Sophie Charlotte "besaß den Ruf, eine der intelligentesten und schönsten Frauen ihrer Zeit zu sein. Mit ihrem lebhaften Naturell geriet sie allerdings oft in Gegensatz zu ihrem bedächtigeren, nüchternen und frommen Ehemann. Sie war fröhlich und liebte die Musik. Sie sang und tanzte für ihr Leben gern und ging sehr oft allein auf Bälle und Maskeraden. So kam es häufig vor, daß sie zu Bett ging, wenn der König aufstand, und um neun soupierte, wenn Friedrich sich niederlegte. Nicht immer ertrug er die getrennte Lebensweise mit Gelassenheit. Als er Kenntnis davon erhielt, daß sie an einer wilden Maskerade in Hannover teilgenommen hatte, zürnte er fast ein Jahr lang mit ihr. Es scheint, daß sie sich am glücklichsten bei ihrer Mutter in Hannover gefühlt hat oder in ihrem Schloß Lützenburg bei Berlin ... Hier in Lützenburg [heute: das Schloss Charlottenburg] ... hielt die Kurfürstin-Königin hof mit ausgesuchten Gästen. Hier genoß sie, die selber einen unnachahmlichen Witz besaß, die Unterhaltung mit den Intellektuellen der damaligen Zeit, vor allem mit dem berühmten Philosophen Leibniz. Hier lauschte sie den Kompositionen ihrer Musikerfreunde. Viele Stunden des Tages verbrachte sie am Cembalo oder in ihrer großen Bibliothek. Es ist verständlich, daß ein so lebhafter Geist den Pomp und das steife Zeremoniell, mit dem Friedrich sich umgab, todlangweilig und erdrückend finden mußte ... Ihr Temperament und ihre ungezwungene Art, mit Höflingen umzugehen, trugen ihr an der Hofklatschbörse bald den Ruf ein, eine 'coquette' zu sein. Dabei war sie ihrem Mann bis zu ihrem Tod eine treue Ehefrau. Zweifellos existierte zwischen den beiden Eheleuten keine besonders enge Beziehung. Sophie Charlotte hatte nie die Liebe erwidert, die Friedrich ursprünglich für sie empfunden hatte, und mißbilligte darüber hinaus auch die Politik, die er betrieb. Die Einrichtung einer getrennten Hofhaltung für die Königin war nur das äußere Zeichen für ihre wachsende Entfremdung. ... trotz ihrer Verschiedenheit war Friedrich ihr sehr zugetan und beklagte bitter den Verlust seiner 'unvergleichlichen Königin', als sie 1705 unerwartet starb. Einige Tage vorher erst hatte sie ihm geschrieben, sie habe sich schrecklich erkältet. Wenige Tage später starb sie an Lungenentzündung. Am schwersten traf ihr Tod wohl ihre Mutter, die mit ihrer Tochter 'die größte Freude ihres Lebens' verlor. Schloß Lützenburg wurde in Charlottenburg umbenannt ... Ihre Schützlinge, Künstler und Gelehrten, wurden von Friedrich mit großzügigen Pensionen bedacht, was um so anerkennenswerter ist, als er manche von ihnen persönlich nicht mochte ... Ihr Tod führte jedoch zu keinem Wechsel innerhalb der Hofpolitik; denn Sophie Charlottes Versuche, in ihren letzten Jahren in die Politik einzugreifen, waren erfolglos geblieben." (in: Linda und Marsha Frey: Friedrich I. - Preußens erster König, ebenda, S. 78-80).
