ebenfalls ausführlich im „Alltag im Mittelalter bzw. der Alltagsgeschichte des Mittelalters“ berichtet worden, siehe:

  1. die Muntehe
  2. die Friedelehe
  3. die Kebsehe
  4. die Raubehe und die Entführungsehe
  5. die Munt- und Friedelehen der Merowinger und Karolinger
  6. die Ehen der Bürger
  7. die Ehen der Unfreien
  8. die ideale Eheschließung und Eheform aus kirchlicher Sicht
    und
  9. die Scheidung

Gregor von Tours akzeptierte von diesen Eheformen wie alle katholischen Geistlichen seiner Zeit nur die Muntehe, denn ein Mann durfte in dieser Eheform nur eine einzige Muntgattin haben und die Muntehe war zudem unauflösbar. Sämtliche Frauen, die eine eheliche Gemeinschaft mit einem Mann in einer anderen Eheform eingegangen waren, wurden von ihm abwertend als „Konkubinen“ bezeichnet. Eine Konkubine ist jedoch definitionsgemäß eine Frau, die eine außereheliche sexuelle Beziehung mit einem Mann führt. Normalerweise werden diese Frauen, die durch dieses schwere sexuelle Vergehen ihre Ehre für alle Zeiten verloren hatten, „Prostituierte“ bzw. „Huren“ genannt. Der nicht so diffamierende Begriff für diese Art von Frauen war „Konkubine“, der in der Geschichte meistens für Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes benutzt wurde, die eine außereheliche sexuelle Beziehung mit einem gesellschaftlich hochstehenden Mann für einen gewissen Zeitraum eingegangen waren.

Die außereheliche Sexualität, die zu allen Zeiten praktiziert wurde, die jedoch nur bei den Frauen den gesellschaftlichen Absturz zur Folge haben konnte, war in jeder Zivilisation der Antike, des Mittelalters, ja, bis ins 20. Jahrhundert hinein verpönt gewesen. Das Konkubinat stellt daher keine rechtliche Verbindung zwischen einer Frau und einem Mann dar. Es ist also völliger Unsinn und typisch aus der Sicht eines Mannes, wenn der Historiker Hägermann behauptet, das Konkubinat gehörte „zu den weithin tolerierten Formen außerehelicher Sexualität“. (in: Georg Bönisch: Der Riese mit der Fistelstimme, S. 56-63, in: Der Spiegel ‒ Geschichte 6/2012: Karl der Große ‒ Der mächtigste Kaiser des Mittelalters, S. 62). Das Konkubinat wurde von der katholischen Kirche wegen seiner Praxis der außerehelichen Sexualität verdammt. Für Frauen, die durch ihre attraktive äußere Erscheinung das Sexualopfer bzw. die Konkubine eines mächtigen Mannes geworden waren, hatte es nie eine rechtliche Institution gegeben, die sie vor dem sexuellen Missbrauch dieses Adligen geschützt hätte.

Obwohl in diesen außerehelichen sexuellen Beziehungen in der überwiegenden Mehrheit der Mann der Initiator war ‒ die Frauen hatten einfach zu viel zu verlieren ‒, wurden im Mittelalter in diesen unerlaubten Verhältnissen die Frauen als die Hauptschuldigen betrachtet. So gab es unter Kaiser Ludwig dem Frommen († 840) für den kaiserlichen Hof in Aachen folgende Anordnung: „Jeglicher Mann, bei dem gelüstige Fräulein angetroffen werden, habe sie auf den Schultern zum Markt zu tragen, wo sie öffentlich die Peitsche spüren werden. Falls er sich weigert, wird er mit ihnen ausgepeitscht.“ (in: Mathias Schreiber: Jäger des Verderbens S. 122-129, in: Der Spiegel ‒ Geschichte 6/2012: Karl der Große ‒ Der mächtigste Kaiser des Mittelalters, S. 126).

Als Mann musste man schon ein sexuell so ausschweifendes Leben wie Karl der Große geführt haben, dass die Geistlichen nach seinem Tod ‒ selbstverständlich waren sie zu schlau und zu feige, es schon zu seinen Lebzeiten zu tun ‒ die Verdammung über ihn aussprachen: „… die Jenseitsvision des Reichenauer Mönchs Wetti (aus dem Jahre 824) weiß zu berichten, daß der Kaiser trotz seiner großen Verdienste um die Verteidigung des Glaubens und die Leitung der Kirche wegen seines Lebenswandels [seines lebhaften Sexuallebens] unter den Verdammten schmachte.“ (in: Karl Rudolf Schnith (Hg.): Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern – Von den Karolingern zu den Staufern, ebenda, S. 38). Die Heiligsprechung von Karl dem Großen konnte daher erst am 29. Dezember 1165 auf Bitten des Kaisers Friedrich Barbarossa und seines Kanzlers Rainald von Dassel, der gleichzeitig der Erzbischof von Köln war, vom kaiserlichen Gegenpapst Paschalis III. vorgenommen werden.

Gregor von Tours lehnte nicht nur alle Arianer ab, bei denen Jesus Christus nicht wesensgleich mit Gott, seinem Vater, gesetzt wurde. Er hatte auch kein Verständnis für die in seinem Zeitalter immer noch existierende Ehe seiner Kollegen, der anderen katholischen Geistlichen, und die unterschiedlichen Eheformen der Germanen. Die Gattinnen seiner Kollegen, auch wenn diese für die Kirche gute Werke getan hatten, blieben im Gegensatz zu den merowingischen Königinnen unbenannt, wie zum Beispiel die Gattin des Bischofs Namatius von Clermont-Ferrand († um 462): “The wife of Namatius, bishop of Clermont-Ferrand, had built and decorated a church for her city … Gregory [of Tours] wrote about the projects of Namatius and his unnamed wife. … The bishop’s wife also built a shrine. … she sponsored a little basilica for Saint Stephen in the suburbs … There she brought history back to life with frescoes based on her reading of ‘stories of events long ago.’” (in: Lisa M. Bitel: Landscape with two Saints – How Genovefa of Paris and Brigit of Kildare built Christianity in Barbarian Europe. Oxford 2009, pp. 81-82).

Bei der ursprünglichen Eheschließung der Germanen spielte die katholische Kirche keine Rolle. Die Merowinger waren außerdem polygam, das heißt, sie durften mehrere Gattinnen zur gleichen Zeit haben, und die Ehen waren leicht wieder aufzulösen. Durch die Übernahme von römischen Rechten und Gesetzen und die Einführung des katholischen Christentums in Gallien wurde im 5. Jahrhundert die neue Eheform, die Muntehe, eingeführt. Es durfte seit dieser Zeit nur noch eine Muntfrau geben, die ihrem Gatten in der Form der Muntehe übergeben wurde. Anfänglich konnte aber auch diese Ehe, falls sich die Partner nicht mehr verstanden, für aufgelöst erklärt werden. Neben dieser Gattin aus der Muntehe war dem Merowinger jedoch erlaubt, noch mehrere Friedel- und Kebsfrauen zu besitzen. Übrigens waren sämtliche Söhne, ob sie aus einer Muntehe oder einer Friedel- oder Kebsehe stammten, gleichberechtigte Erben ihres Vaters. Dies änderte sich erst allmählich unter den Karolingern.