Im Jahr 1701 war der irische Philosoph John Toland (1670-1722) bei Sophie Charlotte auf Besuch, der davon überzeugt war, dass Gott nach der Schöpfung keinerlei Einfluss mehr auf die Geschicke der Erde genommen und dass er auch nicht mit der Menschheit gesprochen habe, "schon gar nicht in Form von Offenbarungen". Über Sophie Charlotte erzählt jener uns Folgendes: "Sophie Charlotte ist die schönste Fürstin ihrer Zeit, die von keiner anderen an Verstand, freier Rede, Annehmlichkeit der Unterhaltung und des Umgangs übertroffen wird. Sie ist sehr belesen und weiß mit den verschiedensten Leuten über die verschiedensten Dinge zu reden. Man bewundert ebenso sehr ihren durchdringenden und schnellen Geist wie die gründlichen Kenntnisse, die sie sich in der Philosophie erworben hat. Ja, ich muß bekennen, daß ich in meinem ganzen Leben niemanden getroffen habe, der es verstand, geschicktere Einwürfe zu machen und die Schwäche oder Stärke eines Arguments treffender zu beurteilen als sie. Ihre liebste Unterhaltung ist die Musik. Sie spielt das Klavier vollkommen, singt auch, und der berühmte Buononcini, einer der größten italienischen Meister unserer Zeit, erklärt, daß ihre musikalischen Kompositionen vortrefflich gesetzt sind. Sie empfängt sehr gern Ausländer, um sich von allem in der Welt zu unterrichten ... Alles, was lebhaften Geistes und feiner Bildung ist, hat zu ihrem Hof Zutritt, wo man zwei Dinge - die Wissenschaften und die Vergnügungen - in schönster Harmonie beisammen findet. Die Königin ist nicht groß und schlank, sondern eher klein und mollig, aber in den angenehmsten Proportionen. Ihre Haut ist sehr weiß, und ihre Farben sind lebhaft. Sie hat strahlend blaue Augen und kohlschwarzes Haar, das sie frei aus der Stirn gekämmt und ungepudert trägt." (in: Wolfgang Venohr: Der Soldatenkönig - Revolutionär auf dem Thron, ebenda, S. 78-79). Was Toland über die philosophischen Kenntnisse dieser Königin berichtet, wird von Leibniz unterstützt, der während einer geistreichen Disputation mit Sophie Charlotte ausruft: "Madame, es ist gar nicht möglich, Sie zufriedenzustellen! Sie wollen das Warum des Warum wissen!"
Videotipp: Sophie Charlotte (1668-1705) und ihr Schloss Charlottenburg
Sterbeszene bei Sophie Charlotte: "Eine der Damen zerstoß in Thränen. 'Beklagen Sie mich nicht, sagte die Sterbende [Sophie Charlotte], denn ich gehe jetzt meine Neugier befriedigen über die Urgründe der Dinge, die mir Leibnitz nie hat erklären können, über den Raum, das Unendliche, das Sein und das Nichts, und dem Könige meinem Gemahl bereite ich das Schauspiel eines prächtigen Leichenbegängnisses.' [ ... mit allem Pomp und Prunk, den Friedrich I. so sehr liebte]." (in: Julian Schmidt: Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland von Leibnitz bis auf Lessing's Tod: 1681-1781, 1. Band, Leipzig 1862, S. 329).
"Mit dem Tod der Königin Sophie Charlotte ... endete auch das Opernleben in Berlin, so wie es ohne sie nie derartig zum Blühen gekommen wäre. Sophie war mit der Musik groß geworden und brachte ihre Liebe zur Musik mit nach Berlin, wo sie, wie sie einmal sagte, keine andere Beschäftigung als die Musik und das Bauen kannte. Die Musik war für sie eine 'treue Freundin', welche man nie verlassen kann und welche andererseits einen selbst nie betrügen kann. Eine Bemerkung, die zeigt, wie einsam sich die Königin am Berliner Hof gefühlt haben muß. Sowohl Sophie Charlotte als auch Friedrichs Tochter aus seiner ersten Ehe, Prinzessin Luise Dorothea Sophie, spielten zuweilen in den Opernaufführungen mit." (in: Linda und Marsha Frey: Friedrich I. - Preußens erster König, ebenda, S. 105).
Die Lieblingsmusiker und -komponisten von Sophie Charlotte:
1. Agostino Steffani (1654-1728)
2. Attilo Ariosti (1666-1729)