Leider ist die Friedelehe mittlerweile bei einigen Historikern „als quellenfernes Konstrukt der 1930er Jahre“ verworfen worden wie z. B. bei Martina Hartmann (siehe: Martina Hartmann: Die Königin im frühen Mittelalter. Stuttgart 2009, S. 91), da sie das Konzept dieser spezifischen Eheform nicht verstanden haben. Sehr häufig zitieren sie hierbei den Historiker Eugen Ewig: „[Eugen] Ewig wunderte sich sogar darüber, dass Gregor von Tours die Friedelehe nicht erwähnte.“ (in: Martina Hartmann: Die Königin im frühen Mittelalter, ebenda, S. 145), was nur zu deutlich zeigt, dass einige Historiker, obwohl sie sich ihr ganzes Leben lang nur mit dem Frühmittelalter und den Merowingern und den Karolingern beschäftigt haben, doch nicht alles verstanden haben. Die Geistlichen im Frühmittelalter, zu denen selbstverständlich der Bischof Gregor von Tours gehörte, akzeptierten nur eine Form der Ehe: die Munthehe, bei der die Ehe unauflösbar war: „ … bis dass der Tod uns scheidet.“ Alle anderen Eheformen wie die Friedel- und die Kebsehen, die die Polygamie und die Auflösbarkeit der Ehen erlaubten, wurden zu Konkubinaten degradiert. Warum sollte Gregor von Tours in seinen Werken von der „Friedelehe“ berichten, wenn er sie vollkommen ablehnte und sie nicht als gültige Eheform betrachtete? Auch die Ehefrauen seiner geistlichen Kollegen, die sich selbst noch im 6. Jahrhundert mit dem Titel „Gattinnen“ schmückten, beschrieb er im Allgemeinen abwertend als „Konkubinen“.

Dass es sich bei den Frauen, die den merowingischen Königen und den ersten Karolingern ihre Kinder schenkten, nicht um Konkubinen, also einfache Geliebte oder Beischläferinnen, handelte, ist wohl selbstverständlich. Frauen mit diesem Makel, die sich des außerehelichen Geschlechtsverkehres hingegeben hatten, hätten es nie geschafft, von den geistlichen Chronisten der Merowinger und Karolinger in ihren Werken für alle Zeiten verewigt zu werden. Martina Hartmann beanstandete in einem Fall selbst, dass eine dieser Frauen, Chalpaida oder Alpais, die zweite Gattin von Pippin dem Mittleren († 714), nur mit der Bezeichnung „Konkubine“ versehen wurde, da es sich bei ihr doch eindeutig um eine Gattin des Letzteren handeln müsse, denn zumindest in ihrem Fall haben andere zeitgenössische historische Quellen wie der „Liber Historiae Francorum“ und die Fredegar Fortsetzung für sie den Begriff „alia uxor“ [= die andere Ehefrau] verwendet (in: Martina Hartmann: Die Königin im frühen Mittelalter, S. 92).

Auch die zweite Gattin von Karl Martell († 741), Swanahilde, bei der es sich um eine Verwandte des bayerischen Herzogs Odilo handelte, wurde als „concubina“ bezeichnet. Bei ihr finden wir jedoch in zeitgenössischen historischen Quellen ebenfalls den Begriff „Gattin“, nämlich „improba mulier“ (= schlechte/unredliche Ehefrau). Im St. Galler Verbrüderungsbuch wird sie sogar Königin bzw. „regina“ bezeichnet. Auch in ihrem Fall müssen wir dank der noch vorhandenen zeitgenössischen Quellen davon ausgehen, dass sie sich als Verwandte eines mächtigen Herzogs nicht der freien bzw. außerehelichen Liebe hingegeben hatte, also nur eine der Konkubinen von Karl Martell war. Dass ein adliger Vater jemals erlaubte, dass seine Tochter in einem Konkubinat lebte, ist bei den Keuschheitsvorschriften, deren Einhaltung von allen Frauen dieser Zeit gefordert wurde, in der Tat auszuschließen. Da Swanahilde trotz ihrer hohen Abstammung „improba mulier“, also Friedelfrau, bezeichnet wurde, muss die erste Gattin von Karl Martell, Chrodtrud, mit der Letzterer eine Muntehe eingegangen war, zum Zeitpunkt seiner Heirat mit Swanahilde noch gelebt haben. Andererseits wäre Karl Martell mit Swanahilde mit Sicherheit eine Muntehe eingegangen. Aber es gibt eben stets nur eine „Muntfrau“. Gerade an diesen zwei genannten Beispielen von Chalpaida und Swanahilde kann gezeigt werden, dass es sich bei sämtlichen sogenannten „Konkubinen“ der merowingischen Könige und der ersten Generationen der Karolinger um Friedel- oder Kebsfrauen gehandelt hat, die die geistlichen Geschichtsschreiber des 5. bis 8. Jahrhunderts aus ideologischen Gründen nicht als Gattinnen dieser Herrscher anerkannten. Wir Historiker von heute sollten uns daher doch nicht zum Werkzeug dieser Geistlichen und der damaligen Ansichtsweise der katholischen Kirche machen, indem wir deren Propaganda für die angeblich einzig richtige Ehe fortsetzen: “The Church … unforgivingly compared wives married in accordance with Friedelehe to vulgar concubines.” (in: Alessandro Barbero: Charlemagne – Father of a Continent. Berkeley, Los Angeles and London 2004, p. 130).

Die bei den Germanen im Frühmittelalter existierenden unterschiedlichen Eheformen wurden von dem Rechtshistoriker Herbert Meyer im Jahr 1926 „Muntehe“, „Friedelehe“ und „Kebsehe“ bezeichnet. Wie die historischen Quellen des Frühmittelalters zeigen, gab es in der Tat neben der Muntehe noch zwei weitere Eheformen. Hohe adlige Damen als Konkubinen von Königen und Kaisern zu bezeichnen, wenn sie mit diesen Herren eine Friedelehe eingegangen waren, wie es Martina Hartmann in ihren Werken tut, zeigt nur deutlich, dass Letztere sich nicht gründlich genug mit der Sittengeschichte und dem strengen Keuschheitsgebot des weiblichen Geschlechtes im gesamten Mittelalter beschäftigt hat. Die Friedelehe und die Kebsehe haben nichts mit einem Konkubinat zu tun. Die Bezeichnung „Kebsehe“ hatte der Rechtshistoriker Herbert Meyer übrigens indirekt den zeitgenössischen Quellen entnommen, in denen die Frauen einer dieser beiden germanischen Eheformen, bei denen es sich im Prinzip um Leibeigene handelte, „Kebsweiber“ genannt wurden: „Hierauf [im Jahr 629] kehrte er [Dagobert I.] nach Neustrien zurück und beschloß, seinen bleibenden Sitz da zu nehmen, wo auch sein Vater Chlothar [II.] so gern verweilt hatte. Aber er vergaß alle Gerechtigkeit, die er vormals geliebt hatte, in seiner Gier nach dem Gut der Kirchen und der Unterthanen und suchte mit erfinderischer Habsucht auf alle Weise neue Schätze anzusammeln. Der Wollust war er ganz unmäßig ergeben, er hatte drei Königinnen und sehr viele Kebsweiber. Die Königinnen hießen Nanthilde [ein sächsisches Mädchen aus dem Dienstpersonal], Wulfgunde und Berchild; der Kebsweiber aber waren zu viel, um ihre Namen in dieser Chronik aufzuführen.“ (in: Die Chronik von Fredegar, 60). Der merowingische König Dagobert I. († 639) war übrigens der letzte Herrscher seiner Dynastie, der in Polygamie lebte.

Die Friedelehe war die germanische Eheform, die im Allgemeinen bei Heiraten mit Frauen aus der Oberschicht gewählt wurde: “When Charles [Karl der Große] was born, his mother Bertrada, was joined to King Pepin not by a public marriage [= Muntehe] but by a Friedelehe private contract. She only became his wife in the complete sense [im Sinne der katholischen Kirche, also eine Muntehe] a few years later. … Charles’s [Karl des Großen] first union, like his father’s, was not with a wife married in public with a formal commitment [= Muntehe] but with a Friedelfrau called Himiltrude. … Pope Stephen wrote a letter referring to this marriage ... as ‘a legitimate union’ (in: Codex Carolinus, in MGH, Epistolae Karolini aevi, 3:476-653) and therefore indissoluble. In other words, Himiltrude was Charles’s wife, just as Bertrada had been Pepin’s wife, and when … she gave him a son, the child was baptized with his grandfather’s name, Pepin, demonstrating that Charles considered him his rightful heir [obwohl er in einer Friedel- und nicht in einer Muntehe geboren wurde].” (in: Alessandro Barbero: Charlemagne – Father of a Continent, id., pp. 132 – 133).

Sollte sich jedoch eine Dame aus diesen hohen Kreisen wie eine Konkubine verhalten haben, das heißt, sie ging eine sexuelle Beziehung mit einem Mann ein, ohne mit ihm verheiratet gewesen zu sein, dann blieb dieser Vorfall noch viele Jahre nach ihrem Tod als Skandal in Erinnerung. So erging es zum Beispiel Chiltrud († 754), der Tochter von Karl Martell († 741), die sich um 740 in den Onkel ihrer Stiefmutter Swanahilde, den Herzog Odilo von Bayern († 748), verliebt hatte, der zu dieser Zeit aus seiner Herrschaft vertrieben worden war und bei ihrem Vater lebte. Aus ihrer sexuellen Beziehung mit ihm ging noch kurz vor dem Tod ihres Vaters im Jahr 741 ein unehelich geborener Sohn, Tassilo III. († nach 796), hervor. Nach dem Tod ihres Vaters begab Chiltrud sich mit ihrem Sohn nach Bayern und heiratete ihren Geliebten. Vermutlich geschah dies ohne die Zustimmung ihrer Brüder Karlmann und Pippin des Kleinen. Es wird sich daher in ihrem Fall um eine Friedelehe gehandelt haben. Als im Jahr 748 ihr Gatte starb, regierte sie dessen Reich als Regentin ihres noch unmündigen Sohnes bis zu ihrem eigenen Tode im Jahre 754. An ihre skandalöse außereheliche sexuelle Beziehung erinnerte man sich noch in der Zeit ihres Großneffen Ludwig des Frommen († 840).

Sämtliche Frauen, deren Leben in den folgenden Biografien beschrieben wird und die die Gattinnen von merowingischen Königen waren, lebten in einer Zeit, in der die Gewaltbereitschaft sehr hoch war. Die Merowinger, die seit dem 4. Jahrhundert zu den führenden fränkischen Fürstengeschlechtern gehörten, stellten keine Ausnahme dar. Sie waren wie die meisten ihrer männlichen Zeitgenossen brutal, grausam, skrupellos, machtsüchtig und rücksichtslos. So lesen wir zum Beispiel ‒ stellvertretend für die Männer seiner Zeit ‒ über den gotischen König Chintasind in Spanien Folgendes: „Er [Chintasind] befestigte seine Herrschaft [im Jahr 642] in ganz Spanien: denn da ihm die Krankheit der Gothen, die Sucht nemlich ihre Könige zu entthronen, sehr wohl bekannt war, weil er selbst öfters dabei geholfen hatte, so ließ er alle, die er bei der Absetzung des früheren Königs [Tulga] als an diesem Übel leidend erkannt hatte, einzeln umbringen, andere verbannte er und gab ihre Weiber und Töchter sammt dem Vermögen seinen Getreuen. Es sollen, um jenem Übel zu steuern, 200 vornehme Gothen und 500 aus dem mittleren Stande ermordet worden sein. Chintasind hörte nicht auf, alle die ihm verdächtig waren mit dem Schwert umbringen zu lassen, bis er sich überzeugt hatte, daß jene Krankheit der Gothen ausgerottet sei. Die Gothen aber so von Chintasind unterjocht wagten keine Verschwörung, wie sie es von den früheren Königen her gewohnt waren, gegen ihn anzuzetteln. Als Chintasind hoch betagt war, setzte er seinen Sohn Richiswind im ganzen Reich als König ein. Er selbst that Buße, gab reichliche Almosen von seinem Vermögen und starb im hohen Alter, wie man sagt im neunzigsten Jahre [649].“ (in: Aus der Chronik Fredegars, von Otto Abel, Berlin 1849, S. 82).

Gregor von Tours berichtet uns auch über eine kriegerische Auseinandersetzung der Franken in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, zu denen auch die Merowinger gehörten, und den Römern im Kohlenwalde, einem Teil des Ardennerwaldes, der sich von der Sambre in der Gegend von Thuin nordwestlich bis gegen die Schelde erstreckte, die er dem dritten Buch des Geschichtswerkes von Sulpicius Alexander entnommen hatte. Viele Franken fanden in dieser Schlacht den Tod. Der römische Heermeister Quintinus beschloss nach diesem militärischen Erfolg, die Franken in ihrem eigenen Land, jenseits des Rheines zu bekämpfen. Er zog mit seinem Heer „bei der Feste Neuß über den Rhein, und als er zwei Tagesmärsche vom Fluß entfernt war, stieß er auf Häuser und große Ortschaften, die aber von ihren Bewohnern verlassen waren. Denn die Franken hatten, gleich als ob sie eine Begegnung mit dem Feinde fürchteten, sich tief in das Waldgebirge zurückgezogen und am Rande der Wälder Verhaue angelegt. Die Soldaten steckten also alle Häuser in Brand, ‒ denn feige Dummheit hielt es für die Vollendung des Sieges, gegen Häuser zu wüten – und brachten dann eine sorgenvolle Nacht unter der Last der Waffen zu. Bei Tagesanbruch aber rückten sie unter Anführung des Quintinus in das Waldgebirge ein, gegen Mittag gerieten sie auf Irrwege und zogen hin und her, ohne belästigt zu werden. Endlich, als sie alles von gewaltigen Hecken ringsum dicht umschlossen fanden, wollten sie in sumpfige Ebenen, die unmittelbar an die Wälder stießen, sich hinabziehen; da zeigten sich ihnen hier und da Feinde, die zusammen hinter Baumstämmen oder Verhauen stehend, von dort, gleichwie von Turmzinnen, Pfeile wie aus Wurfmaschinen ausschütteten; die Pfeile aber waren in den Saft giftiger Kräuter getaucht, so daß auch auf Wunden, die nur die Haut ritzten und nur ungefährliche Stellen verletzten, doch unausbleiblich der Tod folgte. Darauf umringte eine größere Anzahl der Feinde das Heer, und mit Hast stürzte es sich nun in die offenen Ebenen, welche die Franken noch freigelassen hatten. Hier versanken zuerst die Reiter in den Morast, und da sich die Körper von Mensch und Tier nicht lösen konnten, erstickten sie sich gegenseitig bei ihrem Untergang. Aber auch die Fußsoldaten, welche nicht die Last der Pferde niederdrückte, gerieten in den Schlamm und zogen nur schwer die Füße wieder heraus; sie verbargen sich daher bald zitternd wieder in den Wäldern, aus denen sie sich kurz vorher mit Mühe herausgerettet hatten. So lösten sich die Reihen und die Legionen wurden niedergehauen. Heraclius, der Anführer der Jovianer [so hieß die Legion nach dem Zunamen Jovius des Kaisers Diocletian] und fast alle Befehlshaber fielen, nur wenigen gewährten die Nacht oder die Schlupfwinkel der Wälder eine sichere Zufluchtsstätte.“ (in: Decem Libri Historiarum II, 9, S. 83/85).


als Buch
Buch Cover: Der Alltag im Mittelalter

Der Alltag im Mittelalter 352 Seiten, mit 156 Bildern, ISBN 3-8334-4354-5, 2., überarbeitete Auflage 2006, € 23,90

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